"Wie war es wirklich?". Georg Markus
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Franz Schubert * 31. 1. 1797 Wien † 19. 11. 1828 ebd. Wurde nach seiner musikalischen Ausbildung bei den Wiener Hofsängerknaben und bei Antonio Salieri Hilfslehrer an der Schule, in der sein Vater unterrichtete. Gab die berufliche Verpflichtung 1818 auf, um sich ganz seinem Werk widmen zu können, dem 18 Opern und Singspiele, sechs Messen, neun Symphonien sowie rund 1000 Lieder angehören, darunter »Heidenröslein«, »Erlkönig«, »Die Forelle«, »Die schöne Müllerin«. Schlug als großer Symphoniker eine Brücke zwischen Klassik und Romantik. Zeitweise Musiklehrer der Töchter des Fürsten Esterházy.
Herr Schubert, es ist an der Zeit, endlich einmal die Wahrheit zu sagen! Ihre Lebensgeschichte wurde durch Kitschromane, Operetten und Verfilmungen dermaßen verfälscht, dass heute kein Mensch weiß, wie Sie wirklich waren. Ich darf Sie daher auffordern, jetzt mit der ultimativen Wahrheit herauszurücken.«
»Einen Schmarren werd ich herausrücken«, lehnte Franz Schubert jede Zusammenarbeit ab, als ich ihm in einer Kleinwohnung in der Wiener Kettenbrückengasse gegenübersaß. »Was Ihr Chronisten aus mir gemacht habt, spottet jeder Beschreibung. Ich habe nichts mit all den Figuren zu tun, von denen in Dreigroschenheften behauptet wird, sie wären Schubert. Ich verwahre mich gegen jegliche Verunglimpfung und drohe weiteren Berichten aller Art mit Schadenersatzklagen in Millionenhöhe.«
Der Raum, in dem wir einander trafen, war die letzte Wohnung des Genies, und sie dient heute als Schubert-Gedenkstätte. Ich ließ mich durch die schlechte Laune des Komponisten nicht entmutigen und versuchte fintenreich doch noch ans Ziel zu kommen: »Gerade weil die Geschichte Ihres Lebens immer wieder verfälscht wurde«, schlug ich vor, »ist es an der Zeit, endlich die Wahrheit zu sagen. Vertrauen Sie sich mir an, Meister!«
Mehr hatte mir nicht gefehlt!
»Ich soll irgendjemandem auf dieser Welt vertrauen?«, explodierte er geradezu. »Mit denselben Worten wie Sie jetzt hat sich zuletzt ein Herr Rudolf Hans Bartsch an mich herangemacht, ehe er den Schubert-Roman Schwammerl verbrochen hat, an dem kein Wort wahr ist. Die von ihm im Jahre 1912 frei erfundene Geschichte ist seither nicht mehr aus der Welt zu schaffen, zumal dem Roman später eine Schubert-Operette und dann noch zwei Verfilmungen folgten, in denen ich von Paul Hörbiger und Heinrich Schweiger dargestellt wurde.«
»Aber Sie müssen zugeben, Herr Schubert, dass sowohl die Filme als auch die Operette bezaubernd sind. Und dass sich die drei Töchter des Glasermeisters Tschöll ganz reizend in die Handlung einfügen.«
»Reizend? Hier wird dem Publikum eine Biedermeieridylle vorgegaukelt, die es gar nicht gab. Ich habe das sogenannte Dreimäderlhaus auf der Mölkerbastei nie betreten. Und die Schwestern Hannerl, Hederl und Heiderl, um deren Gunst ich mich glücklos bemüht haben soll, die kannte ich überhaupt nicht.«
»Dennoch, die seither in Umlauf befindlichen Schubert-Legenden sind wirklich gelungen.«
»Erstunken und erlogen sind sie, da ist kein wahres Wort zu finden! In Wirklichkeit wohnte ich in dunklen, feuchten, ungeheizten Kammern, in denen ich frierend komponierte. Und selbst die erbärmlichsten Untermietzimmer konnte ich nur zahlen, weil mich einige meiner Freunde unterstützten. Das ist die Wahrheit!«
»Herr Schubert«, wies ich das Genie zurecht, »Sie sind aber selbst nicht ganz unschuldig an dem Bild, das von Ihnen in die Welt gesetzt wurde.«
»Ich? Wieso?«
»Weil Sie uns, im Gegensatz zu anderen namhaften Komponisten, weder biografische Skizzen noch sonstige relevante Aufzeichnungen hinterließen. Was bleibt einem Biografen da anderes übrig, als Ihr Leben neu zu …, also sagen wir: neu zu interpretieren.«
»Neu interpretieren nennen Sie das? Die Lügengeschichten gehen ja noch weiter! In einem neueren Film werde ich als syphiliskranker Bordellbesucher, der in übel beleumundeten Spelunken seine sexuellen Begierden auslebt, hingestellt. Ich fühle mich dadurch in meiner Intimsphäre empfindlich gestört.«
»Was wollen Sie dagegen unternehmen?«, fragte ich.
