Blutgrätsche. Jürgen Neff
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»Jemand überspannt den Bogen, und plötzlich wird’s hässlich. Egal, ob auf dem Platz oder außerhalb.«
Schröter lässt das sacken. »Was war das für eine Geschichte mit den Schweinsköpfen und Aalen?«
Ich muss lachen. »Ach, gar nichts. Vor dem Derby zwischen Aalen und Heidenheim 2014 hatte nachts jemand vor den Heidenheimer Schlossarkaden einen abgetrennten Schweinekopf abgelegt, mitsamt einem blutigen Holzkreuz und einem Schild, auf dem stand: ›Dieses Schwein gründete den FCH‹.«
Schröters angeekeltem Gesicht nach zu urteilen findet er das nicht witzig.
»Man muss die Vorgeschichte kennen: Als es dem VFR Aalen finanziell ziemlich schlecht ging, war angeblich ein Anhänger des FC Heidenheim 1846 nach Aalen gefahren und hatte 18 Euro und 46 Cent in die Vereinskasse gespendet, mit dem Vermerk: ›Bitte sinnvoll verwenden für eure Vereinsauflösung.‹«
Jetzt muss Schröter doch lachen. »Ich verstehe. Provokation und Gegenprovokation. Irgendwie nur ein Spiel. Aber manchmal eskaliert es.«
»Ja. Gegebenenfalls erst in der dritten Halbzeit.«
Ich spiele an meinem Denkstummel. So ist das doch im Leben auch. Oder etwa nicht? Zunächst sind es freundschaftliche Kabbeleien, ein scherzhaftes Stupsen, Spielchen. Schattenboxen, verbal oder körperlich. Wie bei Kindern. Fällt dann eine Bemerkung zu bissig aus oder ein Tritt zu fest, eskaliert das Ganze. Menschliche Emotionen. Ob positiv, ob negativ, gut oder böse. Aus kleinen Dingen werden große. Die ersten Fouls sind noch harmlos. Erhöhen sich der Druck und der Adrenalinspiegel der Spieler, werden die Bandagen härter und die gegenseitigen Fouls auch. Die ersten Blutgrätschen folgen. Dann muss der Schiedsrichter aufpassen. Das Spiel wird härter. Gerät eine Mannschaft nun in Rückstand und damit zunehmend unter Druck, hagelt es die ersten gelben Karten. Nach einem richtig bösen Foul gehen einige Spieler sich gegenseitig an und eh man sich versieht, gibt’s auch mal eine auf die Fresse. Unsportliches Verhalten. Rote Karte.
So ist es auf dem Platz. Und in der Liebe eigentlich auch: Zwei Menschen schleichen umeinander herum, spielen mit mehr oder weniger großem Körpereinsatz. Doch dann wird’s plötzlich ernst, weil Emotionen ins Spiel kommen. Und später wird auch das wieder hässlich.
Spiel und Leben kann man nicht wirklich trennen. Nur schade, dass es im richtigen Leben keinen Schiedsrichter gibt.
»Dann erklär mir jetzt mal, wie du die Einschätzungen der Szenekundigen einordnest«, sagt Schröter.
»Also die von Scharf kannst du vergessen. Der Spießer checkt gar nichts.«
Schröter nickt.
»Du kriegst die Ultraszene nicht mit Draufhauen in den Griff. Die wollen Respekt, sonst mucken sie auf.«
»Respekt wofür?«
»Für das, was sie für den Verein leisten«, sage ich etwas zu scharf und zu laut. »Sie sind es, die die Stimmung im Stadion erzeugen, die Fußball als Stadionerlebnis erst attraktiv machen. Ohne sie wäre jedes Spiel ein Geisterspiel, weil da nur so Typen sitzen würden wie der Scharf. Stinklangweilig. Das wissen die Vereine ganz genau. Nur müssen die den Spagat hinkriegen zwischen dem Sitzpublikum und den Sponsoren auf der einen und den Ultras auf der anderen Seite.«
»Und was ist das für eine Geschichte mit der BFE?«
Ich rümpfe meine Nase. Die Gespenster sind ein Reizwort für mich, auch nach so langer Zeit. »Diese Einheiten sollen eigentlich die Fans trennen, deeskalieren und die aggressiven unter ihnen sichern.«
Schröter sieht mich eine Weile an. »Klingt doch sinnvoll.«
Ich muss lachen. »Wenn’s so einfach wäre. Nur arbeiten auch die Gespenster mit dem Prinzip Entmutigung. Das heißt, die marschieren auf, geben sich so martialisch, wie’s nur geht. Schüchtern ein. Zumindest fühlt es sich so an für manche Fans. Und nehmen alles von vorneweg bierernst.«
»Verstehe. Und Cat hat ein paar dieser Gestalten angezeigt.«
»Vermutlich, weil die sie zu hart angegangen sind.« Ich muss an meine vollgepisste Hose denken. Mein Gott, es gibt Schlimmeres. Aber angefressen war ich trotzdem damals. Und zwar nicht zu knapp. Manchmal denke ich, ich bin genau deshalb zur Polizei gegangen. Weil ich es anders machen wollte.
