Der Verdrüssliche. Eva Holzmair
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Carola klickt den Link zum Getty-Museum weg. Diesen Deal, den hast du nicht mehr über die Bühne gebracht. Bist zu früh gestorben, nur irgendjemand hat in deinem Sinn weitergemacht. Wer aller wurde hier betrogen? Und nun ist der Verdrüssliche außer Landes, raunzt in Los Angeles still vor sich hin, rümpft die Nase wegen der falschen Provenienzangaben. Wer hat den Getty-Leuten eingeredet, der Kopf wäre seit den 1920er-Jahren im Besitz deiner Familie gewesen? Dein Sohn? Die Stiftung? Du warst es jedenfalls nicht, hättest es aber kühl lächelnd getan, denn wer außer mir hätte widersprechen wollen und vor allem können?
II.
Zu Hülfe! Ich will nicht verrückt werden. Einmal vier Zoll nach links, dann wieder drei Zoll nach rechts, und Mamsell ist noch immer nicht zufrieden. Sie mustert mich, als ob ich etwas verbrochen hätte. Bähhhh! Nicht einmal bemerken tut sie meinen Verdruss, so beschäftigt ist sie, befehligt eine Riege starker Männer, die hinter ihrem Rücken die Augen rollen. Ahhhhh, endlich lassen sie ab von mir und gehen hinaus.
Wie ruhig es plötzlich ist, nur die Frau noch hier. Nervös blättert sie in einer Mappe mit Skizzen. Na, meine Schöne, wie wär’s mit einer klitzekleinen Tändelei? Hm? Spürst du den zarten Hauch? Er ist anders als jener, den eure Air-Condition verströmt. Ach, mach nicht diese wegwerfende Handbewegung, weil dich ein ungewohnter Luftzug ablenkt. Ich könnte auch deine blonden Locken zerzausen, doch bilde dir bloß nichts darauf ein. An Ilonas Haarpracht kommen sie nicht heran. Nein, nein und abermalen nein. Nie wieder bin ich einer Frau mit derart dicken Zöpfen begegnet. Schwarzbraune Traumbänder! Ein Geschenk!
Ach, wie inkommod, die Männer kommen zurück. Unser Tête-à-tête hat eben erst begonnen. Und du hast wieder nichts mitgekriegt, weil dir deine Mappe und das, was sie nun hereintragen, wichtiger sind als ich.
- Not here, over there.
Na, großartig! Hört denn dieses Herumgeschleppe nie auf? Ja, ja, schiebt mich nur wieder. Und die neuen Sockel dazu. Schön ist so ein Ringelspiel! Des is’ a Hetz und kost net viel … Das hat der Sepp der Marie ins Ohr gesummt. Und sie hat gelacht, wie allein die Marie lachen konnte. Hell mit diesem verführerischen rauen Ton, der stets mitschwang. Sie wusste, dass die Männer ihn heraushörten. Die Marie. Sie nahm und gab. Unterm Strich eine ausgeglichene Bilanz, hätte der Kommerzialrat gesagt. Doch es blieb nicht dabei. Autsch, einen Deut sanfter, wenn ich bitten darf!
- Stop! That’s it. Now they can have a conversation.
Was meinen gnädige Frau? Mit wem soll ich mich unterhalten? Die Sockel sind doch leer! Oh nein, was bringen sie denn nun? Bälle? Köpfe? Aus Pappmaché. Was in Dreiteufelsnamen wollen sie damit? Soll das etwa Kunst sein?
- Belisarius opposite our Vexed Guy.
Belisarius? Kann mir bitte jemand sagen, wer Belisarius ist! Mit dem soll ich reden? Wie stellen Mamsell sich das vor? Ich lasse mir nicht vorschreiben, mit wem ich konversiere. Ganz bestimmt nicht. Ich und verkleistertes Papier! Eine Impertinenz!
Hm. Der Pappkopf ist also Belisarius. Soll das, was ihm vom Kinn runterhängt, ein Bart sein? Oder ist bloß zu viel Kleisterbrei übrig geblieben? Kein Vergleich mit unserer Truppe. Ausgeprägte Kinn-, Nasen- und Stirnpartien ja, aber keine Gesichtsbehaarung.
- Closer!
Oh nein, nicht schon wieder rücken! Und warum gerade zum Nebenmann links? Warum nicht nach vorne oder nach hinten?
- Otherwise people won’t perceive the similarity.
Ähnlichkeit? Also bitte, ich bin doch einzigartig, unverwechselbar.
