Debütantenball. Michaela Baumgartner

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Debütantenball - Michaela Baumgartner

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stürzte sich in ihre Arme.

      »Aber, aber, beruhige dich. Was ist denn geschehen?«

      »Nichts!« Verzweifelt streckte Sophie ihr den Brief hin. »Das ist es eben. Wieder keine neuen Nachrichten. Er ist einfach wie vom Erdboden verschluckt. Ach, Tante, vielleicht haben sie doch alle recht. Er ist tot. Und ich will das einfach nicht wahrhaben.«

      »Jetzt setz dich erst einmal hin, damit ich in Ruhe lesen kann.« Energisch schubste Louise ihre Nichte auf das Louis-Seize-Sofa neben dem zierlichen, mit dunkelrotem Damast bezogenen Kanapee, von dem sie sich gerade erhoben hatte. Das Sofa war, wenn auch unbequem, ihr Lieblingsmöbel, ein Geschenk des Fürsten aus der Anfangszeit ihres amourösen Verhältnisses, über und über mit Blütenranken bedeckt, Arm- und Rückenlehnen aufs Aufwändigste verziert und vergoldet. Die Woge des Klassizismus, die mittlerweile die meisten der renommierten Wiener Salons und Empfangsräume überrollt hatte, schien vor Louises Gartenpalais Halt gemacht zu haben. Hier, mitten im Grünen, war die Zeit stehen geblieben. Anmutig lächelnde Engel, unschuldig dreinblickende Jungfrauen und pummelige Amoretten tummelten sich zwischen üppigem Blumendekor und opulenten Obstkörben, beleuchtet von riesigen Kristalllustern. Zarte Pastellfarben, überschäumendes Gold und jede Menge unnötiger Zierrat beherrschten das Haus wie eh und je. Vor den Toren der Stadt verweigerte Sophies Tante konsequent jedes Zugeständnis an die derzeit herrschende Mode, selbst wenn sie in dem einen oder anderen der zwanzig Zimmer ihrer luxuriösen Stadtwohnung dem wesentlich strengeren Stil der klassischen Antike durchaus zu neuem Glanz verhalf, und sei es, um in Wiens Gesellschaft weiterhin en vogue zu bleiben.

      Sie gab Sophie mit dem deutlichen Ausdruck von Missbilligung den Brief zurück. »Wer genau ist dieser August Anschober, der das Schreiben unterzeichnet hat? Ein Meister der Formulierkunst scheint er wahrlich nicht zu sein.«

      »Ein entfernter Verwandter meiner alten Gouvernante. Er lebt seit Jahren in Leipzig und hat sich umgehört. Für ein erstaunlich geringes Salär.«

      Louise zog eine Augenbraue hoch.

      »Ach, Tante, warum sollte er sonst für jemanden, den er nicht kennt, über jemanden, den er nicht kennt, Erkundigungen einziehen?«

      »Das ist doch Ehrensache, würde man annehmen.« Mit einer ungehaltenen Handbewegung wischte Louise das Thema vom Tisch. »Wie auch immer. Langsam, mein Kind, muss ich dir beipflichten. Jetzt besteht wirklich nur noch wenig Hoffnung. Es tut mir so unendlich leid für dich. Aber ich fürchte, du musst dich mit der schlimmsten aller Tatsachen abfinden. Auch wenn ich bis heute nicht verstehe, wie es möglich ist, dass ein Offizier seines Geblüts in einer Schlacht fällt und keinerlei Aufzeichnungen darüber existieren.«

      »Ach, Tante«, seufzte Sophie erneut. »Er wurde am letzten Tag der Schlacht schwer verwundet, mehr ist einfach nicht in Erfahrung zu bringen. Auch August Anschober fand nur verschlossene Türen vor. Papa hat schon vor Monaten seine Kontakte spielen lassen und nichts erreicht.«

      »Was für eine Prüfung, mein Liebes, der du da in so jungen Jahren unterzogen wirst.« Louise betätigte die vergoldete Klingel, die neben ihr auf dem Tisch stand.

      Sofort ging die Tür auf.

      »Nanette, bring uns heiße Schokolade mit reichlich Milch und etwas Gebäck.«

      »Sehr wohl, Frau Baronin.« Mit einem höflichen Knicks zog das Dienstmädchen sich zurück.

