Bayerische Hinterhand. Dinesh Bauer
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Irmi schüttelte ratlos den Kopf. »Nein, da war niemand.« Barthl ließ es fürs Erste dabei bewenden. Um es vornehm auszudrücken, war die Zeugenaussage bislang nicht sonderlich ergiebig.
»Da, geht aufs Haus! Die Würstel kommen gleich.« Reinbacher stellte das Weißbier und ein Schnapserl vor ihm hin und verschwand grußlos. Eine liebreizende Person – zweifelsohne.
Pföderl markierte den einfühlsamen Good Cop. Seine Stimme klang so einschmeichelnd, als hätte er drei Tage lang Kreide gefressen. »Sie haben meinem Kollegen gegenüber erwähnt, dass Ihnen einer der Kartler aufgefallen ist, weil der noch nie hier war, ist das korrekt?«
Die Kellnerin knabberte an ihrer Unterlippe. »Noch etwas jünger, so Anfang 30, leger, aber durchaus stilvoll gekleidet. Eine rechte Angeberfotze. Er hat ziemlich blöd dahergeredet, in seinem Tiroler Dialekt – ich mag den ned. Das Bayerische klingt viel weicher, wohliger.«
Kurz entschlossen kippte er den aus heimischem Fallobst gebrannten hochprozentigen Obstler auf einen Sitz hinunter. Dann nahm er den roten Faden wieder auf. »Wo waren wir stehen geblieben – ah ja, dieser Tiroler, war der zufällig hier oder war er mit Ehgartner und den anderen beiden Hallodri verabredet?«
»Einen Moment, auf den Schreck hinauf brauch ich ein Stamperl. So ein grausiges Erlebnis muss man doch erst einmal verarbeiten, oder?« Praktischerweise stand die Obstler-Flasche auf der Anrichte – und Irmi schenkte sich großzügig ein. »Erst neulich hab ich gelesen, dass sich der enorme psychische Druck in Symptomen wie Schwindelgefühl, Konzentrationsstörungen und Reizbarkeit äußern kann. Mia gangst!« Die Kellnerin befühlte ihre Stirn und kippte sich zur Trauma-Prophylaxe gleich noch einen Obstler hinter die Rüschenbluse. »Warten S’, der Ehgartner hat ein paarmal erwähnt, dass er neue Absatzmärkte für seine Brauerei erschließen möchte. Wahrscheinlich sollte der Typ den Vertrieb vor Ort organisieren und die Getränkemärkte abklappern. Das Bräuberger ist ja ein gutes Bier, allemal besser als die Ösi-Plärre, das Huber oder das Zipfer.«
Pföderl kritzelte auf seinem Verhörblock herum. »Und das Mordopfer, dieser Ehgartner, war hier Stammgast? Was wissen S’ sonst noch über den?« Barthl zog alle Register der Verhörtechnik und legte einen suggestiven Unterton in seine heiser und drängend klingende Stimme.
Irmgard Zech zupfte an ihrer spitzenbesetzten Bluse herum. »Ein rotgesichtiger Quartalssäufer, aber nicht unrecht. Hat sich gern aufgeplustert wie ein Gockel am Mist – und eitel obendrein. Aber mei so sind s’, die Mannsbilder. Wenn s’ kein Weiberts mehr finden, fangen s’ zum Spinnen an!« Barthl schaute von seinem Block auf – ihren Unterlagen nach war das Mordopfer 58 Jahre alt und lebte seit fast 10 Jahren von seiner Exfrau getrennt. Er war Geschäftsführer der Bräuberger Brauerei und Spitzenkandidat der Nationalen Patrioten im Stimmkreis 127 Rosenheim-West. »Und die anderen beiden Kartler«, fragte er pro forma, auch wenn er eh wusste, mit welch illustren Persönlichkeiten sie es zu tun hatten.
»Die sind von Audorf drüben. Die finden S’ im Schützenheim oder beim Schmiedwirt.« Irmi plapperte munter weiter. »Kompakt gebaut, die Schultern breit wie Bauernschränke. Eher der grob gestrickte Typ, Marke ›gschlamperter Bauernrammel‹. Nicht grad’ meine Kragenweite, aber nicht unwirsch.« Der Redefluss der Bedienung stockte – es war an ihm, eine neue Frage zu stellen. Doch welche? Von irgendwoher wehte das nun gar nicht mehr so laue Abendlüftchen einen Schnulzen-Song im Country-und-Western-Style heran, der vor Herz, Schmerz und Kentucky Bourbon triefte. »Some broken hearts never mend …« So wie in Ehgartners Fall, dachte Barthl in einem Anflug von Sarkasmus. Der brauchte keinen Herzchirurgen mehr.
