"Entscheidet Euch, eh' es zu spät ist!". Hardy Kerp

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die Juden nirgendwo auf der Welt in Frieden und Freiheit leben lassen zu wollen.

      Am 19. Februar 2020 erschoss ein Attentäter in Hanau acht Männer sowie eine Frau aus Einwanderungsfamilien. Dabei verletzte er mehrere Personen. „Es liegt auf der Hand, dass sich auch andere Minderheiten nicht sicher fühlen können, wenn Juden mit hasserfüllten Parolen und Vorurteilen (oder sogar Mordversuchen wie in Halle) angegriffen werden; dass es bei den Juden bleibt, ist eher unwahrscheinlich. Und umgekehrt sollten die Juden sich nicht sicher fühlen, wenn Minderheitsgruppen mit Hass und Vorurteilen überzogen werden; es ist genauso unwahrscheinlich, dass es bei diesen Gruppen bleibt.“ (D. Lipstadt, S. 12)

      Lipstadt zeigt in diesem Zusammenhang einen weiteren entscheidenden Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus auf. Dieser besteht ihrer Meinung nach darin, „dass Antisemitismus nicht einfach Hass auf etwas ,Fremdes‘, sondern der Hass auf das immerwährende Böse in der Welt“ ist. „Die Juden sind nicht ein Feind, sondern der ultimative Feind. Dieser Hass ist allgegenwärtig.“ (ebenda S. 33)

      Der Vorwurf einigen Juden gegenüber, sie seien unsoziale Kapitalisten, mag berechtigt sein, so wie dies auch im Blick auf andere nichtjüdische Menschen zutreffen mag. Aber zu sagen: „Natürlich ist X von Geld besessen, er ist doch Jude, oder etwa nicht?“ ist antisemitisch. „Antisemitismus ist nicht Hass auf Menschen, die ,zufällig‘ Juden sind. Es ist Hass auf sie, ,weil‘ sie Juden sind.“ (ebenda)

      Die aktuell zunehmende Zahl von antisemitischen Handlungen verbaler wie auch physischer Art ist nicht als Zeichen dafür zu werten, dass der Antisemitismus „wieder da“ ist. Vielmehr liefern sie lediglich die „empirische Evidenz“ dafür, dass es nach wie vor Menschen gibt, die anfällig für Verschwörungstheorien sind, die Juden dämonisieren und für alles Böse verantwortlich machen.

      Nach Lipstadt ist der „Antisemitismus eine Weltanschauung, eine Verschwörungstheorie, (die) innerhalb einer Gesellschaft in unterschiedlicher Intensität mit unterschiedlichen Schattierungen“ existiert. Der Humus für Antisemitismus ist eine Gesellschaft, die sich intolerant gegenüber Migranten oder ethnischen und religiösen Minderheiten erweist. „Sobald Ausdrücke der Verachtung für eine bestimmte Gruppe zur Norm werden, ist es so gut wie unvermeidlich, dass ähnlicher Hass sich auch gegen andere Gruppen richtet.“ (ebenda S. 10 f)

      Wie war es möglich, dass sich die antisemitischen Ressentiments derart verfestigen konnten? Nun, für Menschen, die über Jahrhunderte mit einem kirchlich basierten Antisemitismus sozialisiert worden waren, lieferte dieses Vorurteil eine plausible Erklärung für negative Dinge und Ereignisse, die zu erklären schwerfiel. So wurden z. B. im 14. Jahrhundert die Juden bezichtigt, Brunnen vergiftet und damit die Verbreitung der Pest verursacht zu haben. Erst als sich später herausstellte, dass die Pest auch dort auftrat, wo es keine Juden gab und auch noch nie welche gegeben hatte, widerlegte sich diese Bezichtigung von selbst.

      J. P. Sartre stellte fest, dass Antisemitismus keinen Sinn ergibt und dass er es deshalb auch nicht verdient, als kohärente „Idee“ gewürdigt zu werden. Die historischen und religiösen Ursprünge lassen den Antisemitismus denn auch als heterogenes Phänomen in Erscheinung treten, als Ort des kollektiven Hasses, aber auch kollektiver Ängste (Anthony Julius nach Lipstadt, S. 35). Damit kommt die Irrationalität dieser Reaktionen in den Blick, die es so schwer macht, Gegenmittel zu finden, insbesondere was die korrespondierenden Verschwörungstheorien betrifft.

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