Inselduell. Anja Eichbaum

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Inselduell - Anja Eichbaum

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nicht vermeiden lassen.

      »Aber was viel schlimmer ist«, spann er den Gedanken an Frau Mertens weiter, »sie sind dann Vollwaisen.«

      »So ist es. Leider.«

      »Was machen wir nun mit den Kindern?«

      »Wir –«, sie atmete aus, »das heißt, ich werde die Kinder wohl in Obhut nehmen müssen.«

      »Aber es wird doch irgendjemanden geben, der beiden nahe steht.«

      »Bestimmt.« Die Sozialarbeiterin schien nun ihn beruhigen zu wollen, so tief und nachdrücklich, wie sie dieses eine Wort aussprach. »Nur, wenn das niemand ist, der in den nächsten Stunden hier sein kann, wird es schwierig. Ich kann die Kinder ja nicht alleine zurücklassen.«

      »Schon richtig. Haben denn die beiden nichts gesagt, wen wir verständigen können?« Alles in ihm wehrte sich, die Tatsachen anzuerkennen. Die armen Kinder – wie recht Nicole damit hatte.

      »Sie ahnen ja noch nichts. Im Moment hoffen sie einzig und allein, dass ihre Mutter bald zurückkommt.«

      Martins Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ein Gefühl, das er seit Kindertagen in bedrohlichen Situationen hatte. Wie gern würde er dem Jungen und dem Mädchen all das ersparen, was auf sie zukam.

      »Aber mein vorsichtiges Herantasten hat eher gezeigt, dass es niemanden in der Nähe gibt. Außer der Nachbarin und dieser Nanny. Nichts, was uns im Augenblick helfen könnte.«

      »Oh Mann!« Martin schlug die Hände vors Gesicht.

      »Die Erfahrung zeigt, dass fast immer jemand da ist, der die Kinder auf lange Sicht wird nehmen können. Das klassische Waisenkind von früher, das elternlos und ungeliebt im Heim aufwächst, gibt es kaum noch. Meist finden sich Verwandte oder Paten. Aber dafür brauchen wir Zeit. Deswegen werde ich jetzt mit meiner Dienststellenleiterin sprechen. Sie muss versuchen, zwei Notfallplätze zu sichern. Danach werden wir es den Kindern sagen müssen.«

      »Ja, sicher.«

      »Sie helfen mir, Herr Ziegler? Sie lassen mich dabei nicht im Stich, hoffe ich.«

      »Nein, nein, natürlich nicht. Ich muss nur den Leiter der Mordkommission verständigen. Vielleicht will er ja …«

      Aber es war, wie er es sich schon gedacht hatte. Gert Schneyder wollte nicht. »Das ist bei Ihnen in guten Händen, Herr Kollege.« Martin legte fluchend auf. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als an einem weit entfernten Ort ein Leben fernab des Polizeidienstes führen zu können. Er würde darüber nachdenken. Und mit Anne reden. Heute Abend. Ganz gewiss.

      *

      »Das ist doch nicht wahr, was Sie mir erzählen. Bitte sagen Sie, dass es ein verdammter Albtraum ist, in dem wir uns befinden.«

      »Dass es ein Albtraum ist, kann ich Ihnen gerne bestätigen.« Gert Schneyder war hinter dem Stuhl stehen geblieben, den der amtierende Bürgermeister ihm zugewiesen hatte. »Allerdings keiner, aus dem wir mal eben so aufwachen werden.«

      Martin stand weit hinten in der Tür und hörte die beiden in dem überfüllten Raum mehr, als dass er sie sah. Er ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Die konkurrierenden Bürgermeisterkandidaten mit jeweils einem weiteren Parteimitglied, der engste politische Kreis aus der Zukunfts- und Umweltpartei von Frau Mertens, der Kurdirektor. Mühselig hatte man aus den Nebenzimmern Stühle herbeigetragen, nur seine Mitarbeiterin Nicole und er selbst hatten abgewunken.

      »Wissen Sie denn nicht, was für eine Katastrophe das für die Insel ist?« Die Faust des Amtsinhabers fiel auf den Tisch. Martin konnte sich die Röte seines Gesichts vorstellen, ohne sie zu sehen, denn Schneyder nahm ihm die Sicht. Die cholerische Ader des Bürgermeisters war stadtbekannt, und keiner war böse darüber, dass er aus Altersgründen nicht erneut zur Wahl antrat. Im Gegenteil: Mit gleich drei Kandidaten hatte niemand gerechnet. Anfangs entstand fast eine euphorische Stimmung, ein demokratischer Aufbruch, ein Neuanfang. So hatte es von allen Seiten geheißen.