Herz Acht
Die Metzgerei Rauch war nicht unbedingt das, was ein Asket oder Eremit als transzendenten Ort göttlicher Eingebungen und wundersamer Erscheinungen bezeichnet hätte. Ein Visionär war hier ebenso fehl am Platz wie ein Vegetarier. Hier ging es ums Wesentliche, es ging um die Wurst – und man pilgerte aus Bad Aibling, Litzldorf, Grainbach oder Steinertsöd hierher, um den diesseitigen, fleischlichen Genüssen zu frönen. Der Wurstkessel war für die hiesigen Ureinwohner so etwas wie der Heilige Gral, die Fleischtheke das Paradies auf Erden. Die reichhaltige Auswahl an Wurstwaren jeder Art ließ jedem Gourmet, der Geselchtes und Geräuchertes zu goutieren wusste, das Wasser im Munde zusammenlaufen. Milzwurst, Wollwurst, Weißwurst, Bauerngeräuchertes, Cervelat, Pariser Jagdwurst, Vespermett, Prinzensülze, dazu Cabanossi, Landjäger, Debrecziner, Regensburger, Lyoner – und obendrein die obligatorischen örtlichen Spezialitäten der vielfach prämierten Leib-und-Magen–Manufaktur: Schwarzrauchschinken, Bratensülze und altbayerischer Leberkäs. Beim »Rauch« gab es alles, was das Herz eines echten Bayern begehrte, insbesondere wenn es sich um ein solch verfressenes Mannsbild wie Kriminaloberkommissar Bartholomäus Pföderl handelte.
Barthl Pföderl war indes nicht nur wegen Presssack und Prosecco hier. Er war hier, um zwei wichtige Zeugen im Mordfall Erwin Ehgartner zu vernehmen – und er hatte aus ermittlungstaktischen Gründen beschlossen, die informelle Befragung der beiden eigensinnigen Querulanten hierher zu verlegen. Zumal sich beim »Rauch« das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden ließ. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen in Form von Brüh-, Brat- oder Extrawürsten. Ein prüfender Blick auf die Digitalanzeige am Armaturenbrett bestätigte ihm, dass er gut in der Zeit lag: 9 Uhr 33. Nach der Sonderschicht in der »Linde« und zwei Caipis und Mai Tais After Work war er noch nicht wieder ganz der Alte – und wuchtete sich ein wenig kreuzlahm aus dem Fahrersitz. Sein Rücken war verspannt, als ob er die Nacht auf dem Bett eines indischen Fakirs verbracht hätte. Mit steifen Gliedern stiefelte er auf die Metzgerei zu – von Weitem schon sah er das Duo Infernale auf einer der Bierbänke vor dem Laden lümmeln. »Pünktlich wie die Dachdecker«, murmelte er anerkennend. Dem Outfit nach zu schließen, schoben die beiden Dienst. Sepp Sonnleitner trug die Pföderl wohlbekannte Kluft: braune Uniformhose, beigefarbenes Hemd, darüber eine schwarze Lederjacke mit der Aufschrift »Polizei«. Eine gigantomanische XXL-Leberkässemmel in der einen, eine Bügelflasche Bier in der anderen Hand. Sein Kumpan Rabensteiner trug Schwarz: nicht das Schwarz der Kaminkehrer oder Sargträger, sondern das der IS-Security, einem hier ansässigen, privaten Sicherheitsdienst. Die haben Nerven, machen tatsächlich in aller Seelenruhe Brotzeit und kippen dazu in aller Früh ein Bier – und das im Dienst, vermerkte Pföderl verwundert – er war unschlüssig, ob ihm die zur Schau getragene Unbekümmertheit Respekt abnötigte oder ob er angewidert sein sollte. Barthl wusste, dass er vorsichtig vorgehen musste. Das Duo Infernale hielt zusammen wie Pech und Schwefel. Betont lässig grüßte er in die Runde. »Ois roger in Kambodscha?« Rabensteiner kaute unbeeindruckt auf seinem Mega-Bayernburger herum, Sonnleitner hob träge ein Lid und blinzelte ihn aus einem rotgeäderten Aschermittwochsäuglein an. Das würde heiter werden.
Sepp Sonnleitner und Vitus Rabensteiner waren zwei Musterexemplare des Homo bavariensis, die sowohl dem Hopfentrunk als auch fetthaltigen Speisen mit wahrer Wonne zusprachen. Hatte ein Vertreter dieser Gattung das nötige Quantum intus, dann konnte ihn nichts mehr erschüttern, dann fürchtete er noch nicht einmal, dass ihm der Himmel auf den Kopf fiel. Die beiden Malz-Machos waren das, was man nördlich des Weißwurstäquators als »Originale« bezeichnete. In ihrem »Homeland« fielen die beiden Querulanten jedoch nicht weiter auf. Gietl hatte ihm eingeschärft: »Obacht! Wenn du ihnen auf die harte Tour kommst, schalten diese Dickschädel sofort auf stur. Bei diesen Holzköpfen erreichst du mit der »Bad Cop«-Nummer nichts. Gib dich nachgiebig, einsichtig, sonst fängst dir noch eine Watschen!« Wie Pföderl von seinem »V-Mann« erfahren hatte, waren die beiden das, was man in Bayern Zornbinkel, im Rest der Republik Choleriker und Hitzkopf nannte. Sonnleitner und Rabensteiner waren ein Gespann, das aus Prinzip nie in die gleiche Richtung zog. Zwei gleich starke, konträre Kräfte, die das Widersprüchliche, Gegensätzliche kultivierten und sich von daher ideal ergänzten: Die beiden Streithähne waren wie Basmatireis und Bauerngeselchtes, Blunzen und Buchteln. Zwischen den Polaritäten Plus und Minus funkte es so lange, bis sich die elektrische Spannung mit Blitz und Donner entladen hatte. Wenn es allerdings gegen