»Ich habe meinen Anwalt beauftragt, jede weitere Ausstrahlung des Films mittels einstweiliger Verfügung zu unterbinden. Was immer ich in derartigen Machwerken über Franz Schubert erfahre, hat nichts mit der Realität zu tun. Ich bin nicht Schubert! Jedenfalls nicht der, dessen Leben auf diese Weise dokumentiert ist.«
»Sie wollen damit sagen, dass alles, was wir über den so beliebten Schubert-Franzl erfahren, nichts mit der Wahrheit zu tun hat?«
Franz Schubert erhob sich, stellte sich auf den ungehobelten Bretterboden neben das Klavier seines kleinen Wohnraums und sah mir in die Augen. »Oh doch, es gibt eine Wahrheit!«, erklärte er. »Eine Wahrheit gibt es! Und die ist …«
»… na, was denn?«
»Meine Musik! Meine Lieder, Opern, Symphonien, Klavierstücke, Sonaten, Chöre und Messen. Das ist meine Wahrheit. Aber um die schert sich ein Schmierfink, wie Sie einer sind, nicht.«
Ich wollte widersprechen, doch da war Franz Schubert schon aus dem Zimmer, hatte die Tür seiner Substandardwohnung ins Schloss geworfen und sich aus dem Staub gemacht. Ich glaube, er ging Richtung Mölkerbastei, wo Hannerl, Hederl und Heiderl auf ihn warteten und mit ihm einen bezaubernden Nachmittag bei Kaffee und Gugelhupf verbrachten.
Hoffentlich liest er das jetzt nicht. Der Mann ist ja so empfindlich.
»ES IST EWIG SCHAD UM MICH!«
Ein großes Kind namens Oskar Werner
Oskar Werner, eigentlich Oskar Josef Bschließmayer * 13. 11. 1922 Wien † 23. 10. 1984 Marburg a. d. Lahn. Schauspieler, ab 1941 am Burgtheater, dessen Ensemble er insgesamt sieben Jahre angehörte. Später am Theater in der Josefstadt und bei den Salzburger Festspielen. Internationale Filme: »Der Engel mit der Posaune« (1948), »Mozart« (1955), »Jules und Jim« (1961), »Das Narrenschiff« (1965), »Der Spion, der aus der Kälte kam« (1965), »Fahrenheit 451« (1966). Oskar Werner war in erster Ehe mit der Schauspielerin Elisabeth Kallina, in zweiter mit Anne Power verheiratet.
Ich liebe es, durch Wien zu spazieren und mir die schönen alten Höfe anzuschauen. Als ich einmal den zum Haus Marchettigasse 1a in Wien-Gumpendorf gehörenden Innenhof besichtigte, schoss mir ein viel zu groß gewachsenes Kind seinen Fußball an den Kopf.
»Pass doch auf!«, rief ich dem Schnösel zu und fragte, weil er mir irgendwie bekannt vorkam, nach seinem Namen.
»Bschließmayer«, antwortete er. Da ich das für einen Jux hielt, schickte ich mich an, indigniert das Weite zu suchen. »Oskar Bschließmayer«, ergänzte das Kind unter Betonung seines Vornamens.
Einen Augenblick stand ich wie gelähmt da. Welch einzigartige Melodie war da an mein Ohr gedrungen. »O-s-k-a-r-B-sch-l-i-e-ß-m-a-y-e-r.« Wie diese simplen Buchstaben klangen, wenn das Kind sie sprach. »Bist du’s … ich meine, sind Sie’s wirklich?«
»Na klar«, lachte der Bub laut auf, »bekannt geworden als Oskar Werner. In diesem Haus wurde ich geboren und in der Hausmeisterwohnung bei meiner Großmutter bin ich aufgewachsen. Hier im Hof inszenierte ich für die Buben aus der Nachbarschaft mein erstes Stück, Die feindlichen Brüder, und ich spielte beide Brüder. Aber wozu erzähl ich Ihnen das alles?«
»Bitte, fahren Sie fort«, bat ich ihn, »ich verfolge Ihre Karriere, seit ich denken kann. Ich sah Sie als Hamlet, Don Carlos, als Prinz von Homburg und