Der Wal. Ally Klein

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Der Wal - Ally Klein

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setzte einen Schritt nach vorne.

      Kaum war er unter dem Regen, hing die Zigarette lappig von seinen Lippen. Er brach den Filter ab, steckte ihn sich in die Jackentasche, zerdrückte den feuchten Tabak und warf ihn auf den Boden, wo der gekräuselte Schnitt sofort von den Fluten fortgerissen wurde. Das Wasser rann ihm das Gesicht hinunter, den Nacken, kurz vor der Ortsmitte ging es durch die Kleidung, der Stoff hatte sich komplett vollgesaugt. Es tropfte ihm von den Ärmelenden, von den Hosenenden, tropfte vom Jackenbund, lief ihm in Strömen über die Haare. Mühsam schleppte er diese triefende Last voran. Der Regen drängte sich ihm in den Mund, sodass er ihn ausspucken musste, drängte sich ihm in die Augen, Saul konnte kaum geradeaus sehen. Das Wasser hatte ihn aufschwemmen lassen, hatte ihn aufgeweicht, er hätte sich jeden Moment auflösen, in matschige Klumpen zerfallen können. Saul schleppte sich vorwärts, jeder Schritt platschte durch die Ströme, die den Abhang hinunterrollten. Nach der Ortsmitte stampfte er den Hügel hinauf, den es in einer einzigen Woge hinunterspülte, lehnte sich vor, während der Anstieg ihn immer mehr in die Knie zwang. Er beugte sich vor, die Fersen berührten kaum noch den Boden, die Knie wurden mit jedem Schritt hinauf mehr gespitzt. Er stützte sich darauf, die Schritte wurden kürzer, wurden schwerer. Außer Atem, sodass man sogar durch den Regen das Rasseln in seinen Lungen hörte, schnappte er nach Luft, blieb endlich stehen und richtete sich auf. Jedes Mal, wenn er Luft holte, blähte sich der Rücken auf, die Schultern gingen hoch und senkten sich, die Schulterblätter drückten bei jedem Atemzug gegen den robusten Stoff der Jacke. Der Regen beschoss seinen Körper, schlug auf den vollgesaugten Filz ein. Die Haare klebten am Hinterkopf, es rann ihm die Wölbung hinab über den Nacken in den Kragen, die Kleidung haftete auf der Haut.

      Oben an der Gabelung, wo der Asphalt aufhörte und Schutt den weiteren Pfad markierte, stand Saul, mit dem Rücken zum Ort, und verharrte. Endlich, langsam und nur nach und nach drehte er seinen Kopf, drehte ihn allmählich zur Seite, immer weiter, sodass das Kinn den Kragen der linken Schulter streifte, der Oberkörper drehte sich mit, schrittweise hob sich der Blick. Noch sahen die Augen nach unten, aber je weiter sich der Kopf nach hinten bewegte, hoben sich die Lider, die Pupillen wanderten nach oben, wanderten immer weiter nach links, Saul drehte sich langsam um, während die Fußspitzen immer noch in Richtung der Anhöhe zeigten, er drehte seinen Kopf immer weiter, den Rumpf, die Pupillen wanderten nach oben, bis sie die Mitte des Augapfels erreichten, und da stoppten sie.

      Sie fixierten einen Punkt, diesen einen Punkt, aus dem Saul beobachtet wurde, diesen einen Punkt, der ihm folgte, diese Augen, die jeden seiner Schritte nachvollzogen, jede seiner Bewegungen überwachten, er fixierte sie, stierte in sie hinein. Der Regen strömte über sein Gesicht. Das Wasser rann ihm um die Lider, tröpfelte von den Wimpern hinab, lief über die Wangen. Saul blinzelte nicht, er heftete seinen Blick, stand reglos da, entschlossen, er schaute nicht, schaute diesmal nicht, sondern sah. Erwischt, ertappt hatte er diese Augen, die ihm so unmerklich zu folgen schienen, er sah sie direkt an. Belauert hatten sie ihn, beschattet, unbemerkt hatten sie ihm nachgeschnüffelt. Sie waren überall dabei, waren bei seiner Begegnung mit dem Tier dabei, waren da, als er sich die Zigarette angezündet hatte, anwesend, als er über die Ortschaft schritt und sich vom Regen vollquellen ließ. Sie waren ihm überallhin gefolgt und würden ihm von nun an weiter folgen, heimlich und im Verborgenen, dachten sie, aber Saul wusste um sie. Er sah sie an, durchbohrte sie mit seinem Blick, den schwarzen Iris.

      Er nickte unmerklich, drehte langsam seinen Kopf wieder nach vorn, wandte sich um, hielt noch kurz inne und bog nach links ab, den Kieselweg hinauf.

      Der feine Schotter prägte sich in den Schlamm unter seinen Sohlen ein, drückte sich in den Dreck und wurde mit jedem seiner Schritte fortgetragen. Saul ging den Hügel hinauf, je höher er stieg, desto mehr schrumpfte er in die Landschaft hinein. Immer kleiner und kleiner verschwand er oben in der Einfahrt.

      1.

