Oval. Elvia Wilk

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Oval - Elvia Wilk

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entsprach; er sollte so tun, als wäre er wenigstens ein bisschen traurig. Er war derjenige, der in dieser Sache den Ton angeben musste, ohne seine Anleitung hatte sie keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte, wie sie das Bild vervollständigen sollte, das er hätte vorzeichnen müssen. Eine Möglichkeit bestand darin, dass Anja hinsichtlich der gesellschaftlichen Erwartung völlig falsch lag, und dass es tatsächlich richtig und normal war, so zu tun, als ginge es einem gut. In diesem Fall mimte Louis einfach den Mann, der sich nicht seiner Trauer stellen will. Und falls das tatsächlich seine Art war, den Ton vorzugeben, sollte sie es ihm gleichtun. An dieser Möglichkeit störte sie, dass der Mann, der nur so tat, als verleugne er seinen Schmerz, nicht zu unterscheiden war von dem Mann, der seinen Schmerz tatsächlich verleugnete. Selbst wenn er die Verleugnung bloß vortäuschte, steckte er doch mittendrin.

      Die andere Möglichkeit, die viel beunruhigender war, bestand darin, dass Louis gar keinem Skript mehr folgte und die Trauer ihn derart umgehauen hatte, dass ihm die Fähigkeit oder das Bedürfnis, sich an die Regeln zu halten, abhanden gekommen war. Nun, da sie sich einmal im Kreis gedreht hatte, dachte sie, lieferte diese Möglichkeit den stärksten Beweis dafür, dass Louis unvorstellbar litt.

      Sie ging in die Küche hinüber, um Smoothies zuzubereiten – der letzte Teil der morgendlichen Routine – und während sie den Mixer hervorholte, fiel ihr auf, dass das etwas Neues war: Sie sagte sich die Schritte der Morgenroutine in Gedanken vor. Sie hatte ihre Morgen nie wirklich als Routine verstanden; sie tat es jetzt nur, weil die Routine symbolisches Gewicht erhalten hatte. Sie war sich der Norm bewusst geworden, weil sie nach jeder noch so geringen Abweichung Ausschau hielt. So erpicht war sie darauf, dass das Nachher dem Vorher ähnelte, dass sie nach einem Barometer suchte, um es zu messen.

      Das bedeutete, dass sie die Abweichungen sicher größer machte, als sie wirklich waren. Dass Louis an diesem Morgen vor ihr aufgewacht war, hatte bestimmt nichts zu bedeuten. Es musste zig Morgen gegeben haben, die auch nicht nach Plan verlaufen waren. Er musste unzählige Male vor ihr aufgewacht sein. Aber in diesem Moment, da der Mixer Stücke von Fruchtfleisch zermalmte, erinnerte sie sich an keinen einzigen.

      Sie trank gerade ihren Smoothie aus, als Louis die Küche betrat. Er verzog den Mund zu einer Art Kringel, die dem Smiley in der Dusche ähneln sollte. Er wollte den Rest der grünen Materie, die sich im Mixer befand, nicht, sagte er, lieber aß er einen Muffin. Die Spirulina wird schlecht, wenn du das nicht trinkst, wollte sie gerade sagen, doch sie verkniff es sich und öffnete den Toaster. Auf keinen Fall würde sie ihren zwanghaften Gedanken freien Lauf lassen; sie würde ihn nicht drängen, einen schlecht schmeckenden Smoothie zu trinken. Er durfte nicht bemerken, dass sie ihn genau beobachtete. Sie durfte seine Coolness nicht als Herausforderung sehen, denn sie hatte keinen empirischen Beweis dafür, dass er sie überhaupt herausfordern wollte – schließlich hatte sie keinen empirischen Beweis dafür, dass er litt und es vor ihr verbarg. Von außen war es unmöglich, zu unterscheiden, ob er vorgab, es ginge ihm gut, oder ob es ihm wirklich gut ging, und das Außen war alles, was sie hatte. Sie durfte nicht zugeben, dass sie sich wünschte, ihn leiden zu sehen, denn das hätte geheißen, dass sie sich wünschte, er leide. Beide Wünsche waren abartig. Sie musste sich darauf konzentrieren, ihn ganz normal zu lieben.

      Weiter unten am Berg blitzte etwas Pinkfarbenes auf, als sie eine der vielen Biegungen des Pfades nahm. Sie konnte sich keinen Grund vorstellen, warum der Pfad, je nach Gelände, so kurvenreich verlaufen musste, wo doch jeder Zentimeter des Berges angelegt worden war, und also auch ein gerader Weg von oben nach unten hätte angelegt werden können. Keinen Grund, außer dem Wunsch, irgendeiner albernen Vorstellung von Natürlichkeit zu entsprechen. Als der Weg wieder geradeaus führte, sah sie Matilda, eine ihrer Nachbarinnen, die eine knallpinke Strickjacke trug. Matilda zu treffen, war eine Überraschung. Es war mindestens zwei Wochen her, dass ihr jemand begegnet war, der den Berg hinauf- oder hinablief.

