Berliner Novellen. Clara Viebig

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Berliner Novellen - Clara Viebig

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der Staub in Wolken flog. Und dann nur Wasser zu trinken – Wasser – brr! Er schüttelte sich und stöhnte und sah sich wie hilfesuchend um.

      »Mach der doch dünne«, flüsterte Schnaps-Willem und grinste pfiffig. »Eh’ se der ausbaldowern, dauert det noch ’ne Weile. Du wirst ooch den Kohl nich jrade fett machen. Dali! Ik weeß nich, uf wat de noch wartst!«

      Recht hatte der Schnaps-Willem. Wo so viele Vaterlandsverteidiger übten, kam es wirklich auf einen weniger nicht an! Und Ede drückte dem Freund dankbar die Hand und verließ schleunigst die warm-besonnte, grüne Bank in den warm-besonnten grünen Anlagen. –

      Acht Tage drückte er sich nun umher in allen möglichen dunklen Ecken; wie ein lichtscheues Tier traute er sich nur nachts heraus aus seinen Schlupfwinkeln: den düsteren Kellern abgelegener Baustellen, den verlassenen Bretterbuden und Sandhöhlen der Laubenkolonie des Ostens.

      Nun nährte ihn gar nichts Warmes mehr – er durfte ja nicht in der Sonne sitzen. Die Flasche allein, die ihm Schnaps-Willem jeden Abend getreulich am geheimen Rendezvousplatz zusteckte, befriedigte das Knurren seines Magens nicht. Die Sonne, die Sonne! Er sehnte sich so nach ihr.

      Um Mitternacht wenigstens schlich er nach der grüngestrichnen Bank im Friedrichshain, aber die Sonne schien ja nicht! Und zu allem Mißgeschick fand er noch so ein verdammtes Paar auf seinem Lieblingsplatz, und hinter dem Busch glaubte er plötzlich eine Uniform auftauchen zu sehen.

      Da zitterte er und enteilte, floh durch die nachtstillen Straßen wie ein gejagter Hund und verkroch sich wieder weit draußen im Dunkel in einer halb eingestürzten Bretterbude.

      Die Sonne des neuen Tages zog freundlich auf, aber nicht für den Flüchtling. Der lag in seinem Versteck auf dem Bauch, hatte die Ellbogen aufgestützt und stemmte den schweren Schädel zwischen die Hände.

      Er versuchte zu schlafen, aber wirre Phantasien beunruhigten ihn, er träumte mit offenen Augen. Uniformen mit blinkenden Knöpfen umstellten das Feld.

      – – – Bataillon marrrsch! Ganzes Bataillon kehrt! – –

      Vor seinen Ohren schrillte das Pfeifen der Piccoloflöte, der Tambour schlug die Trommel: »trom, trom« – jedes »trom« fühlte er im Kopf, im Herzen. Bei jedem Trommelwirbel ging ihm ein Zittern durch Mark und Bein. Der Affe drückte, der Schießprügel rieb die Schulter wund, er wollte beide abwerfen, aber sie waren festgewachsen, sie gingen nicht herunter, so sehr er auch zerrte. Und seine Hände zitterten so.

      Der Atem stockte ihm. Durst, Durst!

      Der furchtbare Staub, den all die Beine aufwirbelten, erstickte ihn fast, die Kehle brannte wie Höllenfeuer, ordentlich eng wurde sie. Er tastete nach der Flasche im Sande neben sich – ha, nur ein Schluck!

      Donnerwetter, schon wieder leer! Mit einem Fluch ließ er sie fallen. Er wurde ganz schwach; kaum, daß er noch Energie genug besaß, seinen schwammigen Leib halb aus dem morschen Lattenhaufen heraus zu schieben und mit blutunterlaufenen, verquollenen Augen über’s Feld zu spähen.

      Ach, es war ja keine Seele da! Erleichtert atmete er auf.

      Pah, sie würden’s schon längst aufgegeben haben, ihn zu suchen! Er war dumm, daß er noch Angst hatte. Wer dachte noch an ihn?! Sonst kümmerte sich ja auch keiner um ihn, ob er lebte oder tot war, das war allen ganz schnuppe!

      Warum sollte er sich nicht ruhig wieder trauen, nach der grüngestrichenen Bank zu gehen und sich in die Sonne zu setzen?

