Der letzte Prozess. Thomas Breuer
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Die letzte Woche war auch bei uns sehr ereignisreich. Ich war mit den Kindern bei Oma und Opa. Es gab Kaffee und Kuchen, Obst und Apfelsaft und auch Rumgrog gegen die Kälte. Überhaupt war wieder alles, als wäre gar kein Krieg. Zu Weihnachten wird Opa wieder schlachten und dann kriegen auch wir unseren Teil ab.
Für Gretchen habe ich auf dem Speicher eine alte Puppenküche und einen kleinen Herd gefunden. Das wird sie nun zu Weihnachten bekommen. Nur muss ich es erst noch in Ordnung bringen.
Wenn Du an Weihnachten nach Hause kommst, wirst Du Deine Kinder bestimmt nicht wiedererkennen. Sie haben sich im Wesen so verändert. Anton und Gretchen streiten immerzu. Nur die kleine Marie ist mir eine Freude, der kleine Hosenscheißer. Es wird Zeit, daß auch sie bald stubenrein wird. Aber nein, ich bin ungerecht. Auch Anton und Gretchen können ganz lieb sein, wenn wir am Abend zusammensitzen, vom Weihnachtsmann und vom Vati im KZ erzählen und Weihnachtslieder singen.
Schreib mir, wenn Du etwas brauchst. Und schick ein Telegramm, wenn Du auf Urlaub kommst. Ich hole Dich dann am Zug ab, auch wenn Du in der Nacht eintriffst. Du fehlst uns schon sehr. Möge der Führer dafür sorgen, daß unsere Feinde im Innern und auch außerhalb recht bald bekommen, was sie verdienen, damit wir Frauen unsere Männer zurückbekommen und die Kinder ihre Väter.
So, mein lieber Hausvater, nicht nur die Butter wird knapp, auch Packpapier und Paketband sind kaum noch zu kriegen und selbst das Schreibpapier ist Mangelware und so werde ich Dir von nun ab nicht mehr so lange Briefe schreiben.1
Aber eine Frage will ich Dir dann doch noch schnell beantworten: Was soll ich mir wohl vom Weihnachtsmann wünschen, außer daß der Krieg bald aus ist und alle Muttis ihre Vatis wieder zu Hause haben? Sonst weiß ich wirklich nicht, was ich mir wünschen könnte, außer vielleicht 4711 und ein paar Pralinen und vielleicht Parfum und Schüsseln und Töpfe für die Küche.
Die Kinder wünschen sich nur, daß Du zu Weihnachten zu Hause bist.
Ich umarme und küsse Dich in Gedanken!
Auf immer Dein Muttchen!
1) Das Deutsche Reich war zu Kriegsbeginn wirtschaftlich am Ende. Bereits am 25. September 1939 wurden Lebensmittelkarten eingeführt, mit denen die Zuteilung der knappen Nahrungsmittel gesteuert werden sollte. Am 14. November folgte der Verkauf von Kleidung nur noch über Bezugskarten.
11
Es gibt Dörfer, in denen die Zeit stillgestanden zu sein scheint. Wewelsburg war ein solches Dorf, das sich nur vordergründig durch Richtungsschilder wie Fernverkehr oder eine Volksbankfiliale aus viel Glas als modernes Städtchen zu tarnen versuchte. Das Umfeld der Burg sprach eine ganz andere Sprache und entlarvte den Verkehr und die modernen Fassaden entlang der beiden Hauptstraßen als Kulisse eines großangelegten Fakes. Angesichts der historischen Gebäude fühlte sich Fabian Heller augenblicklich in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts, wenn nicht gar ins Mittelalter zurückversetzt.
Die Burgfassade bestand aus Bruchstein, wie er früher in dieser Region üblich gewesen war, ebenso das ehemalige Kommandantur-Gebäude der SS, in dem sich heute das Kreismuseum befand. Eine gemauerte Brücke mit hüfthoher Balustrade führte vom Vorplatz über den Burggraben, allerdings ohne Wasser. Machte das alte Gemäuer angesichts seiner geringen Größe auf Heller einen eher gemütlichen Eindruck, so wirkte der Innenhof geradezu beengend auf ihn. Der eingekesselte Platz war ohnehin schon sehr schmal und lief dann auch noch vor einem in Relation zur Burggröße mächtigen Rundturm spitz zu, so dass er insgesamt eine dreieckige Form hatte. Über eine kleine Freitreppe gelangte man zur Eingangstür im linken Seitenflügel, neben der das Schild der Jugendherberge an der Mauer hing, die seit Jahrzehnten hier untergebracht war. Zu allem Überfluss befand sich an der stumpfen Seite des Hofes auch noch ein Eingang zum Heimatmuseum.
