Der Wal. Ally Klein

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Der Wal - Ally Klein

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Flügel voll, sodass sie gegen den Rippenkäfig drückten. Prall geworden, quetschten sich die Lungen gegen die Rippen, alles in seinem Rumpf weitete sich, der Bauch trat hervor, alles mit Leere gefüllt, er hätte platzen können. Saul taumelte und spannte den gesamten Körper an. Er stockte und atmete langsam aus, schrumpfte auf sein übliches Sein zurück.

      In dämmerblaue Haut gehüllt, stand er da und ließ sich von den Luftstößen anschlagen. Der Wind versetzte ihm mehrere Hiebe ins Gesicht, stieß ihn mit Gewalt zurück, rempelte ihn an. Saul hätte sich nach vorne fallen lassen können, hin zum Abgrund, und es wäre nichts passiert. Die Stöße prallten auf ihn von vorne, rammten ihn an der linken Schulter, der rechten, schlugen auf ihn ein, schlugen aufeinander ein. Saul schloss die ausgetrockneten Augen und ließ sich vom Wind durchfegen. An den Haarwurzeln zog es, die Haare peitschten ihm ins Gesicht, in Strähnen schleuderte es sie hin und her, und plötzlich, unerwartet, schlug der Wind so heftig zu, dass Saul leicht nach hinten kippte. Um die Balance in den Griff zu bekommen, riss er die Augen auf und machte einen Schritt zurück, um sich gerade noch auf den Beinen zu halten.

      Da sah er sie. Sie stand ruhig neben ihm, die Haare wanden sich wie aufgescheuchte Schlangen, aber sie stand regungslos, vom Wind wie unberührt. Den Blick nach vorne gerichtet, schaute sie in die weite Dunkelheit, schaute, ohne zu blinzeln, stand wie errichtet neben ihm, einen Schritt weg vom Abgrund.

      Jedes Mal, wenn ihre Haare aus dem Gesicht flogen, erhaschten seine Augen ihre Züge. Ein Profil wie jedes andere, er hätte sie kennen können, hätte sie in dieser Ortschaft jeden Tag zufällig passieren können, und sie wäre ihm wahrscheinlich nicht aufgefallen. Sie starrte in die Ferne, heftete ihren Blick entschlossen auf etwas. Er versuchte, den Weg ihrer Pupillen nachzuverfolgen, sah ebenfalls in die Weiten der Nacht, aber da gab es keinen Punkt, den sie hätte fixieren können. Mehrmals blickte er auf sie, seine Augen wanderten zum Tal, wanderten zurück zu ihr, aber ratlos stand er daneben. Sein Mund öffnete sich, etwas Kurzes, an sie Gerichtetes entschwand ihm, aber der Wind hatte es stumm gepfiffen. Er versuchte es nochmal. Seine Kehle presste Laute hervor, die die Zunge und die Lippen mit Bedeutung versahen, aber erneut war jedes Wort im Wind untergegangen. Diesmal spannte er seinen gesamten Körper an, holte tief Luft, die Stimme stieg aus seinem Inneren, aus dem Bauch in den Rachen, bahnte sich ihren Weg durch die Mundhöhle, die Zunge streifte sachte den Gaumen, streifte die Zahnreihen, die Lippen trafen sich und fuhren auseinander, taten alles, um dem, was da herauskam, einen Sinn zu geben, um die Buchstaben unterscheidbar zu machen, die hörbaren, die stummen, die sich zu einem Guss, einem Satz verschmolzen hatten, zu einer sinntragenden Masse hatten sich die einzelnen Wörter geschweißt, aus Wörtern wurden Worte – aber nichts war von alledem zu hören, immer noch das unartikulierte Wiehern des Windes, das sich durch den hohlen Abgrund jagte.

      Der Himmel auf Augenhöhe, färbte er sich in ein düsteres Grau, und langsam ließen sich die Hügelspitzen erkennen.

