"Entscheidet Euch, eh' es zu spät ist!". Hardy Kerp

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(RIAS) sieht unter dem Aspekt der politischen Motivation „die Rechtsextremen als größte Tätergruppe. Aber die Täter sind demnach auch etwa palästinensische Anti-Israel-Aktivisten, antisemitische Boykottgruppen, radikale Linke.“ (ebenda S. 19)

      Bianca Klose, Geschäftsführerin des Vereins für demokratische Kultur in Berlin betont, dass die betreffende Tätergruppe nicht nur bei den Extremisten zu finden ist: Um Antisemitismus zu orten, muss man nicht weit nach rechts schauen. Es reicht ein Blick auf die Mitte der Gesellschaft.“ (ebenda)

      Die Antisemitismusforscherin Schwarz-Friesel ist schockiert angesichts der Beobachtung, „in welchem Ausmaß und mit welcher Wucht sich im Netz der alte Vernichtungswille zeigt.“ Dabei stellt sie „keine signifikanten Unterschiede zwischen rechtem, linkem oder muslimischem Antisemitismus“ fest. „Der israelbezogene Antisemitismus sei inzwischen eine vorherrschende Ausprägungsvariante“ (ebenda S. 21 f)

      Auf die Frage, wann Kritik an Israel antisemitisch sei, antwortete der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland, Josef Schuster, dass sachliche Kritik an der israelischen Regierung ebenso legitim sei wie Kritik an der deutschen Regierung. „Es gibt aber den 3-D-Test: wird Israel dämonisiert, delegitimiert oder werden doppelte Standards angelegt, ist die Grenze zum Antisemitismus überschritten. Dann wird Israel gesagt, aber gemeint sind die Juden.“ (ebenda 51/14; 2019, S. 49)

      Im gleichen Interview sagte Schuster, dass die Kritik am Siedlungsbau in Israel prinzipiell legitim sei, solange dabei keine antisemitischen Vorurteile ins Spiel gebracht werden. Auch Produkte aus den Siedlungen zu boykottieren, stellt Schuster jedem Einzelnen frei, sofern daraus keine Kampagne zum Boykott Gesamtisraels gemacht wird. (ebenda)

      In diesem Zusammenhang steht auch, dass die deutsche Bundesregierung eine Rüge des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte zurückgewiesen hat. Sie zielte auf den Beschluss des Bundestags vom Oktober 2019 gegen die antiisraelische BDS-Bewegung (Boykott-Desinvestition-Sanktion). Hierbei ginge es nicht, wie unterstellt, um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern darum, dass die Bundesregierung „jeden Aufruf zum Boykott Israels entschieden ablehnt und jede Form von Antisemitismus kategorisch verurteilt“. (ebenda 11/07.03.2020)

      Hierzu passt auch die Feststellung Angela Merkels, dass Israels Sicherheit zur deutschen Staatsraison gehört […] Was nicht bedeutet, dass wir mit allem einverstanden sind, was die israelische Regierung macht. „Allerdings werde sich die Bundesregierung immer zu Wort melden, wenn Israels Existenzrecht infrage gestellt werde.“ (ebenda)

      Was habe ich bisher im Spiegel gesehen? Die Gesellschaft? Mich, als Judenfreund? Ich denke an eine Aussage von Franklin Foers, „wonach Philosemiten Antisemiten sind, die Juden mögen.“ (D. Lipstadt, S. 63)

      Stattdessen bin ich gegen Menschenhass und damit solidarisch gegen Judenhass.

      Nach Delphine Horvilleur hätte die Israelfrage nicht diese Brisanz entwickelt, wenn „die Bezeichnung Jude mit all ihren geschichtlichen Konnotationen nichts damit zu tun hätte“. (S. 113) Dabei ergibt sich ein seltsames Paradoxon: Nach dem Holocaust zunächst legitime Zufluchtsstätte für die geschundenen Überlebenden wird Israel von vielen „als eine unterdrückerische und kolonisatorische Militärmacht“ betrachtet. Damit erscheint ihnen der Zionismus „als System kolonialer Unterdrückung und Unterwerfung der Schwächeren.“ (ebenda)

      Wenn man einräumt, dass der Staat Israel mit seinen politischen Entscheidungen zu diesem Meinungsbild beigetragen hat, dann stellt sich damit im vergleichbaren Fall nirgendwo auf der Welt sogleich die staatliche Existenzfrage. Es geht folglich vielmehr um politische Lösungen und nicht um die Frage nach Sein oder Nichtsein, wie sie von antisemitischen Antizionisten in ihrem Judenhass verfochten wird.

