Seelenfeuer. Cornelia Haller

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Seelenfeuer - Cornelia Haller

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die Apotheke kommt, bist du gerade ausgegangen. Aus diesem Grund sollte ich ihn recht bald auf ein Nachtmahl zu uns nach Hause einladen.«

      Es läutete zwei Uhr, und Luzia reichte ihm seinen schwarzen Talar und das Barett. In der Tracht des Gelehrten machte Basilius einen sehr respektablen Eindruck. Nachdem sie ihren Onkel zur Tür gebracht hatte, schloss sie die Apotheke für die Dauer seines Fortseins ab.

      Luzia machte sich daran den Boden aus schweren Eichenbrettern zu kehren. Zuerst in der großen Küche, weiter im behaglichen Wohnraum. Hier rückte sie die mit Schaffellen gepolsterten Scherenstühle um den großen, runden Tisch zurecht. Im offenen Kamin hatte Basilius bereits das Feuerholz aufgeschichtet. Entlang der weißgekalkten Wände standen einige Truhen und halbhohe Schränke. Als alles fertig war, ging sie über die reich geschnitzte Treppe in die Schlafkammern. Ihren Raum hatte Basilius besonders gemütlich eingerichtet. Neben einem schmalen Bett aus Kirschholz befand sich eine kleine Nachtkommode, und an der Wand stand ein zierlicher Schreibtisch, auf dem das Herbarius Maguntie Impressus, welches ihr Pater Wendelin zu Abschied geschenkt hatte, darauf wartete, bewundert zu werden. Luzia setzte sich und blätterte ein wenig darin.

      Unter dem Fenster standen zwei Truhen für ihre Kleidung. Auf dem Boden lagen dicke Wollteppiche und an der Wand hatte Basilius einen gestickten Wandteppich befestigt.

      Eine schmale Stiege mit knarrenden Stufen führte in den zweiten Stock. Hier, in einem schmalen, aber hohen Dachraum mit kleinen Fenstern befand sich die Bibliothek ihres Onkels. Langsam öffnete sie die Tür und sah hinein. An jeder Wand standen Regale, die bis unter die Decke reichten. Lediglich die bleiverglasten Fenster waren freigelassen. Sie waren schon lange nicht mehr geöffnet worden. Es roch nach Bienenwachs, Leder und vergilbtem Pergament. Wohl geordnet nach Themen standen die unvorstellbar vielen Bücher und Schriftrollen auf den grob gezimmerten Brettern. Voller Ehrfurcht ließ Luzia ihre Finger über die großen schweinsledergebundenen Folianten gleiten. Mit äußerster Vorsicht berührte sie die kleineren Quart- und Oktavbände. Eine Abschrift des Libellus de aegritudinibus infantum, ein Werk über Kinderkrankheiten von Paolo Bagellardi aus dem Jahre 1472, erregte Luzias Aufmerksamkeit. Vorsichtig öffnete sie die Abschrift und las ein wenig darin. Daneben stand das Regiment der jungen Kinder, ein Werk des Doktor Mettler aus dem Jahre 1473, welches ebenfalls die Kinderkrankheiten behandelte. Noch niemals hatte Luzia so viele Bücher gesehen. Selbst die Benediktiner auf dem Martinsberg zu Altdorf beneideten ihren Onkel um einige Werke, und wenn sie sich umsah, mochte sie das gerne glauben.

      Nachdem sie sich in der Bibliothek ausgiebig umgesehen hatte, stieg Luzia wieder ins Erdgeschoß des großen Hauses, um sich die Apotheke vorzunehmen. Auf den Regalbrettern des hinteren Raumes, in den keine Kunden kamen und wo ihr Onkel seine Mixturen herstellte, lag der Staub vergangener Monate. Luzia machte sich daran, die mannshohen Wandgerüste davon zu befreien. Die bleiverglasten Butzenscheiben ließen das Innere der Apotheke in einem geheimnisvollen Licht erscheinen. Sie säuberte die vielen Schränke aus dunklem Holz. Luzia wischte über die Knäufe der unzähligen Schubladen, dann zog sie einige davon auf und warf einen Blick hinein. Exotische Düfte von Zimt, Nelken, Pfeffer und anderen seltenen Gewürzen strömten ihr entgegen und erfüllten den hohen Raum. Sie verstärkten die geheimnisvolle Stimmung der Apotheke. Auch die scharfen Gerüche heilbringender Arzneien lagen in der Luft, und als Luzia ihre Augen schloss, um die schweren, leicht schwindelerregenden Aromen auf sich wirken zu lassen, erinnerte sie sich daran, dass sie all diese Gerüche bereits aus ihrer Kindheit kannte. Den hinteren Teil der Apotheke liebte Luzia ganz besonders. Hier befand sich über einer gemauerten Feuerstelle der Alambik. Während sie im kupfernen Destillierhelm ihr Spiegelbild betrachtete, überlegte sie, ob Basilius immer noch die Bestandteile seines Theriak darin braute.

