Seelenfeuer. Cornelia Haller
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Luzia zuckte zusammen. Seit sie ihren Fuß wieder in diese Stadt gesetzt hatte, verfolgte sie Grumper, wenn auch nur mit seinem Namen.
»Manche glauben sogar, der Kaplan schickt die alte Vettel in die Häuser, damit ihm ja nichts entgeht und er immer weiß, was in der Stadt geschieht. Du musst wissen, für Grumper gibt es den Beistand Gottes im Gebet, alles andere verteufelt er als lasterhafte Sünde. Er droht den Frauen sogar mit ewiger Verdammnis, sollten sie gegen den Willen der heiligen Kirche handeln, und Grete achtet peinlich genau auf die Einhaltung der kirchlichen Verbote.«
Urplötzlich hatte Luzia das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen wanken. Und wieder schwoll das gefährliche Flüstern, das Zischeln aus ihrer Vergangenheit, in ihrem Kopf an. Diesmal vernahm sie noch eine weitere Stimme, die ihr wie ein glühendes Schwert durch die Eingeweide fuhr. Luzia fühlte Todesangst, und schlagartig wusste sie, dass sie im Begriff war, Stimmen aus der Zukunft zu hören. Quälend und eiskalt verlangten sie nach Antworten. Etwas abgrundtief Böses fraß sich durch ihren Leib, bis es schließlich ihre ungeschützte Seele erreichte. Sie spürte, dass sie dem niemals würde entrinnen können. Als am Rand ihres Blickfeldes leckende Flammen auftauchten, wich der Albtraum wieder.
Luzia legte den Handrücken über die Augen und holte einmal tief Luft. Dann war sie wieder in den Gegenwart. Wie lange war sie in jener anderen Welt gewesen? Lange konnte es nicht gewesen sein, denn Johanna hatte nichts bemerkt und sprach zu ihr, als sei nichts gewesen.
»… Grete kam erst vor wenigen Jahren nach Ravensburg. Anfangs wohnte sie als Pfahlbürgerin außerhalb der Stadt.«
Luzia vernahm Johannas leise Stimme noch immer wie durch einen Nebelschleier.
»Sie kam morgens zur Öffnung der Tore und half tagsüber im Seelhaus bei der Zubereitung der Mahlzeiten für die Pilger. Vor Sonnenuntergang musste sie wieder verschwinden. Damals hatte sie keinerlei Rechte. Erst als Kaplan Grumper auf ihre gottesfürchtige Jungfräulichkeit aufmerksam wurde, erwirkte er für sie das Bürgerrecht und nahm sie bei sich auf. Kurze Zeit später begann Grete, in die Häuser zu gehen.«
Luzia atmete tief durch. Langsam verschwand das unangenehme Schwindelgefühl. »Mit welcher Begründung?«, wollte sie wissen.
Johanna hob ihre Schultern.
»Genau weiß das wohl keiner, aber Grumper sagte ihr schon bald eine besondere Verbindung zur Muttergottes nach, und du weißt ja selbst, dass die Frauen in ihren schwersten Stunden gern auf die Schmerzensmutter vertrauen.«
Luzia nickte. Natürlich wusste sie das. »Göttlicher Beistand kann nie schaden. Aber durch das Beten allein kommt es selten zu einem guten Ende. Jetzt verstehe ich auch, was Doktor Sauerwein vor einigen Tagen meinte. Er erwähnte die hohe Sterblichkeit der Frauen und Kinder.«
»Da hat er wahrlich nicht übertrieben«, entgegnete Johanna traurig und raffte ihr Schultertuch vor der Brust zusammen.
»Aber bis vor wenigen Wochen gab es doch auch noch meine Mutter, sie hat den Beruf der Hebamme erlernt.«
Johannas Blick verhieß nichts Gutes, dann sagte sie: »Deine Mutter machte sich ungern ihre schönen Hände schmutzig, da kam ihr Gretes Art der Geburtshilfe gerade recht. Sie selbst hat auch gern auf die Gnade des Allmächtigen verwiesen.«
Luzia nickte, sie erinnerte sich noch gut an die Ansichten ihrer Mutter. Dass sie sich allerdings so weit von ihrem Weg entfernt hatte, erschreckte Luzia.