      »Hast du von seiner Familie etwas gehört, seit …«

      »Nein«, antwortete Sophie rasch. »Nichts mehr, seit dem Brief der Fürstin.«

      Louise schüttelte missbilligend den Kopf. »Das ist ganz und gar nicht comme il faut. Natürlich hättest du weit über deinem Stand geheiratet. Aber du kanntest Ludwig seit deiner frühen Jugend, er war einer der besten Freunde deines Bruders auf der Militärakademie. Ich goutiere dieses Vorgehen keineswegs. Immerhin bist du seine Verlobte und damit Teil der Familie.«

      »Ich verstehe es auch nicht, Tante, aber da ist außer Euch niemand, dem ich mich anvertrauen kann.«

      Nachdenklich musterte Louise ihre Nichte. »Kind, was ich dich immer schon fragen wollte – bitte verzeih, aber da du unsere Vertrautheit eben so lobend erwähntest: Hast du Ludwig eigentlich geliebt?«

      Überrascht sah Sophie auf, hielt jedoch kaum dem prüfenden Blick ihrer Tante stand.

      »Ich hatte also recht!«, entgegnete Louise triumphierend, nahm sich aber sofort wieder zurück. »Das tut deiner Trauer und der Tragik der Ereignisse natürlich keinen Abbruch …«

      »Tante, ich weiß nicht, was Ihr meint«, entgegnete Sophie trotzig. »Selbstverständlich liebe ich ihn. Habe ich ihn geliebt«, korrigierte sie sich. »Und jetzt habe ich das Gefühl, als wäre mein Leben vorbei. Ich vermisse ihn so sehr.«

      »Nun, das verstehe ich.« Louise zögerte. »Hattest du nicht das Gefühl«, sie versuchte die richtigen Worte zu finden, »dass das, was du empfindest … dass es vielleicht in deinen Träumen …«

      Energisch richtete Sophie sich auf. »Ich liebe Ludwig, Tante, worauf wollt Ihr hinaus?«

      Louise wagte trotz der heftigen Reaktion ihrer Nichte einen weiteren Vorstoß. »Du erinnerst mich an mich selbst, mein Kind. Dein starker Wille, deine Unbeugsamkeit, dein klarer Verstand. Aber versteckt sich hinter der kühlen Fassade nicht ein wahrhaft romantisches Herz? Auch ich habe meinen Mann geliebt. Der brave Adalbert war mir Zeit seines Lebens ein vorbildlicher Ehemann. Doch erst als ich den Fürsten kennenlernte, habe ich zum ersten Mal …«

      Die Tür ging auf und Nanette trat ein. Sie kredenzte die Schokolade in Porzellanbechern mit kleinen Untertassen aus Schildpatt auf einem silbernen Tablett.

      »Danke, Nanette«, nickte Louise. »Du kannst gehen, das ist alles.« Sie wartete, bis das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann sprach sie weiter. »Was soll ich sagen? Es war Liebe auf den ersten Blick. Meine Knie wurden weich, alles begann sich um mich zu drehen, und ich wusste, er ist es. Er ist der Mann meiner Träume, auf den ich mein ganzes Leben lang gewartet habe.« Erregt erhob sie sich. »Und selbst wenn du mir jetzt diesen gewissen Blick zuwirfst, aus dem ich Amüsement, Skepsis und Erstaunen lese – ich verzeihe dir, ich selbst hätte in deinem jugendlichen Alter nicht anders darüber gedacht –, so muss ich dir sagen, ich weiß keine geistreicheren Worte für diesen Augenblick zu finden. Es ist die Wahrheit. Und wer diese Gefühlsregungen, die mit nichts auf dieser Welt vergleichbar sind, als romantische Verirrungen eines überspannten Gemüts abtut, der hat sich nie Hals über Kopf verliebt.« Ganz in Gedanken versunken blickte sie aus dem Fenster.

      Sophie schwieg.

      Minuten später drehte ihre Tante sich um und fuhr fort: »Ich sage ja nicht, dass außerordentliche Augenblicke wie diese zwangsweise zu einer glücklichen Ehe führen. Im Gegenteil. Wahrscheinlich ist zu viel Leidenschaft der erquicklichen Labsal einer harmonischen Ehe durchaus abträglich. Und dennoch …« Sie seufzte und ergriff Sophies Hand. »Dennoch würde ich mir wünschen, ein Mal im Leben dieses Leuchten in deinen Augen zu sehen, das nur die große Liebe zu entfachen vermag.«

      Unwillig entzog ihr Sophie die Hand. »Tante, ich weiß Eure offenen Worte durchaus zu schätzen. Aber ich bin hier, um mit Euch über meinen Verlobten zu sprechen und darüber, wie sehr ich um ihn trauere. Weil dieser Brief meine letzte Hoffnung begraben hat.« Sie hob ihre Tasse und nahm einen Schluck der bittersüßen Schokolade. »Diese Art von romantischer Schwärmerei, von der Ihr sprecht, ist mir fremd. Und ich halte sie auch für ganz und gar nicht erstrebenswert. Sagt man nicht, dass Gefühlsregungen

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