Friesentod. Sandra Dünschede
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Er erhob sich stöhnend und griff nach dem Zettel mit den Daten. »Ich bin dann mal weg«, sagte er und verließ das Büro.
»Schau mal, ich habe dir einen Kakao gemacht«, sagte Haie, als er Niklas’ Zimmer betrat. Niklas lag nach wie vor apathisch auf seinem Bett und starrte an die Decke. Er setzte sich auf die Bettkante, stellte den dampfenden Becher auf dem Nachttisch ab und strich Niklas vorsichtig über den Kopf. Daraufhin drehte er sich zu ihm.
»Die Frau war tot«, flüsterte der Junge.
»Ich weiß.«
Haie wusste, was Niklas gerade durchmachte. Er kannte das Gefühl, das man empfand, wenn man zum ersten Mal eine Leiche gesehen hatte. Die Bilder von Haies erstem Toten hatten ihn tage- und nächtelang verfolgt. Wie konnte er Niklas bloß helfen?
»Was habt ihr denn in dem Haus gesucht?«
Niklas zuckte mit den Schultern. »Ole hat gesagt, dass es dort spukt. Aber Geister gibt es doch nicht, oder?«
Haie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nur so ein Gerede der Leute.«
»Ja, aber was passiert denn mit einem, wenn man stirbt?«
Das war eine Frage, auf die Haie grundsätzlich auch keine Antwort wusste. Er hatte dem Jungen immer erzählt, dass seine Mutter im Himmel wohnte. Aber ob das stimmte? War das nicht nur eine Wunschvorstellung? Mit der man sich trösten konnte, weil es den geliebten Menschen nicht mehr gab? Weil er weg war. Für immer. Wer wusste das schon?
»Tatjana ist jetzt bestimmt im Himmel.«
Niklas nickte. »Aber warum?«
Noch so eine Frage, dachte Haie. Wobei, im Grunde genommen musste die Antwort lauten, dass jemand Tatjana umgebracht hatte, aber das konnte er Niklas nicht sagen. Und an Gott glaubten sie nicht wirklich. Jedenfalls waren weder er noch Tom besonders religiös, und daher war auch Niklas nicht in dieser Weise aufgezogen. Was also sollte er sagen?
»Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Aber Onkel Dirk wird das herausfinden.«
»Bestimmt?« Niklas schaute ihn mit großen Augen an.
»Bestimmt«, nickte Haie. »Und ich helfe ihm dabei.«
8. Kapitel
Thamsen hatte noch keinen Anhaltspunkt, warum Tatjana Lieberknecht tot in diesem Haus gelegen hatte. Wer hatte die Frau dort hingebracht? Oder war sie freiwillig zu dem Haus gekommen? Hatte jemand sie hingelockt?
Er ging davon aus, dass sie ermordet worden war, und erwartete diesbezüglich keine Überraschung durch die Obduktion, wohl aber neue Erkenntnisse.
Die Husumer würden sich in die Ermittlungen – Kapitalverbrechen hin oder her – nicht sonderlich einbringen, daher brauchte er Hinweise, um den Fall aufzuklären. Er wollte keinen ungeklärten Mordfall in seinem Bereich. Er wollte die Welt ein Stück weit sicherer machen, deshalb war er Polizist geworden.
Oftmals kam der Täter aus dem näheren Umfeld des Opfers, daher war die Benachrichtigung der Angehörigen enorm wichtig, um sich einen Eindruck über die Verhältnisse des Opfers zu machen. Erschwerend in diesem Fall kam jedoch hinzu, dass Tatjana Lieberknecht erwachsen war und nicht mehr zu Hause wohnte. Hatten die Eltern ihre Tochter öfter in Niebüll besucht? Kannten sie ihr Umfeld, ihre Freunde? Was wussten die Eltern von der Tochter? Das galt es nun herauszufinden. Er hoffte, dass sie ihm mehr Informationen liefern konnten als Haie. Obwohl dieser Tür an Tür mit der Frau gewohnt hatte und seine Nase stets in fremde Angelegenheiten steckte, konnte er ihm kaum Nützliches liefern.