      Der Wind blies Saul die Haare aus dem Gesicht. Er taumelte erschrocken und stützte sich mit einem Schritt nach hinten. Kaum hatte er sich bewegt, drehte sie ihren Kopf in seine Richtung, drehte ihn wie ein Greifvogel zu ihm, nur den Kopf am unbewegten Körper, und heftete ihre Augen auf ihn. Für eine einzige Sekunde weiteten sich ihre Pupillen und schrumpften sogleich auf einen Punkt zurück. Saul stand wie erschlagen da, nichts regte sich an ihm, der Wind pfiff durch seine Ohren, pfiff durch seine Nase, pfiff durch seinen Körper. Sie starrten sich an, aber weder er noch sie rührte sich. Sauls Mund brach diesen Stillstand. Die Laute, bedeutungsbeladen, drückten sich wieder durch seinen Rachen, wie Knollen würgten sie sich hoch und, durch die Lippen geformt, gewannen sie erneut an Gehalt. Er sprach, aber auch diesmal hatte der Wind jeden einzelnen Ton in seinem Heulen erstickt. Nur Saul wusste um den Inhalt dieser Laute, nichts war jedoch zu ihr durchgekommen. Sie starrte immer noch auf ihn, ohne zu blinzeln. Saul rappelte sich auf, hartnäckig wiederholte er seinen Satz, der jedes Mal vom Wüten des Windes zunichtegemacht wurde. Er ballte seine Fäuste und brüllte ihn nochmal, schrie ihn gegen den Wind, der ihn immer wieder auslöschte, Saul wiederholte den gleichen Satz, wiederholte ihn, bis er seinen Sinn verlor, wiederholte ihn, bis jedes einzelne Wort zu einer Ansammlung an Lauten verkam, er wiederholte sie trotzdem, bis zur Verzweiflung brüllte er gegen diesen Lärm, aber nichts erklang, nichts bahnte sich seinen Weg zu ihr. Saul riss seine Augen auf und, statt einen neuen Versuch zu wagen, entließ er diesmal einen Schrei, einen wortlosen, verwahrlosten Schrei. Mit einem Mal legte sich der Wind, von einem Moment auf den anderen brach das Tosen ab, schlagartig fielen die flatternden Haarenden auf die Schultern, die unbändige Kleidung hörte auf, sich vom Körper losreißen zu wollen. Nur der Schrei durchschnitt die Luft. Diese vom Körper losgerissene Stimme schmetterte sich durch die Leere, echote durch das Tal, hallte zurück und drang in Sauls Ohren – er erschrak. Er fuhr zusammen, klappte den Mund zu, und sein Blick sprang sofort zu ihr. In Angst, bei ihr das gleiche Entsetzen hervorgerufen zu haben, richtete er besorgt seine Augen auf sie, nur um festzustellen, dass sich nichts in ihrem Ausdruck verändert hatte. Von seinem Ausbruch unbeeindruckt, sah sie ihn an, stierte teilnahmslos in seine Augen, dann, endlich, wandte sich ihr Blick von ihm ab und verlagerte sich auf den Wald hinter ihm.

      Statt dem finsteren Wall waren schwarzgrüne, hochgewachsene Fichten in Erscheinung getreten, aber nur in den vorderen Reihen, während im Waldinneren weiterhin surrende Dunkelheit lauerte. Saul folgte ihrem Blick. Kaum hatte er ihn auf den Wald geheftet, sah er sie schon an sich vorbeiziehen. Sie passierte ihn geräuschlos, wie ein Gespenst, und peilte das undurchdringbare Baumwerk an. Sie bewegte sich geschickt durch den Irrgarten herumliegender Zweige voran und, in der Entfernung zu einer winzigen Figur geworden, verschwand sie bald hinter den groben Stämmen.

      Sie blieb stehen, sobald sie es in ihrer Nähe knacken gehört hatte, wandte sich um und sah Saul wortlos ins Gesicht. Zwischen die Einkerbungen ihrer Brauen hatte sich die Dunkelheit gebettet. Zwischen die Lippen hatte sie sich geschlichen, unter die Augen, hatte die feinen Zuglinien zu schwarzen Flecken ausgedehnt. Jede Einbuchtung und Furche füllte sie mit ihrer dunklen Materie. Die Nacht klammerte sich an jede Gelegenheit, um sich zu erhalten, bevor sie sich vom Tag fortjagen ließ.

      Sie setzte ihren Gang erst dann fort, nachdem Saul mehrere Schritte von ihr weggetreten war, sich um mehrere Meter von ihr entfernt hatte, sodass der Abstand zwischen ihnen so groß war, dass sie füreinander keine Menschengröße mehr darstellten. So liefen sie durch den Wald, während das Morgenlicht sich verhalten durch die Wipfel fallen ließ. Je länger sie liefen, desto tiefer versuchte es hindurchzudringen, aber gelangte nicht weit über die Spitzen hinaus. Jeder Ast, schwer herunterhängend, schirmte den Anbruch des Tages ab, beherbergte die Nacht, die dort zumindest noch die nächsten paar Stunden walten durfte, nur noch in den kleinsten Verstecken des Zweigwerks, um dann Stunden später mit gesammelter Kraft wieder den Tag in Gewahrsam zu nehmen.

      Sie stampften über wuchernden Efeu – Blätter wie deformierte Hände, zusammengeschmolzene Fingerglieder, schmarotzten sich aus dem Boden durch die gesamte Landschaft. Seine Sprossachsen krochen über Baumstämme, verholzten und rissen sie langsam in den lichtlosen Tod. Unter den Fußsohlen knacksten die abgefallenen, ausgetrockneten Zweige, wie Baumgebeine. Saul lief von Stamm zu Stamm, folgte jedem ihrer Schritte, bis der Wald abrupt aufhörte.

      Mitten im Morgen stand sie unter dem kahlen, weißen Himmel. Mitten im Morgen holte Saul sie ein, die mit dem Ende der Dunkelheit stehen blieb. Er trat aus dem Wald, sie standen nebeneinander da.

      4.

      Der Löffel schlug gegen das feine Porzellan, als sie den Zucker in ihrem Kaffee auflöste. Sie rührte, obwohl die kleinen Kristalle sich längst verflüssigt haben mussten, rührte die Temperatur aus dem Getränk und stierte gedankenverloren in den Strudel vor sich. Nach einer Weile nahm sie den Löffel heraus, klopfte damit auf den Tassenrand und legte ihn auf den Stehtisch.

      Nebeneinander, auch wenn zwei Meter dazwischen, waren sie die Straße hinuntergelaufen. Hin und wieder schielte Saul verstohlen zu ihr, aber sie lief geradeaus, ohne auch nur einmal seinen Blick zu erwidern. Als sie sich dem Café näherten, streckte Saul mechanisch seinen Arm nach ihr aus, tippte sie sachte

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