Witterung – Lauf so schnell du kannst. Heike Ulrich
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„Bissspuren.“
„Bissspuren?“
„Ja.“
„Sicher?“
„Ja!“
Witzbold machte eine ungeduldige Geste. „Also, ich meine nicht Bissspuren vom Täter, sondern von Tieren. Vermutlich liegt die Frau bereits seit dem Wochenende dort – also mindestens vier Tage. Es spricht alles dafür, dass sie dort vor Ort und vermutlich nachts getötet wurde.“
„Wieso in der Nacht?“
„Tagsüber sind hier Wanderer unterwegs. Da wird vermutlich kaum jemand das Risiko eingehen.“
Das klang plausibel. Heribert dachte nach. Wenn auch dieses Morddelikt auf das Konto von Abraxas ging, hatte sich seine Vorgehensweise definitiv verändert. Auch bei diesem Mordopfer fehlten die für Abraxas typischen Signaturen mit den eingeritzten Zahlenabfolgen – seine Unterschrift, wenn man so wollte.
„Die Felsformation im Hintergrund – wo ist das?“
„Ist der Markusstein, einige Kilometer weg von der Bad Arolser Innenstadt.“
Heribert erinnerte sich, dass der Markusstein ein beliebtes Ausflugsziel war. Doch er hatte sich während seiner Reha gegen diese geführte Wanderung entschieden und war lieber mit Anita ins Bett gegangen.
Kurz dachte er an sie, an ihre Grübchen, ihre üppigen Rundungen, und sofort erwachte sein körperliches Verlangen. Er rief sich zur Ordnung und konzentrierte sich erneut auf die Felsformation. Er hatte etwas zu der Geschichte dieses Ortes gelesen. Der Sage nach war ein Adeliger einer weißen Hirschkuh hinterhergejagt. Diese war oberhalb des Markussteins von einer Felsplatte in die Tiefe gesprungen und verschwunden. Als das Pferd des Reiters ihr nachsetzen wollte, war dessen treuer Jagdhund ihm in die Zügel gesprungen. Das Pferd hatte abgedreht, und dem Reiter war auf diese Weise der tödliche Sturz in die Tiefe erspart geblieben. Auch wenn es nur eine Sage war, so konnte man vermutlich in ihr einen Funken Wahrheit entdecken.
Der Markusstein war also uralt und sollte in Vorzeiten eine Kultstätte der Germanen gewesen sein. Verbürgt war, dass ein Einsiedler dort gelebt hatte.
Eigentlich schien es ein lauschiger Ort zu sein, doch mit der Leiche im Vordergrund bekam die ganze Umgebung eine völlig andere, sehr dunkle Ausstrahlung.
„Wir haben bereits die anderen Dienststellen informiert und sind die Vermisstenanzeigen durchgegangen. Bisher noch kein Treffer“, erklärte Witzbold. „Wenn sich auch hier DNA-Spuren von Abraxas Lemm finden lassen, dann werden wir eine Sonderkommission gründen.“
Heribert lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
„Okay, dann lass uns mal Tacheles reden. Was spricht dafür, dass auch dies“, er deutete auf das Foto, „das Werk von Abraxas ist?“
Witzbold räusperte sich.