- Perfect! Here the Vexed Man’s wavy hair and there the lank strands of his counterpart, as if showing us a before and after of the same man. See what I mean?
Ich sehe gar nichts, mein Blondschopf, es sei denn, ich drehte mich zur Seite … Hi Belisarius, ist der Pappkamerad von nebenan einer, der mir tatsächlich ähnlich schaut, nur nicht so schönes Haar hat? Was heißt, das kannst du nicht erkennen? Wegen des San Francisco Examiner? Ach so, für ihn haben sie den Examiner zu Kleisterbrei verarbeitet, nicht wie bei dir die Los Angeles Times. Beruhige dich, ich verstehe durchaus, was Qualität ausmacht, bin ich doch ein besonders eindrückliches Exempel: von Meisterhand aus dem Stein der Götter gehauen, nicht so eine kindische Bastelei wie du. Ach, sei nicht gleich beleidigt. Ich will mich bloß unterhalten. Seit sie unsere Gallery gesperrt haben, schauen keine Leute mehr vorbei, einzig die blonde Frau mit ihrer Entourage.
Übrigens, ich kenne da eine Anekdote über einen eurer Schriftsteller. Mark Twain hieß er. Als er sich auf seiner Europareise in das Fremdenbuch eines Hotels eintragen wollte, las er, was der letzte Gast vor ihm geschrieben hatte: Baron von Blanck mit Diener aus Wien. Woraufhin er daruntersetzte: Mark Twain mit Koffer aus Leder. Hehehe. Ist das nicht lustig?
…
Nun denn, ich kann auch schweigen.
III.
Das Festnetztelefon läutet. Es ist Paul. Er wird heute Abend nicht kommen, erst morgen Mittag, weil er noch einen Termin hat.
- Ich nehme die Swissair. Ankunft 11.50 Uhr. Aus Zürich. Merk’s dir!
Gitta legt den Hörer auf, hat fast nur genickt, nicht gesprochen. Eine stumme Reaktion auf allzu Bekanntes. Selten genug wartet Paul ihre Antworten ab, die zumeist ohnedies ausbleiben, bestimmt lieber, was seines Erachtens geschehen soll. Gitta hat wieder einmal keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie muss Bernhard von einem Geburtstagsfest abholen. An sich kann Bernhard recht gut allein nach Hause gehen, aber von Kinderpartys ist er abzuholen, denn es schickt sich, ein paar Dankesworte an die Gastgeber zu richten. Eine dieser Regeln, mit denen Paul aufgewachsen ist, doch Paul ist nicht da, um sie zu befolgen. Und Gitta tut es gut, zwischendurch hinauszukommen, weg von der Staffelei. Einer der Punkte auf der täglichen To-do-Liste.
Als Gitta kurz darauf die fremde Wohnung betritt, kann sie Bernhard in dem Gewühl nicht gleich ausnehmen. Sie kreuzt die Arme vorm Oberkörper, um das beklemmende Gefühl in ihrer Brust wegzudrücken. Hilfesuchend schaut sie sich um. Papierschlangen fliegen durch die Luft. Eine bleibt an Gittas Pulli hängen. Unwillig reißt sie an dem bunten Papierstreifen. Endlich entdeckt sie Bernhard in einem Knäuel balgender Buben. Sie zerrt ihn hoch, doch er will bleiben, weil es gerade so schön ist.
- Na gut. Aber nur fünf Minuten. Nicht mehr. Verstanden?
Um die Zeit zu überbrücken und vor allem um dem Geschrei zu entkommen, bietet Gitta der hektisch hin- und hereilenden Mutter des Geburtstagskindes ihre Hilfe an.
- Nicht nötig. Machen Sie es sich gemütlich!
Gitta verzieht den Mund, wendet sich ab von angebissenen Krapfen, zerbröselten Keksresten, verschmiertem Ketchup und nimmt auf dem äußersten Rand einer Couch Platz, die mit Kinderrucksäcken, Jacken und Mänteln vollgeräumt ist. Die Gastgeberin begreift. Vielleicht doch helfen, das Geschirr in die Küche tragen. Essen eh nicht mehr, die Kleinen. Die Küche? Dort drüben links. Einfach irgendwo abstellen. Zwischen johlenden Kindern schleppt Gitta leere Plastikflaschen, Gläser, Tassen und Teller. Der Wirbel verfolgt sie bis in die Küche. Ein Kind jault auf. Bernhard!