Berliner Novellen. Clara Viebig

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Berliner Novellen - Clara Viebig

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      © 2017 e-book-Ausgabe

       ­Rhein-Mosel-Verlag

       Brandenburg 17 D-56856 Zell/Mosel

       Tel. 06542/5151 Fax 06542/61158

       www.rhein-mosel-verlag.de

       Al­le ­Rechte vor­be­hal­ten

       ISBN 978-3-89801-852-4

       Aus­stat­tung: Stefanie Thur

       Ti­te­lbild: Eduard Gaertner »Die Parochialstraße«

       Korrektur: Melanie Oster-Daum

      Clara Viebig

      Berliner Novellen

      RHEIN-MOSEL-VERLAG

      Die Einzige

      Sie hatten sich nun doch geheiratet, trotz alles Abredens der Verwandten.

      »Du weißt nicht, was die Ehe ist«, hatte die Mutter zur Tochter gesagt und die Stirn kraus gezogen. »Er hat bereits ein Leben hinter sich; du bist die erste nicht, die ihm gefällt. Du wirst ihn nicht fesseln, du bist zu jung für ihn, zu unerfahren, zu – zu – zu wenig pikant. Er bedarf der Abwechslung. Man weiß, – es wird mir schwer, aber ich muss es dir sagen, – daß er Geliebte gehabt hat, mehr als eine! «

      »Ich bin seine einzige Geliebte, ich werde die einzige sein – ja, sieh mich nur nicht so an, Mutter – ich, ich ganz allein!« hatte die Tochter gerufen und den blonden Kopf mit leidenschaftlichem Schütteln in den Nacken geworfen. »Laß mich!«

      »Törichtes Kind!« Die Mutter seufzte und dann weinte sie. »So tu, was du nicht lassen kannst und willst!«

      Die Tochter hatte leise nachgeseufzt und die Hände heimlich gefaltet. »Lieber Gott, laß mich glücklich werden und ihn auch! – Warum sollte ich nicht glücklich werden?! Ich liebe ihn, und er liebt mich!« Und als der Bräutigam kam, hing sie sich ihm an den Hals und flüsterte ihm ins Ohr: »Liebst du mich, wirst du mich immer, immer lieben?! Nicht wahr, ich bin deine Geliebte, deine einzige Geliebte?«

      Er sagte nichts, aber er küßte sie auf die Wangen, auf die Augen, auf den Mund, und sie erschauerte unter seinen Küssen.

      So heirateten sie.

      Nun war über ein Jahr seit ihrer Hochzeit verstrichen.

      Ein trübtrauriger schwerer Novembertag. Der Regen schlägt eintönig mit hartem Trommeln an die Fenster, die blind von Nässe sind; man kann nicht auf die Straße sehen. Noch ist es nicht Abend, und doch ist es auch kein Tag mehr; die Grenze ist da, auf der sich Licht und Finsternis scheiden.

      Ein graues Dämmern hockt in den Zimmerecken und kriecht über die Tapeten. Der Spiegel starrt wie eine blanke, undurchsichtige Scheibe von der Wand. Hinter dem hohen Eichenschrank knistert es, die geschnitzten Engelsköpfe an seinen Türen sind Fratzen geworden; das verglimmende Feuer im Kamin wirft einzelne zuckende Streifen über den Teppich.

      Es ist sehr still in dem eleganten Raum. Die seidenen Vorhänge und Portièren hängen schlaff nieder, dunkler und dunkler werden sie in ihren Falten. Die Frauengestalt, die auf der Chaise­longue liegt, die Arme hinterm Kopf verschränkt, rührt sich nicht.

      ›Trom, trom, trom‹ macht der Regen an den Scheiben; immer dasselbe eintönige Geräusch. Es kann einen krank machen, ganz elend, man muß weinen und weiß selbst nicht warum. –

      »Oh –!« Ein langer, zitternder Seufzer hallte durchs Zimmer, in der Stille klang er lauter; die Seufzende erschrak vor dem eignen Ton. Sie fuhr zusammen und richtete sich dann auf, ihre Füße hingen von der Chaiselongue herunter und baumelten unruhig hin und her. So saß sie, dem Kamin zugewendet.