      »Hey«, rief Mathilda, und stieg Anja leicht keuchend entgegen. Im Arm hielt sie einen kleinen, dicken Hund mit gelbem Fell. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, das von einem leichten Sabberrand gesäumt war. »Auf dem Weg nach oben wird er immer müde«, sagte Mathilda, als sie näherkam, und tätschelte den Hund. »Ich muss ihn immer ein Stück tragen.«

      »Das kenne ich«, sagte Anja. »Ich wünschte, mich würde auch jemand tragen.«

      Mathilda blieb im Abstand von einem halben Meter stehen und hob den Hund zu sich, so dass seine Schnauze nahe an ihrem Ohr war. »Wie geht’s? Wir haben euch seit Ewigkeiten nicht gesehen.«

      Mit ›wir‹ meinte Matilda sich selbst und ihren Ehemann, an dessen Namen Anja sich nicht erinnern konnte. Sie waren Dänen, Mitte 40 wahrscheinlich, und beide auf stattliche Art gutaussehend.

      »Ach, alles gut so weit. Bis auf, naja. Ein paar Sachen im Haus.« Sie machte eine Handbewegung den Berg hinauf.

      Mathilda verdrehte die Augen und sie lachten beide. »Nun, wir wussten, worauf wir uns einlassen, nicht wahr?«

      »Ja.«

      Sie würden nicht über die Details sprechen, so viel war klar. Die Nachbarn gingen alle sehr diskret mit ihren Problemen um; es gab kein Gemeinschaftsgefühl unter ihnen. Vielleicht hatten Louis und sie sich auch zu sehr abgesondert, aber das glaubte sie eigentlich nicht. Alle waren zu unterschiedlichen Zeiten eingezogen und getrennt voneinander instruiert worden. »Ich bin froh, dass alle versuchen, die Illusion von Exklusivität aufrechtzuerhalten«, hatte Louis gesagt. »Lagerfeuer und Grillabende würden das Spiel ruinieren.«

      »Wir dürfen hier ohnehin keine offenen Feuer machen«, hatte Anja angemerkt.

      Matilda und ihr Mann lebten in dem Haus, das dem von Anja und Louis am nächsten lag, ein paar hundert Meter den Berg hinab. Sie konnten die Häuser der anderen Parteien aufgrund des Laubs von ihren eigenen Grundstücken aus nicht sehen, und es fiel Anja leicht, zu vergessen, dass sich jederzeit jemand in Hörweite befinden könnte. Zurückgezogenheit per Design.

      »Es liegt auch an uns, dass wir euch nicht gesehen haben«, sagte Matilda. »Wir waren viel in Kopenhagen.«

      »Wegen der Arbeit?«

      »Ja, und auch aus familiären Gründen. Unsere Tochter. Wir haben immer noch unsere Wohnung dort.« Sie räusperte sich.

      Hauptwohnsitz sollte The Berg ein, aber natürlich zwang sie niemand, dort Zeit zu verbringen. Viele der anderen Nachbarn hatten wahrscheinlich noch Wohnungen an anderen Orten, Wohnungen, in die sie sich zurückziehen konnten, wenn sie die lauwarmen Duschen leid waren.

      »Und du?« Matilda lächelte. »Arbeitest du noch im Labor?«

      Anja nickte und sagte, ja, es laufe alles sehr gut. Sie war nicht gerade dankbar für die Erinnerung. Voller Schuld dachte sie an Michel, der ihr in regelmäßigen Abständen Nachrichten schrieb. Noch nie hatte sie ihn so lange nicht gesehen wie jetzt. Sie hatte es als gegeben hingenommen, ihn von montags bis freitags in ihrem Leben zu haben. Es wäre sinnvoll gewesen, mit ihm über das zu reden, was mit ihnen geschah, gerade mit ihm, doch sie konnte sich noch nicht dazu durchringen, ihn anzurufen. Sie war sich nicht sicher, warum. Es wäre auch sinnvoll gewesen, Matilda zu fragen, ob ihr Abfallentsorgungssystem jemals funktioniert hatte, aber auch das würde sie nicht tun.

      Matilda erkundigte sich nach Louis, und Anja musste sich sehr zusammenreißen, eine gelassene Miene zu wahren. Sie kannte Matilda nicht gut. Sie konnte es nicht einfach jedem erzählen.

      »Dem geht es bestens«, sagte sie. »Schwer beschäftigt, wie immer.«

      Die Unterhaltung war langweilig und wie zum Signal, dass es Zeit war, weiterzugehen, sahen sie aneinander vorbei.

      »Ihr solltet bald mal vorbeikommen und uns besuchen«, sagte Matilda.

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