»Grete betet für das Seelenheil von Mutter und Kind, ansonsten behindert sie die Nachbarsfrauen eher. Doch niemand wagt der Muntzin zu widersprechen. Sie trägt ja alles zum Kaplan. Dabei schimpft sie jeden förderlichen Handgriff eine schwere Sünde. Allein wenn die Nabelschnur nicht mit einem geweihten Messer durchtrennt wird, meldet sie das dem Herrn Kaplan. An irgendeine Arznei, die gar den Schmerz lindert, darfst du erst gar nicht denken!«
Luzia war entsetzt. Wie oft hatte der Einsatz von Bilsenkraut oder Mutterkorn Leben gerettet!
»Über diese alte Vettel könnte ich dir noch einige Geschichten erzählen, bei denen dir das Blut in den Adern gefriert, aber ich muss jetzt weiter«, sagte Johanna mit einem Blick auf den Sonnenstand. »Möchtest du uns die nächsten Tage nicht einmal besuchen? Rochus und Nanne würden sich sehr freuen.«
Nachdenklich setzte Luzia ihren Einkauf fort. Sie dachte an diese alte Frau, diese Grete. Eine Begegnung mit ihr würde sich nicht vermeiden lassen, spätestens wenn man sie zu ihrer ersten Niederkunft rufen ließ. Und dann würde es darauf ankommen, wer von ihnen beiden sich durchsetzen würde. »Und jetzt genug damit«, schalt sie sich selbst. Sie hatte bisher weder Gemüse noch Äpfel, noch frisches Brot gekauft, von dem sie wusste, wie gern es der Onkel mochte. Und einen Topf Honig brauchte sie auch noch …
Die Gemüsehändler standen vor dem stattlichen Lederhaus, in dem Gerber, Schuhmacher und Sattler ihre Waren verkauften. Die hölzernen Flügeltüren waren weit geöffnet und luden die Kaufwilligen ein.
Der Marktplatz hatte sich mittlerweile gefüllt. Vor jedem Stand drängten sich Frauen und Männer und feilschten mit den Händlern um den besten Preis. Viele Frauen grüßten Luzia, und den anderen schenkte sie wenigstens ein freundliches Lächeln. Ganz zu ihrer Freude sah sie genügend Frauen, die ein Kind unter dem Herzen trugen. Ihren wohlgerundeten Bäuchen nach würde bis zur Niederkunft nicht mehr allzu viel Zeit vergehen. Hoffentlich lassen sie dann nach mir rufen, überlegte Luzia.
Sie warf einen prüfenden Blick in ihren Korb, dann machte sie sich auf den Heimweg. Am Anfang der Marktstraße erreichte sie der Duft frischgebackenen Brotes. Für einen Augenblick schloss Luzia ihre Augen und überlegte: der Duft von Buchenholzfeuer mit einem Hauch Honig, einer Winzigkeit Kümmel sowie einer Spur Koriander und Anis. Das alles in der Himmelsröte, des herannahenden Tages gebacken – so würde sie vielleicht jemandem das einzigartige Aroma frischgebackenen Brotes beschreiben. Mit großen Schritten eilte sie zur Brotlaube, einem Tordurchgang, der die Marktstraße fast gegenüber der Marienapotheke mit der Herrengasse verband. Dort lagen in großen Weidenkörben die warmen haselnussbraunen Laibe. Luzia kaufte zwei runde Einpfünder mit knuspriger Rinde.
Auch an diesem Stand spürte Luzia die neugierigen Blicke der Leute auf sich.
»Das ist die neue Hebamme«, flüsterte jemand in der Schlange hinter ihr.
Als sie bezahlt hatte, hört Luzia, wie der Brothändler zu seiner Frau sagte: »Hübsch ist sie ja, aber sie sollte ihr rotes Haar verbergen.«
Eilig strich Luzia sich ein paar lose Strähnen unter die Haube und setzte ihren Weg fort. Ganz am Schluss kaufte sie bei einem dürren, alten Weiblein ein Pfund gedörrte Zwetschgen. Ihr süßer Duft lockte selbst jetzt noch Wespen an.
»Seid Ihr neu in der Stadt?«, wollte die Obstfrau wissen.
Luzia nickte und antwortete: »Ich bin Luzia Gassner, die neue Hebamme.«
»Dann nehmt noch diese Birnen, sie sind besonders saftig und halten sich noch bis Weihnachten im Keller.« Dabei schob sie Luzia eine kleine, gelbe Frucht in die Hand. »Kostet sie, ich will sie Euch schenken.« Das leicht körnige, süße Fruchtfleisch schmiegte sich an ihren Gaumen und entlockte ihr ein zufriedenes Lächeln. Luzia nickte anerkennend und kaufte bereitwillig einige der reifen Früchte.
Am Abend saß sie mit ihrem Onkel vor dem wärmenden Kaminfeuer in der Stube.
»Und«, fragte