Unschlüssig blickte Heller sich um. Bei so viel Geschichte wusste man ja gar nicht, wo man anfangen sollte. Außerdem war das definitiv nichts für einen nüchternen Magen. Heller hatte noch nicht gefrühstückt und beschloss, erst einmal auf die Suche nach einer Tasse Kaffee und ein oder zwei belegten Brötchen zu gehen, bevor er sich die Burg ansehen würde. Zudem musste er sich um eine Unterkunft kümmern, bevor hier alles vom Dornröschenschlaf nahtlos ins lethargische Wochenende übergehen würde.
Also ließ er sein Auto auf dem Parkplatz zurück und erkundete zu Fuß die nähere Umgebung. Zwei Straßen weiter stieß er auf einen kleinen Gemischtwarenladen mit Stehtischen, eine Fusion aus Bistro und Tante-Emma-Laden. Bei der jungen Verkäuferin bestellte er zwei Körnerbrötchen mit Käse und einen Cappuccino und bekam auch noch ein freundliches Lächeln gratis dazu.
»Sind Sie wegen der Ausstellung hier?«, fragte die Frau neugierig. »Oder machen Sie Urlaub in Wewelsburg?« Sie lachte leichthin, als sei Letzteres so undenkbar wie witzig.
»Wie man’s nimmt«, antwortete Heller. »Ich bin Journalist und wegen des Mordes hier.« Er reichte ihr über die Theke hinweg die Hand. »Fabian Heller.«
»Freut mich. Julia Grote.« Dann drehte sie sich zu dem Vollautomaten um und schob eine Cappuccino-Tasse unter die Düsen. »Schlimme Sache«, kommentierte sie über ihre Schulter hinweg, während sie den Kaffeeautomaten bediente, der zischend vor sich hin sprotzte, und nickte die volllaufende Tasse an. »Der Mann soll ja ganz furchtbar ausgesehen haben. Überall Blut und Gehirnmasse und so.« Mit den letzten Worten schob sie die Tasse über die Theke. Dann machte sie sich daran, die Körnerbrötchen aufzuschneiden, mit Margarine zu bestreichen und zu belegen. »Der Mörder soll den Mann ja sogar ausgepeitscht haben.«
»Kannten Sie das Opfer?« Heller nippte vorsichtig an dem heißen Cappuccino.
»Nein, der war nicht von hier.«
»Er soll früher im Konzentrationslager gearbeitet haben, als Wachmann«, kramte Heller die spärlichen Informationen hervor, die er von Brenner bekommen hatte. Der Chefredakteur war wie immer sehr gut informiert. Heller hatte sich schon oft darüber gewundert, dass er offenbar überall seine Quellen und Informanten hatte und nicht selten mehr wusste als die ermittelnde Polizei. Aber das machte einen guten Journalisten wohl aus und irgendwie musste Brenner ja an seinen Posten gekommen sein.
»Davon, dass er hier Wachmann gewesen sein soll, weiß ich nichts.«
Kam es Heller nur so vor, oder klang das schon wieder etwas verschlossener? »Wo war das Lager denn eigentlich genau?«
»Hinter dem Dorf.« Julia Grote wedelte mit der Hand ungenau aus dem Laden hinaus. »Davon ist aber heute nichts mehr übrig. Nur den Appellplatz mit dem Mahnmal gibt es noch. Wenn das nicht wäre, würden Sie nichts mehr von dem Lager sehen.«
Heller überlegte, was sie wohl mehr bedauerte: dass von dem Lager fast nichts mehr übrig war, oder dass man die Reste nicht auch spurlos beseitigt hatte. »Kommt es öfter vor, dass ehemalige SS-Männer das Dorf besuchen?«
Julia Grote zuckte mit den Schultern. »Nicht dass ich wüsste. Früher hat es oft Ärger mit Neonazis gegeben. Aber seit die im Museum aufpassen und die Glatzen immer gleich rausschmeißen, ist es ruhig im Dorf. Bei Gedenkveranstaltungen sind manchmal ehemalige Häftlinge dabei, aber Nazis …« Sie schob den Teller mit den Brötchen über die Theke und deutete auf Hellers Tasse, die inzwischen leer war. »Noch einen?«
»Ja, gerne. Der Cappuccino ist prima.«
»Bleiben