Schröter ist gedanklich bereits einen Schritt weiter. »Cat hatte einen eigenen Copy-Shop, sagst du«, fängt er mich wieder ein. Zu viele Assoziationen, zu viel Vergangenheit.
»Ja. Mit ein oder zwei Angestellten. Copy Cat. Ganz ehrlich: Ich fand, sie hätte viel mehr gekonnt. Nach dem Abi jobbte sie eine Zeit lang bei einem Logistikunternehmen, lieferte Pakete aus. Die haben ihr nach Kurzem schon einen Job als Teamleiterin angeboten. Aber sie lehnte ab. Mir erzählte sie, sie wolle Pilotin werden. Hat dann aber andere Sachen ausprobiert, immer wieder was Neues.«
Meine Cat. Sie hatte Pläne. Frage mich, ob sie die zuletzt noch immer hatte. Oder ob das eine oder andere Vorhaben auf der Strecke geblieben war wie bei den meisten. Das Leben schreitet voran, irgendwann realisierst du: Nun ist es zu spät. Geht mir ja auch nicht anders mit meinen 42 Jahren.
»Wird Johannes nicht gefallen haben, wenn er es wusste«, meine ich zu meinem Partner.
»Was? Wer?«, fragt Schröter.
»Schwanger.« Ich zeige zum Whiteboard, an dem Bilder von Cats Leiche kleben und auf dem wir vorhin mögliche Motive notiert haben. »Johannes Lederer. Ihr ehemaliger Freund.«
Schröter nickt.
»Cat war ein leichtsinniges Ding«, erkläre ich ihm. »Ließ nie was anbrennen. Das wusste Johannes damals schon. Aber er war sich ihrer sicher. Auch wenn sie ihn ein paarmal betrogen hat. Er sagte mir immer, das kümmere ihn nicht. Im Grunde ihres Herzens liebe sie ihn, und deshalb sei ihm das egal.«
»Sehr liberal.«
»Aber was ihre Mutter sagte, stimmt schon. Sie konnte sich nie entscheiden. Hat hundertmal ihre Arbeitsstelle gewechselt, bis sie sich irgendwann mit dem Copy-Shop selbstständig machte. Auch privat brauchte sie einfach immer was Neues. Den Kick.«
»Rastlos.«
»Ja. Und klar: Wenn Johannes ihr einen Antrag gemacht und sie ihn abgelehnt hat, dann führte das sicher zu Spannungen und irgendwann vermutlich zum Bruch. Er wollte sicher nicht ewig warten. Wünschte sich Kinder …«
»Er hat eine neue Beziehung, sagt Berti. Ist verlobt.«
Ich nicke. »Habe ich auch gehört. Aber das mit dem Kind … Könnte schon sein, dass ihn das mitnehmen würde. Wenn er es denn erfahren hätte.«
Das kotzt mich an in unserem Job: Die halbe Zeit reden wir im Konjunktiv. Das macht sonst niemand. Philosophen allenfalls. Oder theoretische Physiker.
Lauern eben. Man stelle sich mal vor, ein Koch oder Maurer oder Zahnarzt würde so reden: Also, da könnte ein Loch drin sein. Wenn ich da jetzt aufbohren würde, dann … Nein. Ergibt keinen Sinn. Nur bei uns. Verfluchte Potenzialität. Ein einziges Hirngewichse.
»Könnte sein, dass er es weiß.«
Ich blicke auf. Schröter nimmt ein Blatt mit einer Liste von seinem Tisch, in der Namen