      Mitten in der Nacht hatte der Regen abrupt aufgehört, als hätte man ihm den Hahn abgedreht. Saul öffnete die Augen, das schlagartige Verstummen hatte ihn geweckt. Er setzte sich auf, stellte die Füße auf den Boden – die Kälte schlug in die nackten Sohlen. Vom oberen Rahmen des kleinen Fensters ihm gegenüber schlitterten die verbliebenen Tropfen in Schleifen über die Scheibe. Saul nahm das Wasserglas vom Nachttisch, trank es leer. Er stand auf, holte sich Socken, schlüpfte in die Stiefel, ohne sie zuzubinden, warf sich den Mantel über und zog an der Tür zur Terrasse.

      Durch die Feuchtigkeit hatte sich das Holz im Rahmen ausgedehnt, die Tür steckte fest, Saul riss sie mit einem unerwartet großen Kraftaufwand auf, sodass sie vibrierte, und trat über die Schwelle.

      Kaum war er draußen, folgte jedem Atemzug ein dampfender Hauch. Jeder seiner wenigen Schritte zum Drahtsessel wurde von einem knarzenden Ton in den Dielen begleitet. Er ließ sich nieder und lehnte den Rücken gegen das weiße Drahtgeflecht. Die Kälte schockte seine Beine, alle Härchen stellten sich sofort auf. Er rieb sich die Oberarme, klemmte die Hände in die Armbeugen, um wenigstens die Finger warm zu halten, warf den Kopf zurück und atmete in einer Wolke aus.

      Die überwinterten Grashalme, mit dicken Wassertropfen beladen, hielten deren Gewicht nicht stand, beugten sich bis zum Anschlag. Hin und wieder rutschten die schweren Wasserläufe ihre Buckel hinunter, verschwanden in der klammen Erde. Das Gewicht losgeworden, rappelten sich die Grasspitzen dennoch nicht mehr auf, faulten in den feuchtkalten Boden hinein.

      Die Büsche um das Grundstück herum hatten sich aufgefächert, ihre dünnen, spitzen Zweige, die feinen Fühler in alle Richtungen gespreizt und waren erstarrt. Der größte der Bäume, die Platane, reckte sein krummes Astwerk wie Antennen zum Himmel, harrte, horchte in dessen einsame Weiten hinein. In einer Grabesstille warteten sie alle darauf, dass etwas passierte, warteten den ganzen Winter, dass ihre Verlassenheit bemerkt und erhört wurde, warteten und hofften, vergeblich.

      Wie in einer Zeitstarre stand alles reglos da, in der Sekunde erschlagen. Überallhin hatte sich die Dunkelheit ausgeschwärmt. Schweigend saß sie im Gewirr der Sträucher, im fädigen Gewirr der Ruten, saß im hart getrockneten Laub, in jede Leerstelle, jeden Spalt hatte sie sich eingeschlichen. Alles hatte sie sich einverleibt, saß da und lauerte, starrte aus ihrer Leere, mit ihren tausend Augen, die dunkle Materie, die alles in sich eingemummt hatte.

      Nur auf der Wäscheleine, mitten auf der Wiese zwischen zwei Pfählen gespannt, rutschten verstohlen die Tropfen in die Mitte des locker angebrachten Seils, hingen einen Moment lang mit ihrem gesamten Gewicht dran, und sobald der Nachschub kam, fielen sie geräuschlos auf die Erde.

      Saul saß auf seinem Stuhl, starrte unverwandt auf die einzige Zeitigkeit, die sich in diese Starre eingeschleust hatte, und beobachtete einen Tropfen nach dem anderen, deren Abgleiten in immer größeren Abständen geschah. Langsam stahl sich auch das Licht zwischen die eisenfarbene Masse des Himmels ein und zerteilte sie in Wolken. Aus den Bäumen, wo die Dunkelheit gerade noch alles totgeschwiegen hatte, begann es zu zwitschern. Der Tag kündigte sich an.

      2.

      Er musste auf dem Stuhl kurz eingenickt sein. Saul öffnete die Augen, das gräuliche Tageslicht hatte jegliche Erinnerung an den Traum ausgelöscht. Er lehnte sich vor, die Glieder, in der morgendlichen Kälte steif geworden, ließen sich nur schwer bewegen. Er beugte den Kopf, buckelte seinen Rücken und spürte jedes Knötchen, das sich in den Muskeln eingenistet hatte. Es rasselte leise aus ihm, über die Dauer des Schlafs hatte sich der übliche Belag in seinen Lungen angesammelt, der dicke, zähe Film hatte seine Lungen eingepuppt, er hustete ihn ab und machte diesem lebensvernichtenden Gespinst mal wieder einen Strich durch die Rechnung.

      Saul erhob sich, verließ die Terrasse und setzte einen Kaffee auf.

      Der Espressokocher röchelte, lauter als das Geräusch in Sauls Rumpf, er hob frühzeitig den Deckel an, Schaum spritzte aus dem Steigrohr. Er goss den Kaffee in eine kleine Tasse und trank ihn am Herd, gedankenverloren, an die Kochzeile gelehnt. Mit dem Kaffee schnell fertig geworden,

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