      Nach einer Meinungsumfrage der Europäischen Kommission für Menschenrechte von 2003 stellt Israel die Nation dar, die vor dem Iran, dem Irak und Nordkorea „die größte Gefahr für den Weltfrieden“ darstelle. (ebenda S. 111) Dieses „Umfrageergebnis“ kann natürlich nur das wiedergeben, was andere über Israel denken, d. h. das was Israel bei den Befragten auslöst, und nicht was es tatsächlich ist.

      Aber wie auch immer, wiederum sind es in den Augen der Kritiker die Juden, die die Welt daran hindern, „eins zu sein und sich zu einer befriedeten Gesamtheit zu fügen […] Damit die Welt in Frieden leben kann, muss sie das von den Juden verkörperte Trennende loswerden.“ (ebenda)

      Davon waren Rom, die christliche Welt und das Dritte Reich überzeugt, und dies ist auch die Überzeugung eines Teils der arabischen Welt. Der Hass auf Israel speist sich somit aus dem uralten Hass gegen die Juden.

      Als Rabbinerin versucht Horvilleur anhand der Exegese des Alten Testaments dem Ursprung dieses Hasses auf die Spur zu kommen. Im Buch Ester findet sie einen Konflikt, in dem der Hass Einzug hält mit den „im Verlauf der Geschichte gegen die Juden erhobenen Anklagen: ein Volk, zugleich verstreut und abgesondert, das mitten unter anderen lebt, ohne sich mit ihnen vermischen zu wollen; das weder genau zu unterscheiden noch integrierbar ist.“ (ebenda S. 27)

      Der Vorwurf lautet hier, dass die Juden eine Nicht-Identität leben, die sich von anderen distanziert. Sie partizipieren einerseits am Ganzen, sondern sich jedoch gleichzeitig ab. Dabei bringen sie das Ganze um seinen Anteil. Sie verhindern, dass das Ganze ein intaktes, heiles Ganzes ist.

      „Mit andern Worten: Solange die Juden abgeteilt leben, bringen sie uns um unseren Anteil. Solange sie sich dem Gemeinsamen entziehen, nehmen sie uns die Möglichkeit, ganz wir selbst zu sein, im Einklang mit der Nation oder unserer Identität zu leben.“ (ebenda S. 42)

      Horvilleur stellt fest, dass der Jude demnach stets den „Seinsmangel“ verkörpert. Weil die Juden das Reich, die Nation oder die Familie daran hindern, „eins“ im Sinne der Gesamtheit zu werden, fügen sie dem Kollektiv eine Schwachstelle zu, die es darin beeinträchtigt, zu expandieren. (ebenda S. 64)

      Hierin sieht Jean-Luc Nancy den entscheidenden Punkt, in dem sich der Antisemitismus von jedem Rassismus unterscheidet: Der Jude stellt den Inbegriff aller „Hindernisse für das Anwachsen von Herrschaft“ dar. Die antisemitische Feindseligkeit „rührt weniger von einem Verhältnis zwischen Gruppen her als von dem Selbstverständnis einer Macht, die allen Gruppen überlegen sein will.“ (ebenda S. 63)

      Die Machtfrage ist somit Ausgangspunkt der im Buch Ester erzählten Geschichte, die den ältesten Text zum Thema Antisemitismus enthält. Nach neueren Forschungen wurde das Buch im 2. Jahrhundert v. Chr. verfasst und enthält in Kapitel 3 Vers 9 eine Passage, die erstmals auf die Vernichtung des Judentums zielte:

      Haman, ein Nachkomme des Amalekiter-Königs Agag war von dem in Susa regierenden Perserkönig Ahasveros alias Artaxerxes (um 472 v. Chr.) zum Großwesir ernannt worden. Als der Jude Mardochai ihm die Proskynese, d. h. den huldigenden Kniefall verweigerte, intrigierte Haman beim König:

      „Da ist ein einzigartiges Volk, das unter den Völkern in allen Provinzen deines Reiches zerstreut und abgesondert lebt und dessen Gesetze von denen aller anderen Völker abweichen; da sie sich nun aber nach den Gesetzen des Königs nicht richten, so ist es für den König nicht geziemend, sie ruhig gewähren zu lassen. Wenn es dem König genehm ist, so möge ihre Ausrottung durch schriftlichen Erlass verfügt werden; ich werde dann auch zehntausend Talente Silber (aus dem Besitz der Juden) in die Hände der Schatzmeister geben können, damit diese sie in die Königliche Schatzkammer abführen.“ (Lutherübersetzung)

      Hier ging es also um mehr als um bloße Judenfeindschaft. Ausgelöst wurde der Vernichtungswille offenbar dadurch, dass die Juden ihre eigenen überkommenen Gesetze über die ihres Gastlandes stellten.

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