Blutgrätsche. Jürgen Neff
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Genau das ist die Scheiße. Dass wir am Anfang einer Ermittlung noch nicht ahnen, wo die Reise wirklich hingeht. Angenommen, Cat war von dem Falschen schwanger, das wäre eventuell ein Motiv: für den Vater, für den Ex, für einen neuen Lover. … Vielleicht hat sie sich aber auch mit einem gegnerischen Ultra angelegt, das sollten wir rausfinden … Oder diese Anzeigen gegen die Schwarzen Gespenster haben zu einer Eskalation geführt.
Man könnte unsere Arbeit als einen Kampf gegen die Masse des Denkbaren bezeichnen. Vielleicht sind wir umgekehrte Philosophen: Wir ringen gegen das Mögliche und um das Tatsächliche. Kämpfen um die Fakten. Ockhams Rasiermesser, habe ich einmal irgendwo gelesen. Reduktion des Potenziellen, solange, bis nur noch das Faktische übrig bleibt: die Wahrheit. Was für ein Wort. Aber die Philosophen benutzen es doch auch die ganze Zeit. Manchmal wünsche ich mir so sehr, ein Maurer zu sein. Da baut man eine Wand und die steht dann da. Wir dagegen? Wir sind nur Lügeneinreißer.
Schröter zuckt zusammen, als ich meine Ferse gegen den Bürotisch haue. »Abgerissener Heidekopf im Mund, arrangiert wie eine Schlafende. Das ist doch kein Zufall. Ich glaube nicht an ein persönliches Motiv. Das ist alles symbolisch, eine Inszenierung. Das tust du nicht, wenn du eifersüchtig bist, jemanden magst oder gemocht hast und ihn deshalb jetzt umso mehr hasst, gerade weil du ihn einmal gemocht hast.«
Schröter starrt mich an. »Aber es steckt ziemlich viel Wut dahinter. Drei Stiche. Und ihr wurde buchstäblich das Maul gestopft.«
»Und genau deshalb denke ich, dass es eher damit zu tun hat, dass Cat ein fanatischer FCH-Fan war.«
Mein Kollege starrt noch immer, hat aber schon wieder eine Weisheit auf der Zunge: »Sei entschlossen darin, deinen ersten Gedanken nötigenfalls zu verwerfen. Das sagte mein Ausbilder immer zu mir.« Das kann mein Hirn gerade nicht verarbeiten.
»Da ist noch etwas anderes«, meint Schröter. Er sieht wieder auf sein Papier mit den Markierungen. »Die Kollegen konnten keine dazu passenden Telefonate oder Chats rekonstruieren. Aber laut Bewegungsdaten war sie das letzte halbe Jahr öfters auf dem Siechenberg. Auch über Nacht.«
»Ach? Wo die alte Voith-Villa stand. Noble Gegend. Wo genau?«
»Wildstraße 46.«
»Und da wohnt wer?«
»Der Vizevorstand des FCH.«
»Werner Schneet?«
»Sieht so aus, als hätten sie eine Beziehung oder Affäre gehabt.«
Kann ich mir nicht vorstellen, aber … Ich gehe zu unserem Whiteboard, schreibe »Schneet« neben »Johannes Lederer« und »die Gespenster (BFE)«. »Hm. Wir sollten uns zuerst mit ihm unterhalten. Lederer steht direkt danach auf der Agenda.«
Johannes, noch so ein Gespräch mit der Vergangenheit. Mir wird schlecht bei dem Gedanken. Warum zieht mich eigentlich niemand ab von dem Fall? Ich bin verdammt noch mal gefangen! Ich meine befangen.
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