      Und so saß er denn wieder auf dem Lieblingsplatz, streckte behaglich die Beine weit von sich in den Sand, vergrub die Hände in die Hosentaschen, hatte die Mütze tief über die Augen gerückt und ließ sich’s warm über den Buckel und in den Magen rieseln. Unbeweglich saß er, wie eine Figur aus dem Panoptikum; er lauschte dem Gesang der Vögel, die am großen Froschteich in den Büschen jubilierten.

      Freundlich von der Sonne beschienen, fand ihn die Polizei.

      *

      Der Reservist Papeczinski war schlapp geworden.

      Eine mörderische Hitze brannte auf die Haide. Die Stiefel wurden grau bis hoch zu den Schäften hinauf, bei jedem Tritt sank der Fuß tief in losen Wüstensand. Und fort ging’s doch im Geschwindtritt, den Tornister auf dem Buckel, den schweren Helm auf der Stirn. Eine lähmende Müdigkeit lag in der Luft; eine Staubwolke, dicht wie ein unzerreißbares Gewebe, hüllte die Kolonne ein.

      Am Himmel keine Sonne; lastend gleich einem durchglühten Bleidach drückte die Wolkendecke. Grau, grau, alles grau bis weit zu dem im Dunst verschwimmenden Kieferngestrüpp.

      Die Mannschaft lechzte – wenn doch ein erlösendes Donnerwetter käme! Lieber naß bis auf die Knochen, als diese stumme, dumpfe, grausame Schwüle! Die Stirnen glühten dunkelrot, große Schweißperlen rollten zäh über die staubbemalten Backen und gruben ihre Spuren ein als hellere Rinnen. Kein Wort war zu hören; die Blicke starr geradeaus gerichtet, die Beine mit gewaltsamer Anstrengung aus dem dürren umstrickenden Heidekraut herausreißend, stampften die Soldaten weiter.

      Da hatte Papeczinski plötzlich an seine Stirn gefühlt, und sein wirrer Blick war nach einem Halt umhergerollt. Der ganze Mann fing an zu taumeln, ließ das Gewehr fallen, griff mit beiden Händen wild um sich.

      Sein Nebenmann packte ihn unter den Arm.

      »Unteroffizier du jour! Unteroffizier du jour!«

      Da war der auch schon. Er schwitzte auch und fluchte innerlich über die Rennerei in der Hitze; aber er war sowas gewohnt, martialisch stand er da.

      »Was’s denn los? Wieder so’n Kerl schlapp jeworden? Lazarettjehilfe! Man los, ’rin mit ihm in ’n Jraben!«

      Sie faßten ihn unter den Schultern und bei den Beinen und schleiften ihn in den Graben unter den halbentblätterten Busch, der keinen Schatten mehr gab.

      Der Erkrankte hatte die Augen glasig halb offen stehen und röchelte; der Unteroffizier und der Lazarettgehilfe blieben bei ihm zurück, während die Kolonne weitertrottete in Staub und Schweiß.

      »Besoffenes Schwein!« schimpfte der Unteroffizier und stieß den Liegenden mit der Fußspitze an.

      »Schwitzt nich mal«, brummte der Lazarettgehilfe, der dem Regungslosen den Rock geöffnet und die Binde gelockert hatte.

      Sie legten ihm seinen Tornister unter den Kopf und machten ihm Umschläge mit dem bißchen Wasser, das sie im halbausgetrockneten Graben fanden; aber, wenn sie ihm auch den letzten Schwurr auf dem Helm ganz über den Kopf gossen, daß die trübe Lake ihm an den Ohren entlang den Hals herunter rieselte, er kam nicht zu sich. Nur als der Gehilfe ihm die Feldflasche zwischen die Lippen preßte, schien sein Leben wieder zu erwachen; gierig schluckte er, um gleich danach mit einem Stöhnen die Lippen fest zusammenzukneifen – ’s war nur kalter Kaffee in der Flasche.

      Der Hauptmann selbst kam angesprengt, um sich nach dem Kranken umzusehen. Auf hohem Roß hielt der Vater der Kompanie am Grabenrand, fuchtelte mit dem Säbel und beorderte dieses und jenes.

      »Kannibalische Hitze – armer Teufel – machen Sie doch mal künstliche Atmung, Kittelmann! So – – –!“

      Der Lazarettgehilfe vergoß Ströme von Schweiß; er hatte Rock und Tasche abgeworfen und arbeitete nun hemdärmelig an dem Patienten herum.

      »Unangenehme

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