Oval. Elvia Wilk
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»Mach dir um mich keine Sorgen. Ihr zwei solltet Zeit miteinander verbringen.«
Sie dachte so angestrengt über jede ihrer Antworten nach, dass sie nicht sicher war, ob sie in Echtzeit antwortete, oder ob eine wahrnehmbare Verzögerung entstand. Die Dynamik zwischen ihnen während dieser Unterhaltung war aus dem Ruder gelaufen und doch so festgefahren. Sie wusste einfach nicht, wie sie sie umleiten sollte. Ihre schlimmsten Unsicherheiten, die sich seit Ewigkeiten nicht gemeldet hatten – sein Mangel an Abhängigkeit von ihr, das Gefühl, dass er Erfüllung im gesellschaftlichen Leben suchte und nicht bei ihr, seine glatte Unverletzlichkeit –, gingen nun mit ihr durch. Warum waren sie zurück? War sie diejenige, die diese Dynamik verursachte, oder er? Oder keiner von beiden?
»Ich hatte ohnehin schon mit Dam und Laura besprochen, dass wir vielleicht zusammen essen«, log sie.
»Oh, okay. Dann vergiss es.« Es gelang ihm, leicht beleidigt zu klingen.
Sie ruderte zurück. »Ich wusste ja nicht, ob du Pläne hast …«
»Ist schon in Ordnung. Wir sehen uns heute Abend.«
Nein, entschied sie, wenn einer den Verlauf dieses Gesprächs bestimmte, dann er. Er wusste immer genau, was er tat.
Anja wusste, dass sie jammerte, und sie wusste auch, dass Laura und Dam sie nicht dafür bestrafen würden. Sie hatte nur drei Garnelen gegessen, die sie mit spitzen Fingern aus den kleinen Mais-Torvilla-Schalen zog, hatte aber den Mangel an Kalorien mit Wodka kompensiert.
»Seit er wieder da ist, scheinen all unsere Gespräche einen Subtext zu haben«, sagte sie in Lauras Richtung. »Unter Wasser lauern merkwürdige Schatten.«
»Fische«, sagte Laura. »Die gibt's in jeder Beziehung. Die Frage ist, warum du überhaupt unter Deck guckst.«
»Wie weise! Spätabends glänzt meine Schwester mit Weisheit«, warf Dam ein.
»»Schon klar«, sagte Anja. »Ich halte absichtlich nach ihnen Ausschau, als wollte ich sie unbedingt finden. Aber ich weiß, da ist ein großer Fisch im Anmarsch. Ich kann ihn spüren.«
»Wie lange ist Louis überhaupt schon wieder zurück? Vierundzwanzig Stunden? Dreh nicht durch«, sagte Laura. »Du machst alles nur schlimmer, wenn du jetzt durchdrehst.«
»Ich mache immer alles schlimmer, weil ich durchdrehe.«
Sie hatte zum Abendessen bei Laura und Dam Schutz gesucht, ohne auch nur vorher angerufen und sich angekündigt zu haben. Vielleicht war es ja ein Überbleibsel spanischen Familienlebens, dass die beiden unter der Woche fast jeden Abend zusammen aßen, Dam danach immer abspülte, Drogen nahm und irgendeinen dunklen Ort aufsuchte, den er zu erreichen hoffte, bevor die Wirkung einsetzte. Er hatte sich schon umgezogen, um auszugehen, ein schwarzer Dreiecks-BH war unter dem lose gewebten gelben Tanktop zu sehen, die kniehohen Stiefel lehnten neben der Tür, der Vinyl Trenchcoat hing über seiner Stuhllehne. Von seinem Kopf baumelten zwei lange Dreadlocks, die in der Woche zuvor noch nicht dagewesen waren.
»Weißt du«, sagte Laura, »der große Beziehungsfisch kommt irgendwann immer. Wenn es jetzt nicht der Trennungsfisch ist, wird es eines Tages der Todesfisch sein. Du kannst nur hoffen, dass der Fisch langsam schwimmt.«
»Wenigstens hast du einen Fisch«, sagte Dam. Anja registrierte, dass er gekrümmt über seinem Teller saß, mit rotem Gesicht und matten Augen.
»Trinkst du nur aus Solidarität zu mir?« fragte sie.
