Zart und frei. Dr. Carolin Wiedemann

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Zart und frei - Dr. Carolin Wiedemann

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paar Monate nachdem mehrere Frauen die ersten Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein wegen Vergewaltigung und sexualisierter Belästigung erhoben hatten, schaltete Steve Bannon in Washington seinen Fernseher ein, um sich die Preisverleihung der Golden Globes anzusehen. Natalie Portman sollte die Nominierten in der Kategorie »Regie« vorstellen, die zehn männlichen Nominierten, wie sie bitter betonte. Die Frauen und Queers im Saal, Schauspieler*innen, Regisseur*innen und Filmemacher*innen, die allesamt Schwarz trugen, schüttelten empört die Köpfe. Bis Oprah Winfrey ihre Rede hielt und ins Mikrofon rief, sie seien zu lange nicht gehört worden, zu lange habe man ihnen nicht geglaubt, wenn sie es doch wagten zu sprechen. Die Zeit der mächtigen Männer sei vorbei. Ein neuer Tag sei schon am Horizont zu sehen, rief sie ins Publikum, und das rief sie auch all den jungen Menschen zu, die die Verleihung zuhause verfolgten.

      Als Bannon das sah, so schilderte er es seinem Biografen, sei ihm klar gewesen: Das ist der Beginn einer Revolution: »Frauen werden die Kontrolle über die Gesellschaft übernehmen. Die Bewegung gegen das Patriarchat wird die Geschichte der vergangenen 10 000 Jahre rückgängig machen.« Das Interessante an dieser Aussage ist, dass Bannon hier 10 000 Jahre Herrschaft des Patriarchats anerkennt. Und dass er zur Beschreibung unserer gesellschaftlichen Ordnung einen Begriff verwendet, den genau diejenigen selbst gerade (wieder-)entdecken, die damit Akteur*innen wie Bannon bekämpfen.

      Die Geschichte des Begriffs Patriarchat ist die Geschichte feministischer Kämpfe. Immer wenn der Begriff ausgesprochen oder niedergeschrieben wurde, dann um eben jene Zustände zu kritisieren, die er bezeichnet. Und immer, wenn Patriarchatskritik laut wurde, wenn sie öffentlich wurde, war klar, dass der feministische Kampf gerade eine neue Welle ins Rollen brachte. Diesmal ist es vielleicht ein Tsunami wie Janelle Monáe in ihrem Lied »Django Jane« rappt.

      Aber erst einmal zurück zum Ursprung des Begriffs: Wann wurde überhaupt vom Patriarchat gesprochen? Wann kam der Begriff auf? Und was sollte er bezeichnen?

      Jahrhundertelang oder vielmehr jahrtausendelang war die patriarchale Ordnung so selbstverständlich, dass niemand von ihr sprach, dass es also nicht einmal einen Namen, ein Konzept für die Vorherrschaft des Mannes gab. Die Vorstellung seiner natürlichen Überlegenheit erfüllte sich von selbst, da diejenigen, die die Gesetzestexte, Gedichte und religiösen Schriften verfassten, Männer waren. Alle anderen wurden aus der Geschichtsschreibung ausgeschlossen, ihnen wurde die Möglichkeit verweigert, die Vergangenheit der Menschen zu ordnen und zu interpretieren, wie Gerda Lerner in ihrem berühmten Buch Die Entstehung des Patriarchats festhält – womit unsichtbar gemacht wurde, dass sie selbst diese Geschichte mitproduzierten.

      Mary Wollstonecraft war die erste Autorin, die diese Zustände skandalisierte. Sie beschrieb eine »Tyrannei der Männer« (1792), allerdings noch ohne dafür das Wort »Patriarchat« zu verwenden. Dieser Begriff tauchte zur Bezeichnung von Geschlechterverhältnissen erstmals sechzig Jahre später beim Schweizer Rechtswissenschaftler und Altphilologen Johann Jakob Bachofen auf, der Mitte des 19. Jahrhunderts die entwicklungsgeschichtliche Abhandlung Das Mutterrecht veröffentlichte. Wie keine Schrift zuvor thematisiert dieses Buch eine Herrschaft der Männer und verweist dabei auch ausführlich auf ein »Vorher«, auf eine sehr lange zurückliegende Zeit, in der die Abstammung der Menschen über die Mutter ermittelt worden sei, in der Frauen geherrscht haben sollen, bis Männer sie schließlich unterworfen hätten. Auf die Frage nach dem Beginn des Patriarchats gehe ich im Kapitel zum Zusammenhang von Kapitalismus und Patriarchat noch einmal ein, auch in Bezug auf die Analysen von Friedrich Engels, der sich in seinem berühmten Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates 1884 ausführlich damit befasste. Für die Geschichte der feministischen Kritik ist Engels’ zentrales Werk gerade deshalb wichtig, weil es Bachofens Begriff des Patriarchats und die Kritik an patriarchalen Zuständen unter linken, kapitalismuskritischen Intellektuellen verbreitete.

