Hetzwerk. Peter Gerdes
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hetzwerk - Peter Gerdes страница 2
»Na, Lars, auch hier?« Ein abfälliger Blick aus tiefen Augenhöhlen, zwei herabgezogene Mundwinkel unter breiter Boxernase. Schon hatte sich Fecht wieder anderen Umstehenden zugewandt.
Lars Noack sah den rötlichen Zopf auf edlem Anzugstoff pendeln. Seine eigenen Hände hatte er rechtzeitig in den Hosentaschen verstauen können. Dort ballte er sie jetzt zu Fäusten.
»Also ich mag ihn, den Carsten«, ließ Friedo Adams sich vernehmen. »Der ist so richtig volksnah! Spricht das aus, was alle denken, ohne Rücksicht auf Greta oder diese verlogene Political Correctness. So einen brauchen wir doch heutzutage in der Partei, wo alles zu den Rechten rennt. Wenn Carsten Fecht bei uns das Sagen hat, dann müssen die Wähler das nicht.«
Noack starrte den Insulaner an. Ob ihm bewusst war, was das bedeutete, was er da gerade gesagt hatte? Vermutlich nicht. Schlimm genug war, dass er recht hatte.
»Meine lieben Freunde, Mitbürger, liebe Leeraner!« Jetzt schallte Carsten Fechts kräftige Stimme über den ganzen Waageplatz. Anscheinend war eine seiner gefürchteten spontanen Ansprachen fällig. »Und natürlich liebe Leeranerinnen«, schob er feixend nach. »Das hat mir meine Frau eingeschärft, weil sich das so gehört heutzutage, sagt sie. Was soll ich machen, sie führt eben bei mir zu Hause das Regiment!«
Satt blubberndes Gelächter ringsum, klar dominiert von Männerstimmen. Lars Noack lachte nicht mit. Er hatte die gleiche SPD-Sozialisation hinter sich wie Fecht, 13 Jahre länger sogar, denn eingetreten waren sie beide mit 17. In Ostfriesland war die SPD schon immer weit rechts aufgestellt gewesen, na klar, das war eben der Lauf der Dinge. Wenn eine Partei über Jahrzehnte an der Macht war, dann wurde sie automatisch zum Sammelbecken für Opportunisten, und die waren selten links. Oder wenn, dann nicht lange – jeder wollte doch irgendwann an die Fleischtöpfe. Aber was Fecht dort abzog, das war selbst Noack zu vorgestrig. Und unterirdisch. Wer fand denn so was heute noch witzig?
»Aber meine lieben Freundinnen, das sage ich nicht«, fuhr Fecht fort. »Sonst wird meine Frau wieder eifersüchtig.«
Das Gelächter schwoll an, jetzt auch durchmischt mit schrillen Frauenstimmen. Noack stellte fest, dass er falsch gelegen hatte. Mal wieder. Anscheinend konnte kein Niveau zu niedrig sein.
»Ich freue mich sehr, dass ich heute Abend hier auf unserem schönen Waageplatz in unserem wunderschönen Leer so viele von euch treffe, und ich freue mich natürlich ebenso über die vielen aufmunternden und unterstützenden Worte, die ich heute von euch zu hören bekommen habe.« Carsten Fecht breitete die Arme aus. »Das tut gut, das tut unheimlich gut in diesen Zeiten, in denen es so viele Anfeindungen gibt, in denen viele wohl vergessen haben, was meine Parteigenossen und ich schon alles für unser Land, für unsere Menschen getan haben. Umso schöner, dass ich hier viele von euch sehe, die ein besseres Gedächtnis haben.« Jetzt hob Fecht die Arme, als wollte er die Menge segnen. Dankbarer Applaus brandete auf.
Auch Friedo Adams hieb seine Handflächen aufeinander. Lars Noacks Hände blieben in den Taschen. Er selber hatte keinerlei aufmunternde und unterstützende Worte an Carstens Fechts Adresse vernommen. Nicht ein einziges. Aber eine starke Behauptung übertrumpfte eben jederzeit einen schwachen Beweis.
»Jetzt kann ich nur hoffen, dass ihr euch auch den nächsten Wahlsonntag dick im Kalender angekreuzt habt!«, rief Fecht. »In Rot natürlich! Wählen gehen! Denkt alle daran, nur wer wählen geht, kann auch bewahren und verändern!«
Noack spürte Friedo Adams’ Ellbogen in seinen Rippen. Reflexartig begann auch er zu klatschen.
