Inselduell. Anja Eichbaum
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Martin schüttelte den Kopf. Er verstand Thies nicht, verstand ihn schon lange nicht mehr. Dabei hatte er seine Sache als Bürgermeister viele Jahre ordentlich gemacht. Die Insulaner mochten ihn, und er war über fast die gesamte Dienstzeit meist ein besonnener Erneuerer der Insel gewesen, dem die Meinung seiner Wähler nie egal war. Aber seit etwas mehr als einem Jahr war aus ihm ein hoffnungsloser Patriarch geworden, der sich für allwissend und allmächtig hielt. Hinter vorgehaltener Hand hatte es schon Gerüchte gegeben. Eine degenerative Erkrankung, mutmaßten die einen. Die anderen sahen es als normalen Verlauf eines Menschen, der zulange am Machthebel saß. Werden sie denn nicht alle so, wurde argumentiert. Deswegen kann man doch keinem von denen auf lange Sicht trauen, hatte manch einer gemeint. Das sollte ja jetzt ein vorläufiges Ende haben. Neue Besen kehren gut, und das konnte sich nach der Wahl beweisen. Mit dem heutigen Tag allerdings lagen die Dinge anders. Was für Voraussetzungen für den nächsten Amtsinhaber, egal, wer gewinnen würde. Was für eine Bürde.
*
»Und sie hat die Kinder wohin mitgenommen?«, fragte Anne, während sie die Lauchstangen putzte.
Martin stellte die Colaflasche zurück in den Kühlschrank und drehte sich mit dem gefüllten Glas zu ihr herum. Er mochte es, wenn sie ihre Stirn so konzentriert in Falten legte. Kochen war nichts, was sie gerne tat, das war fast immer sein Part, aber heute hatte sie ihm angeboten, zusammen die Suppe zuzubereiten. »In eine Inobhutnahmestelle. Man will so schnell wie möglich versuchen, Angehörige ausfindig zu machen.«
»Das kann doch nicht sein, dass es niemanden gibt, der sich für die Kinder verantwortlich fühlt, oder?«
»Soll ich die Zwiebeln übernehmen?«, fragte er statt einer Antwort, die er selbst nicht hatte, und griff in den Keramiktopf, der auf dem Kühlschrank stand.
Anne nickte. »Gerne. Und bitte die Möhren. Ich schäle die Kartoffeln.«
»Okay. Welche Toppings möchtest du? Paprika? Dann würfele ich sie schon mit.«
»Kannst du machen. Für mich ansonsten nur Sonnenblumenkerne.«
»Gut, dann heute das kleine Programm. Ich habe nichts dagegen. Mir ist das alles ziemlich auf den Magen geschlagen.«
»Kann ich mir denken.« Anne fuchtelte mit dem Messer in der Luft, als sie gestenreich ihre Worte unterstrich. »Peng. Und das war’s, dein Leben. Einfach so. Gerade noch voller Träume und Ziele, und dann kommt einer daher und löscht alles aus. Heftig. Was aber wirklich unfassbar ist, das alles passiert auf unserem kleinen Sandhaufen und nicht in einem drittklassigen, vorausschaubaren Hollywoodfilm.«
»Das trifft genau die Stimmung auf der Insel, nachdem sich die Nachricht verbreitet hat.« Martin strich sich vorsichtig mit dem Handrücken über die Wange. Die Zwiebeln brannten in den Augen, obwohl er erst die Schale entfernt hatte. »Die Tatsache, dass Frau Mertens erschossen wurde – und dass es wohl eine kalkulierte Tat mit Botschaft war.«
»Also doch politisch motiviert? Das geisterte sofort als Gerücht herum.«
»Das ist das Seltsame. Da hat jemand eindeutig versucht, die Tat mit einer Bedeutung aufzuladen. Aber noch ist unklar, in welche Richtung das geht. Erstens: Warum sollte uns der Täter einen Hinweis geben wollen? Also ist davon auszugehen, dass er uns an der Nase herumführt. Ablenken will.«
»Und zweitens?«, hakte Anne nach, als er nicht weitersprach.