      Basilius traf nach einer guten Stunde wieder in der Apotheke ein, als Luzia gerade herumstehende Flaschen zusammenstellte und ein paar Becher ausrieb.

      »Johannes lässt dich herzlich grüßen«, sagte der Onkel mit einem listigen Lächeln. »Und du bringst schon wieder meine heilige Unordnung durcheinander.«

      »Was so alles zum Vorschein kommt, wenn erst der Staub beseitigt ist.« Luzia schwenkte die Vergrößerungsgläser, die Basilius schon seit einer Ewigkeit vermisste. »Die lagen zwischen den Seiten dieses Buches«, sagte Luzia und deutete lachend auf einen dicken Wälzer.

      »Was würde ich ohne dich tun? Dafür lasse ich dich jetzt mein Elixier probieren.«

      Er goss eine Winzigkeit auf den kleinen Probierlöffel aus Horn. »Koste es. Edles Theriak ist kaum mit Gold aufzuwiegen«, forderte er seine Nichte auf.

      Bittere Süße breitete sich in ihrem Mund aus. Warm und rund schmiegte sich die dunkelbraune Flüssigkeit an ihren Gaumen. »Na, kannst du mir ein paar der Inhaltsstoffe nennen?«, fragte er herausfordernd. Als Luzia sah, wie seine Augen vor Freude leuchteten, wusste sie, dass er nicht einen Augenblick an ihren Fähigkeiten zweifelte.

      »Mmh, mal sehen, ob ich das kann, bitter und aromatisch … Engelwurz, Baldrian und vielleicht Myrrhe.«

      Basilius nickte. »Kennst du auch die lateinischen Entsprechungen?«

      »Angelica archangelica, Valeriana und Commiphora myrrha.«

      »Ganz meine Nichte«, lobte Basilius, und seine Augen leuchteten voller Zufriedenheit.

      Aufgeregt verließ Luzia das große Apothekerhaus. Obwohl ihr Basilius mehrfach versichert hatte, dass sie sich vor der Einschreibung ins große Buch der Stadt Ravensburg nicht zu fürchten brauche, beschlich sie ein mulmiges Gefühl. Sie wandte sich nach links, wo die Straße zum Marktplatz hin abfiel. Hier in der Marktstraße wohnten die wohlhabenden Patrizier. Ihre Häuser waren allesamt groß, prächtig und aufwendig verziert. Auf dem Katzenkopfstein hallten ihre Schritte unüberhörbar. Eine Frau öffnete die Fensterläden im ersten Stock und blickte hinaus. Luzia grüßte freundlich, die andere nickte nur. Nach wenigen Minuten öffnete sich die feine Marktstraße zum Marktplatz, an dessen Ende das Rathaus stand. Der Staffelgiebel mit seinen Zinnen erinnerte an eine mächtige Burg. An der Nordwand klebte der kleine Gerichtserker mit den Wappen der Stadt und des Reichs. Und auf dem Dach saß der Glockenturm, von wo aus die Stadträte zur allwöchentlichen Ratsversammlung gerufen wurden.

      Zwei Frauen standen bereits im Eingangsbereich und führten ein angeregtes Gespräch. Sie warteten darauf, dass sie der Ratsknecht einließ. Beide trugen Kleider aus feinem Tuch. Mit Luzias Ankunft verstummten sie und musterten sie voller Neugier.

      »Die neue Hebamme«, sagte die Ältere von beiden, wobei sie sich keine große Mühe gab, ihre Stimme zu senken.

      »Sie hat ja rotes Haar«, bemerkte die Jüngere spitz.

      »Natürlich hat sie rotes Haar. Das hatte sie schon, als sie noch ein Kind war.«

      »Du kennst sie?«

      »Ja, und ich bin gespannt, ob sie genauso grob ist, wie ihre Mutter es war«, überlegte die Ältere.

      »Ich hoffe nicht«, gab die andere zur Antwort. »Mein Monatsblut ist bereits zum dritten Mal gestockt, langsam glaube ich, guter Hoffnung zu sein.« Die hübsche junge Frau lächelte bei diesem Geständnis.

      Luzia wandte sich ihr zu und sagte freundlich: »Ihr seid guter Hoffnung, das erkenne ich gleich. Trinkt den Sud aus gekochten Himbeerblättern mit Fenchel und Frauenmantel, das ist wichtig, besonders wenn es das erste Mal ist.«

      Die junge Frau schnappte nach Luft. »Das erste Mal! Wie könnt Ihr das wissen?«

      In diesem Augenblick schwang die Tür auf, und Luzia ging an den beiden vorbei hinein. Hinter sich hörte sie erregtes Geflüster.

      Das Innere des Rathauses

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