„Ich sagte es dir bereits am Telefon, doch ich würde gerne hören, was du denkst. Jetzt, nachdem du die Bilder gesehen hast.“
„Also gut.“ Heribert dachte einen Moment nach. „Ich fasse mal zusammen – unter dem Aspekt, dass ich vom Tatort in Wolfhagen auch nur Bilder gesehen habe, deshalb kann ich dazu auch nur begrenzt etwas sagen. Was wissen wir? Erstens: Aufgrund der dort gefundenen DNA-Spuren muss Abraxas der Mörder Walter Zellers sein, richtig?“
Witzbold nickte. „Richtig.“
„Zweitens: Dass Lemm nicht nur mordet, sondern im Fall Zellers auch gezielt raubt – sprich, dessen Finger abtrennt, um so an das Schließfach zu kommen, ist neu. Das Ganze hat etwas Gezieltes. Außerdem stellt sich die Frage, ob Täter und Opfer sich kannten. Drittens: Neu ist das Fehlen der eingeritzten Zahlen, quasi Abraxas’ Signatur auf der Haut der Leichen, und neu ist, dass er jede Menge Spuren hinterlässt. Bisher tötete er aus reinem Vergnügen. Er liebt es, sich an der Hilflosigkeit seiner Opfer zu weiden, und genießt seine Macht – das macht ihn geil. Was ich sagen will, ist: Wir müssen davon ausgehen, dass sich Abraxas’ Vorgehensweise verändert hat und vielleicht sogar weiter verändern wird – auch was seine Motive betrifft.“
Witzbold runzelte die Stirn und schien nachzudenken.
„Er fühlt sich auf jeden Fall sehr sicher. Vielleicht ist das der Grund, warum er Spuren hinterlässt. Verhöhnt er uns, weil er davon ausgeht, dass man ihn nicht kriegen kann?“
„Möglich. Vielleicht hat er aber auch im Fall Zeller keine Zeit gehabt, sein Vorgehen so wie früher akribisch zu planen, und hat deshalb Spuren hinterlassen – oder er ist gestört worden.“
Witzbold stutzte. „Moment, das verwirrt mich jetzt. Hast du nicht gesagt, Abraxas geht willkürlich vor? Also, was jetzt, willkürlich oder geplant?“
„Das habe ich so nicht gesagt. Es stimmt, er sucht seine Opfer willkürlich aus. Damit meine ich, dass er keine Affinitäten zu bestimmten Personengruppen hat. Bisher! Vielleicht hat sich auch das geändert – wir werden sehen. Doch die eigentliche Tat war immer akribisch geplant. Um seine Opfer in Szene zu setzen, muss er ihre Gewohnheiten genaustens ausspionieren.“
„Das heißt also – die Person erregt zufällig Abraxas’ Interesse, und erst dann entwickelt er den Plan, wie er sein Ziel umsetzen kann?“
„Genau.“
Heribert nahm einen Schluck von seinem Kaffee und dachte einen Moment nach. „Deine Anmerkung, dass Abraxas sich sehr sicher fühlt, ist ein wichtiger Punkt!“
„Okay, was sagt uns das?“
Witzbold gab sich selbst die Antwort. „Vermutlich, dass er sich an einem Ort versteckt, wo niemand ihn vermutet.“
„Ein Ort, zu dem er ohne Gefahr immer wieder zurückkehren und unsichtbar werden kann“, ergänzte Heribert.
Witzbold zündete sich eine Zigarette an und öffnete das Fenster. „Was denkst du, was könnte in dem Schließfach gelegen haben, dass es für Abraxas so wichtig war?“
„Keine Ahnung, vermutlich Wertsachen, Geld. Abraxas ist vermutlich pleite.“
Witzbold nahm einen Zug von seiner Zigarette, inhalierte und atmete den Qualm aus, während er den Kopf vehement schüttelte und eine abwinkende Geste machte.
„Zellers Portemonnaie lag gut gefüllt auf seinem Küchenblock.“
Heribert erinnerte sich an das Tatortfoto mit dem Portemonnaie in der Küche.
„Stimmt – dann scheidet dieser Aspekt wohl eher aus.“
„Also muss es etwas Wertvolleres gewesen sein. Das könnte dafür sprechen, dass er gezielt danach gesucht hat.“
Heribert gab Witzbold recht. Es stellte sich also die Frage, wer Abraxas die Sache mit dem Schließfach gesteckt hatte. Konnte es jemand aus seinem unmittelbaren Umfeld sein, Kumpels aus dem Gefängnis? Oder gab es tatsächlich eine Verbindung zwischen Zeller und Lemm? Heribert fröstelte plötzlich und zog sich seine Jacke über, während er registrierte, dass Witzbold sofort aufstand und das Fenster schloss.