»Solidarität, Baby. Außerdem mache ich gerade diesen fundamental menschlichen Konflikt zwischen Vernunft und Gefühl durch.« Er warf einen Blick auf sein Handy, was er auch schon während des Abendessens ununterbrochen getan hatte. Dann schloss er die Augen und drückte das Handy dramatisch an sein Herz.
»Oh-oh. Wer ist es?«
»Federico.«
»Frederico?«
»Federico. Er ist ein fürchterlicher alter Troll. Er ist ein Frauenhasser und ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch Rassist ist. Er ist wirklich ganz schlimm.«
»Warum willst du dann unbedingt, dass er anruft?«
Dam formte mit seinen Händen ein großes O. »Es geht um die Wurst«, sagte er grinsend. »Aber er arbeitet immer nur. Er ist auch bei Fin-Start, managt da irgendwas.«
»Wer arbeitet nicht bei Fin-Start«, sagte Laura.
»Meinst du, er könnte mir erklären, was bei denen los ist?«, fragte Anja.
»Nicht, wenn er mir nicht zurückschreibt. Sechs Stunden ist zu lang!«, rief Dam und schleuderte sein Handy durch den Raum. Es prallte an der Wand ab und landete in der Nähe des Bücherregals. Dam hechtete von seinem Stuhl darauf zu. Nachdem er ein letztes Mal seine Nachricht gecheckt hatte, schlug er es gegen die Fensterscheibe. Ein lautes Knacken war zu hören.
»Keine Sorge«, sagte er und drehte das Handy um. »Die Schutzhülle funktioniert zumindest.« Er blickte zum Fenster hinauf. »Aber das Fenster hat einen Sprung.«
Sie sprachen einen Toast auf Federico, und Dam sah ein, dass es Zeit war, ihn ziehen zu lassen. Laura stand auf, leicht schwankend, um ihr Handy in den quaderförmigen Lautsprecher beim Fenster zu stecken.
Auch wenn der Lautsprecher, magnetisiert wie in der Werbung versprochen, knapp einen Meter über dem Boden schwebte, funktionierte die Bluetooth-Verbindung doch nie, so dass sie die Endgeräte mit langen, schwarzen USB-Kabeln verbinden mussten, was den ästhetischen Effekt untergrub. Die Leinen wanden sich vom Boden nach oben zum schwebenden Dock und fütterten das Mutterschiff mit Inhalten.
»Nur ein weiterer Beweis, dass alle Vergangenheit Prolog ist«, sagte Laura, und fummelte an dem Kabel herum, bis ein stotternder Laut zu hören war. »Kennt ihr diesen Mix von Koolhaas schon?«
Anja schüttelte demütig den Kopf. Die Art und Weise, wie Laura gefragt hatte, ob sie den Mix kannte, nicht den Produzenten, machte eindeutig klar, dass sie etwas verpasst hatte, einen Fetzen kultureller Materie, der für sich allein unbedeutend war, aber in Kombination mit einer ganzen Menge anderer Dinge, die sie nicht wusste, zum Problem werden konnte – und sie damit zu einer Person, die sich nicht auskannte.
Anja gab nicht vor, von etwas Ahnung zu haben, wenn dem nicht so war. Zwar war ihr irgendwie bewusst, dass ihr andere Optionen offenstanden, als ihr Unwissen preiszugeben, aber sie machte selten von ihnen Gebrauch. Sie gab automatisch nach, wenn ihr Wissen zu einem Thema in Frage gestellt wurde, nicht gewillt, abzulenken oder zu lügen. Sie hoffte, dass dies mitunter den Effekt hatte, die Frage irrelevant werden zu lassen, aber ihr war klar, dass es sie meistens eher naiv wirken ließ.
»Wirklich? Noch nie gehört?« Laura gab ihr eine weitere Chance.
»Wirklich.«
»Ich kenne Koolhaas auch nicht«, sagte Dam. Er zwirbelte seine Dreads zwischen den Fingern und machte einen Schmollmund. Anja bemerkte ein glänzendes Drachentattoo, das sich an der Seite seines Halses hinaufschlängelte. Es war letzte Woche auch noch nicht dagewesen.
»Du bist doch derjenige, der jeden Abend feiern geht«, sagte Laura. »Du solltest dich eigentlich mit Musik auskennen.«
Dam