      »Es tut mir leid, Herr Thies. Leider liegt es nicht in meiner Macht, das Ganze ungeschehen zu machen. Glauben Sie mir. Nichts wäre mir lieber angesichts der wirklich tragischen Umstände.«

      Martin bewunderte, wie gelassen Gert Schneyder blieb. Anders als heute Morgen am Fundort, wo er sein Auftreten übertrieben fand. Überhaupt lag eine unheilvolle Ruhe in dem Raum, trotz der vielen Menschen. Nur die Heizung, die die drückende Stimmung zu forcieren schien, gab brummende und blubbernde Geräusche von sich. Zu Beginn der Zusammenkunft war das anders gewesen. Aggressiv und vorwurfsvoll waren die drei Parteien aufeinandergeprallt. Erst auf Schneyders Bitte, angesichts des Todes von Frau Mertens ein Mindestmaß an Pietät walten zu lassen, waren alle zurückgerudert. Nur Joseph Thies hielt sich nicht daran.

      »Es ist ja wohl hoffentlich ausgeschlossen, dass es ein politisches Motiv gibt«, blaffte er.

      Gert Schneyder setzte sich auf den Stuhl, hinter dem er bisher gestanden hatte. Martin konnte von seinem Platz aus sehen, dass sich an dessen Hinterkopf eine leichte Tonsur zu bilden begann. Was ihn irgendwie freute, wie er zugeben musste. Schneyder war doch bestimmt noch keine 40. Im gleichen Augenblick schämte er sich seiner Gedanken. Unfassbar, mit welchen Nebensächlichkeiten sich der Mensch doch unterbewusst beschäftigen konnte, selbst wenn das Grauen so nah war.

      Das Stimmengewirr hatte als Reaktion auf die Frage wieder eingesetzt, allerdings deutlich abgeschwächter als zuvor. Prompt schoss Thies hinterher: »Wobei wir ja zwei Parteien von vorneherein ausschließen können – meine und selbstverständlich die ZUP. Letztere wird ja nicht ihre eigene Kandidatin auf diese Weise aus dem Verkehr gezogen haben.«

      Augenblicklich war die Hölle los. Niemand im Raum saß mehr, auch Thies war nach seinen letzten Worten aufgesprungen, und Martin sah, wie er mit ausgestrecktem Arm auf Häusler zeigte, den Kandidaten der Fortschrittspartei.

      »Ruhe! Verdammt noch mal, Ruhe!«, brüllte Gert Schneyder nun.

      Martin hörte nur einzelne Sätze aus dem Sprachgetümmel, ohne sie zuordnen zu können: »Ist er jetzt komplett verrückt geworden?« – »Anzeige wegen Verleumdung« – »Grenzen der politischen Auseinandersetzung« – »Denken Sie doch an die Insel und ihr Ansehen«. Letzteres schien vom Kurdirektor zu kommen, der flehentlich mit den Händen rang und sich mit seinen Worten an alle wandte.

      Gert Schneyder ging auf ihn zu. Martin konnte nicht verstehen, was die beiden besprachen, aber kurz danach traten sie an Thies heran und kamen dann gemeinsam zu ihm und Nicole.

      »Wir haben kurz überlegt, wie wir am besten weitermachen.« Schneyder riss seine blauen Augen unnatürlich auf, wohl, um ihm mitzuteilen, dass er versuchte, die Situation zu deeskalieren. »Herr Ziegler, wären Sie so freundlich und würden mit den beiden Herren hier«, er zeigte auf den Kurdirektor und den Bürgermeister, »das Gespräch an einem ruhigeren Ort fortsetzen? Bitte nehmen Sie alles an Hinweisen auf. Alles könnte nützlich sein.«

      Thies brummte zustimmend. Anscheinend fühlte er sich von Schneyder bekräftigt, aber Martin erkannte an dessen Miene, dass er vor allem jeden weiteren Eklat vermeiden wollte. Die Sache konnte brisant genug werden, ohne dass sich schon der innerste politische Zirkel zerfleischte.

      »Klar. Übernehme ich«, antwortete er schnell.

      »Wenn Sie mir Ihre Kollegin hierlassen würden? Sie kann mir behilflich sein, die anderen Meinungen einzuholen.«

      Augenblicklich

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