Thamsen fuhr auf der B 5 Richtung Bredstedt und fühlte sich plötzlich unendlich müde. Wobei müde nicht direkt den Zustand traf, in dem er sich befand. Es war eher so etwas wie Hilflosigkeit und ein Erschrecken darüber, dass in seiner Heimatstadt schon wieder ein Verbrechen passiert war, dass in solch einer friedlichen Gegend jemand einen grausamen Tod gefunden hatte. Wie der Schein trügen konnte. Die weite Landschaft, die so idyllisch wirkte, der hohe Himmel, der endlos schien, die friedlich grasenden Schafe, im Hintergrund die stetig rotierenden Windräder – all das konnte ihn in diesem Moment nicht von dem Gedanken ablenken, dass ein Mensch einem anderen das Leben genommen hatte. Und zwar nicht irgendwo in New York oder Kapstadt, sondern nur wenige Kilometer entfernt von dem Ort, an dem er mit seiner Familie lebte.
Er hielt vor einem kleinen Einfamilienhaus am Rande der nordfriesischen Kleinstadt und starrte zur Eingangstür hinüber. Was sollte er sagen? Worte zu finden für solch eine grausame Nachricht, fiel sicherlich jedem schwer, aber ihm ganz besonders. Er war einfach nicht gut in solchen Dingen – noch nie gewesen – und doch wusste er, wie enorm wichtig dieser Besuch war. Für alle Beteiligten.
Er stieg aus und ging langsam auf den Eingang zu. Das Haus wirkte sehr gepflegt, obwohl es der Bauart nach zu urteilen aus den Fünfziger-, vielleicht Sechzigerjahren stammte. Er mochte diese Art von Häusern, war selbst in einem ähnlichen groß geworden. Seine Mutter hatte, bis sie vor Kurzem in eine betreute Wohnanlage gezogen war, noch in seinem Elternhaus gewohnt. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, das Haus zu verkaufen, obwohl klar war, dass sie nicht zurückziehen würde können. Und für Dörte, ihn und die Kinder war es zu klein, zu beengt. Trotzdem hatte er es zunächst vermietet, bis er sich eines Tages davon würde ganz lösen können.
Thamsen holte tief Luft, ehe er den Klingelknopf neben dem Namensschild mit dem Schriftzug »Lieberknecht« drückte.
Zunächst tat sich nichts, dann hörte er Schritte und kurz darauf öffnete eine ältere Frau mit zerzausten Haaren die Tür.
»Frau Lieberknecht?«, erkundigte er sich zunächst.
»Ja?« Sie blinzelte ihn aus schmalen Augen an.
»Mein Name ist Dirk Thamsen von der Polizei Niebüll.«
»Polizei?« Augenblicklich huschte ein Schatten über ihr Gesicht.
»Frau Lieberknecht, ich habe Ihnen eine traurige Nachricht zu überbringen. Ihre Tochter wurde heute …«
»Oh nein«, schluchzte sie auf und geriet ins Wanken. Thamsen trat schnell neben die Frau und stützte sie. Er bemerkte, wie sie zu zittern begann.
»Kommen Sie«, sagte er und führte sie am Arm ins Haus.
Im Flur verschaffte er sich kurz einen Überblick. Das Haus war ähnlich angelegt wie sein Elternhaus. Er führte Frau Lieberknecht in die Küche, wo er sie auf einen Stuhl bugsierte. Aus einem Küchenschrank nahm er ein Glas und füllte Wasser hinein.
»Trinken Sie einen Schluck«, forderte er sie mit einem Kopfnicken auf.
Frau Lieberknecht klammerte sich an das Glas, während sie gierig trank, als könne sie die schlechte Botschaft so hinunterspülen. Dirk beobachtete die Frau, die sich langsam etwas beruhigte.
»Sind Sie allein zu Hause?«
»Ja.« Ihre Antwort war nur ein Flüstern.
»Soll ich jemanden anrufen