      Das Feuer glimmte wieder stärker, von einem Windstoß, der sausend durch den Schornstein herabfauchte, aufgestört. Der Feuerschein zeigte jetzt das bleiche Gesicht mit den weiten Augen, die ganze jugendlich-schmächtige Gestalt vom blonden Haar herab bis zur zierlichen Schuhspitze. Das waren noch die weichen Mädchenzüge mit der zarten Rundung des Kinns und den schwellenden Lippen, aber eine nachdenkliche Falte hatte sich zwischen den Brauen festgesetzt, und die Augen waren nicht mehr rund, kindlich-zärtlich, sie waren sehnsüchtigdunkelumrandet.

      Nun stützte die junge Frau den Arm aufs Knie und legte die Wange in die Hand; sie starrte ins Feuer und wippte dabei mit der Fußspitze auf und nieder.

      Ganz allein, ganz allein – –!

      Der Wind im Schornstein machte melancholische Musik, langgezogen tutete er; der Regen trommelte stärker. Jetzt ist die Stunde, sich an jemand anzuschmiegen, die Arme um einen Nacken zu schlingen und zu flüstern: »Liebst du mich?«

      Die Lippen der jungen Frau bewegten sich, sie murmelten etwas und dann zuckten sie schmerzlich. Die großen Augen zwinkerten, langsam füllten sie sich mit Tränen – da, horch, ein Klingeln an der Entreetür!

      Die Einsame fuhr vom Sitz empor, ihr Herz klopfte. Wenn man oft und lange vergeblich gewartet hat, wird man nervös.

      Mit bebenden Händen strich sie sich das Haar aus der Stirn – warum machten die draußen nicht auf, war denn keiner von der Dienerschaft da?

      Sie sprang zur Stubentür und riß sie auf, ihr graute plötzlich so allein. Als bliese ihr ein kalter Hauch ins Genick, so sah sie sich hastig scheu um.

      Der lange Korridor war ganz leer. Durch die bunten Gläser der Ampel blinkte das Licht trübe. Sie schienen alle fort zu sein, die Mädchen, sowie der Bursche; sie standen wohl auf der Hintertreppe und schäkerten mit andern. Da – wieder der schrille Ton der elektrischen Klingel!

      Leise schlich die junge Frau zur Entreetür und sah durch das runde Guckloch. Draußen auf dem Absatz der Marmortreppe stand eine Gestalt im Regenmantel, einen kleinen Hut mit Schleier tief ins Gesicht gedrückt – eine Frau, ein Mädchen. Wohl irgend­eine Schneidermamsell oder die Jungfer einer Bekannten.

      Die Dame öffnete: »Was wünschen Sie?« Sie fragte es ganz freundlich, war sie doch froh, die eigne Stimme zu hören, begierig auf die eines andren Menschen. Die Stille bedrückte sie.

      »Ist der Herr Rittmeister zu Haus?« fragte die draußen und schob sich langsam zur Tür hinein. Das Wasser tropfte von ihrem Regenmantel; wo sie stand, war bald eine kleine Lache. Unter dem einstmals eleganten Hut hingen ein paar mattblonde Haarsträhnen vor, der Schleier hatte mitten auf der Nase ein Loch.

      »Nein, er ist nicht zu Hause. Wünschen Sie etwas?«

      »N – – – ein – ja, ne – doch. Ja, ich möchte ihn sprechen!« Zögernd blieb die Fremde stehn und sah unschlüssig auf ihre Fußspitzen. »Ich habe so ’nen weiten Weg – wann kommt er denn heute wieder?«

      »Ich weiß es nicht.« Über das hübsche Gesicht der Frau Rittmeister flog es wie Verlegenheit. Was sollte sie für Auskunft geben? Ihr Mann teilte ihr nie mit, wann er wieder kam. ›Kind, du mußt mich nicht quälen,‹ pflegte er zu sagen, ›frage nicht so viel – ja, ja, ich weiß schon, du liebst mich, du bist meine goldne Maus, meine kleine Puppe, meine einzige Geliebte!‹

      »Ich weiß es nicht«. Die junge Frau sagte es tonlos und schlug die Augen dabei nieder. Die Blicke der anderen waren so unbequem, geradezu quälend; unter dem weißen, schwarzgepunkteten Schleier bohrten sie sich dunkel, halb dreist, halb scheu, hervor.

      »So

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