Er wandte den Blick vom Küchenfenster ab. Eine grölende Gruppe Jugendlicher hatte für einen Augenblick die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
»Ach so, ja, zweitens. Es ist doch beileibe nicht so, dass sich die drei Parteien im Wahlkampf bis auf das Blut bekämpft hätten. Du weißt doch selbst, was geredet wurde: Wen soll man denn da wählen? Pest oder Cholera? Die kümmern sich doch alle nur um den eigenen Vorteil. So ungefähr.«
»Schon.« Anne zog das Wort in die Länge, was Martin stutzen ließ.
»Es gibt also aus deiner Sicht ein Aber?«, wollte er wissen.
»Na ja, es gab schon Unterschiede.«
»Das habe ich nicht geleugnet. Aber die großen Themen waren doch mehr oder weniger bei allen gleich. Allein die Nuancen …«
»Da konnte sich der ein oder andere schon in Rage reden. Und hast du die Wahlplakate gesehen? Die sind alle verziert worden. Und zwar ziemlich übel, wenn du mich fragst.«
»Hm. Ja, habe ich mitbekommen, wenn auch nur am Rande. Nach dem Schock wollte keiner der Parteien mehr über beschmierte Plakate reden.« Er öffnete den Mülleimer und streifte die Zwiebelschalen vom Schneidebrett. »Die Möhren gewürfelt oder in Scheiben?«
Anne schaute ihn irritiert an. »Was?« Dann lachte sie. »Blödmann. Du willst mich bloß ärgern mit der Frage, wie jedes Mal. Wird doch nachher alles püriert.«
»Nicht ärgern. Nur prüfen, ob sich deine Kochkünste langsam verbessern.« Er gab ihr einen Kuss.
»Du lenkst mich ab. Lass uns weiterdenken. Die Plakate. Immerhin waren alle davon betroffen. Es war nicht so, dass sich jemand gezielt Petra Mertens herausgegriffen hätte.«
»Stimmt. Wobei man unterschiedlicher Meinung sein kann, wie bösartig diese Symbole zu bewerten sind. Kommt ja auf den eigenen politischen Standpunkt an.«
Anne zeigte diesmal mit dem Sparschäler auf ihn. »Genau. Ich persönlich finde, dieses Bärtchen geht gar nicht. Und du weißt, dass ich das nicht sage, weil ich auf einmal KWKs Politikstil gut finde.«
»Zumindest zuletzt nicht mehr, meinst du.«
»Egal. Was ich sagen will, ist, dass ich dieses eindeutig sexistische Geschmiere bei Petra Mertens am ekelhaftesten fand. Ja, ich hätte sie gewählt.« Anne hob beide Arme. »Das lässt mich parteiisch sein. Aber schon aus Frauensolidarität finde ich das Geschmiere zum Kotzen. Und ehrlich: ein paar Dollarzeichen in den Augen? Das ist doch eher zum Gähnen.«
»Okay.« Martin ließ die Zwiebeln in einem Topf mit heißem Öl aus. »Unterm Strich heißt das, unser dynamischer Politprofi soll auf die Verdächtigenliste. Deiner Meinung nach.«
»Du hörst dich so flapsig an.«
Martin schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. So ist es überhaupt nicht gemeint. Ich bin genauso geschockt wie alle anderen. Kennst das doch, das mit dem Kompensieren. Zu Hause wirkt das alles, als wäre es nie geschehen. Als wäre es ein Krimi im Fernsehen und wir rätseln ein bisschen mit.«
»Ich bin schuld. Sorry. Ich habe es in die banalen Bahnen gelenkt.« Anne kam zu ihm und schmiegte sich an ihn.
»Quatsch.« Abrupter, als er wollte, löste er sich von ihr. »Mir hilft das ja. Wenn ich mit dir rede. Weil ich dann anders sortieren kann als auf der Dienststelle. Wo ich nach zwei Seiten zu schauen habe: um mit meinen Leuten weiterhin die Insel zu sichern und um gleichzeitig den Fallermittlern die Arbeit zu erleichtern.« Es zischte, als er das angeschmorte Gemüse mit einer Brühe ablöschte. »In einer Viertelstunde können wir essen. Was willst du trinken? Soll ich einen Wein öffnen?«
Anne winkte ab. »Nein, nur ein Wasser, bitte.« Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Arbeitsfläche und beobachtete ihn. »Das ist schon alles sehr seltsam. Du hast recht. Es gibt nichts,