»Na, so begeistert?« Zwischen Noack und Adams tauchte plötzlich Mareike Feeken auf, die junge Lokalredakteurin der Ostfriesen-Post. »Hatten Sie sich nicht neulich von Carsten Fecht distanziert? Nachdem Ihr gemeinsamer Chat aufgeflogen war?«
Lars Noack verdrehte die Augen. Die Frau hatte ihm gerade noch gefehlt! »Von meinen eigenen Worte habe ich mich distanziert, wenn ich Sie mal korrigieren dürfte«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Was ich über Jelto Harms geschrieben habe, hätte ich so nicht schreiben dürfen, ganz klar. Das gehört sich nicht, auch nicht intern, und das stimmt auch einfach nicht. Davon habe ich mich distanziert, nicht vom Genossen Fecht.« Er atmete tief durch; die Worte hatten ihn Kraft gekostet.
»Stilistischer Tonfall und Inhalte dieses Wortwechsels wurden aber eindeutig von Herrn Fecht diktiert«, bohrte die Journalistin nach. »Ich hab’s ja selber gelesen. Er hat auch die Behauptung aufgestellt, Harms sei ein Pädophiler und hätte sich an kleinen Jungs vergriffen. Man kann sich vorstellen, was das für den Rektor einer Grundschule bedeutet.«
Noack brach der Schweiß aus. »Ich sagte schon, das war falsch, ich habe mich doch inzwischen davon distanziert. Ebenso wie von den Angriffen auf Christel Röben.« Er kramte in seiner Windjacke nach einem Taschentuch. Dann stutzte er. »Sie haben es gelesen?«, fragte er nach. »Im Original? Aber das steht doch schon längst nicht mehr online.«
»Wir verfügen über Downloads«, sagte Mareike Feeken. »Und wie es aussieht, bekommen wir bald noch sehr viel mehr davon.«
Noack tupfte sich die Stirn ab. Der Schweiß fühlte sich kalt an. »Mehr davon?«, fragte er. Seine Stimme brach, er musste sich räuspern. »Noch mehr Chatverläufe? Wieder von dem Hacker?«
Die junge Redakteurin schüttelte den Kopf. »Nein, von Carsten Fecht selbst! Er war heute zum Interview bei uns. In der Online-Ausgabe steht es schon. Er ist es leid, als Buhmann der SPD hingestellt zu werden, und will uns demnächst Material vorlegen, aus dem hervorgeht, dass er längst nicht als Einziger in der Partei so denkt und redet.« Mareike Feeken klang belustigt, als sie hinzusetzte: »Buhmann hat er gar nicht gesagt, sondern Rotes Muli. Er will nicht das Rote Muli sein, das für die ganze Partei die Last tragen muss und dafür auch noch Prügel bezieht.«
Sie beugte sich zu Lars Noack hinüber; ihre Miene wirkte besorgt, als sie fragte: »Alles in Ordnung? Geht es Ihnen auch gut?«
»Aber ja.« Noack winkte ab, was wegen des Taschentuchs etwas theatralisch wirkte. »Leichtes Kratzen im Hals, das ist alles.«
»Dagegen hilft Trinken«, riet die junge Frau. »Notfalls auch Bier! Schauen Sie, Ihr Genosse Fecht macht es Ihnen vor. Der pichelt schon den ganzen Abend ein Ostfriesenbräu nach dem anderen.«
Das war nicht zu übersehen. Immer wieder griff sich Carsten Fecht ein Glas von einem Kellnertablett, ohne zu fragen, wer das bestellt hatte oder wer das bezahlte. Hat sich schon früher gerne aushalten lassen, dachte Lars Noack. Seit Fecht jedoch im Landtag saß, war das noch weit schlimmer geworden. Hatte er eigentlich aus der Lebenshilfe-Affäre nichts gelernt? Damals hatten einige seiner Genossen diese wohltätige Leeraner Einrichtung völlig schamlos als Selbstbedienungsladen benutzt, bis sie aufgeflogen waren. Oder aus der Affäre Wulff? Wenn sogar ein Bundespräsident wegen der Annahme kleiner und mittlerer Gefälligkeiten hatte gehen müssen, wie konnte Fecht glauben, dass sich ein Landtagsabgeordneter alles erlauben konnte?
Na ja, bis jetzt durfte er sich in dieser Ansicht bestärkt fühlen, dachte Noack bitter. Wegen Handaufhaltens hatte ihn noch keiner öffentlich kritisiert. Nur wegen Maulaufreißens. Und anstatt einzulenken, wollte er jetzt in die Offensive gehen? Noch mehr Chats öffentlich machen, um seine Kritiker bloßzustellen? Als Mittäter?
Das durfte auf keinen Fall passieren.
Noack schaute sich nach Friedo Adams um, der ihm während des Gesprächs mit der Redakteurin abhandengekommen war. Er entdeckte ihn bei einem der Kellner, in der einen Hand ein frisches Bier, mit der anderen nach Kleingeld kramend. Na klar, als lumpiges Gemeinderatsmitglied von Langeoog bekam man in Leer natürlich nichts geschenkt.