      Noch vor dem Erscheinen von Engels’ Buch hatte die erste »Frauenkonferenz« stattgefunden, die als »Leipziger Frauenschlacht« 1865 in den Zeitungen des Landes verunglimpft wurde, aber enorm erfolgreich war. Dort wurde der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) ins Leben gerufen, der wiederum die Gründung verschiedener Frauenverbände in ganz Deutschland nach sich zog – was als Beginn der hiesigen organisierten Frauenbewegung gilt.

      In dieser Zeit schrieb auch die britische Literatin Virginia Woolf vom Patriarchat. Als erste Autorin bezog sie das Konzept der Männerherrschaft auf ihre eigenen Erfahrungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auf ihre Sozialisation innerhalb der Familie, einer bürgerlichen Familie: Dort verfügte der Vater über die Autorität und die ökonomische Macht, die Jungen wurden auf ein Leben in der Öffentlichkeit vorbereitet, den Mädchen dagegen blieb eine ernstzunehmende Ausbildung verschlossen und damit auch die Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Sie waren in die Sphäre des Privaten, in die Abhängigkeit vom Vater und dann vom Ehemann verbannt.

      Woolf und ihre Mitstreiter*innen aus der ersten Frauenbewegung kämpften schließlich enorm erfolgreich für mehr Rechte, für das Recht auf Bildung, das Recht zu wählen und arbeiten zu gehen. Doch damit war ihre Unterdrückung noch längst nicht beendet. Im Bereich der Wissenschaft etwa, selbst in jener Forschung, die sich mit Machttheorien befasste, tauchte der Begriff des Patriarchats noch nicht einmal auf: Die Soziologie etwa interessierte sich noch nicht für die Herrschaft des Mannes, und sie selbst wurde hauptsächlich von Männern betrieben.

      Der grundsätzliche soziale Charakter der Geschlechterungleichheit wurde dann zum zentralen Kritikpunkt der Feminist*innen der Siebzigerjahre, der zweiten Welle also, womit der Patriarchatsbegriff gleichzeitig eine Ausweitung erfuhr. Kate Millett etwa schrieb 1970 mit Sexualität und Herrschaft laut der New York Times »die Bibel des Feminismus«, die das Patriarchat als das »grundlegendste Machtkonzept« der Gesellschaft identifizierte und dabei alle Normen des Zusammenlebens auf ihre patriarchalischen Züge hin abklopfte: die romantische Liebe, die bürgerliche Familie. Frauen würden so erzogen, dass sie Männern gefallen, ihnen schmeicheln und sie zufriedenstellen wollen. Millett sprach von »einer raffinierten Form ›innerer Kolonisierung‹«, die »robuster« sei »als jede Form der Segregation und rigider als die soziale Schichtung, gleichförmiger und mit Sicherheit von größerer Dauer«.

      In dieser Zeit gründeten sich auch in Deutschland im Zuge der und im Anschluss an die Student*innenbewegung verschiedene autonome Frauengruppen und Netzwerke, die eine ähnlich radikale Kritik äußerten wie Millet. Und auch die weniger radikalen unter ihnen forderten das Recht auf Selbstbestimmung: aktives Mitspracherecht in der Politik, uneingeschränkten Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten und die Abschaffung des Paragrafen 218, der den Schwangerschaftsabbruch verbot. Parallel dazu entstanden die ersten Frauenzentren, Lesbengruppen, Frauencafés, Frauenkneipen und autonome Frauenprojekte wie Frauenhäuser – Zufluchtsorte für Opfer häuslicher Gewalt. Feminist*innen dieser zweiten Welle schafften es schließlich, ihre Kritik, die Patriarchatskritik, durch Frauenbeauftragte und -büros in Verwaltungen und im Rahmen von Women Studies an Universitäten zu etablieren und so weiter Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen.

      Doch mit einem Konzept des Patriarchats, das monolithisch angelegt war und andere Machtverhältnisse außen vor ließ, ignorierten sie, wie verschieden die Erfahrungen von Herrschaft und Unterwerfung doch auch innerhalb der Gruppe derer waren, die zu Frauen gemacht wurden. Sie waren selbst zu weiß, um ihre eigene Privilegiertheit zu berücksichtigen, worauf besonders prominent die antirassistische feministische Autorin bell hooks hinwies. Die »white supremacy«, die Vorherrschaft der Weißen strukturiert(e) die Welt, jene Welt, in der Kate Millett gelesen wurde, eine Welt, in der manche Männer stärker unterdrückt und ausgebeutet wurden und werden als manche Frauen und starke Unterschiede zwischen Frauen verschiedener Klasse herrsch(t)en, erst recht, wenn sie noch mit verschiedenen ethnisierenden Zuschreibungen versehen werden.

      Und dass auch lesbische Frauen und vor allem Menschen, welche die binäre Matrix in Gänze herausfordern, weniger Handlungsspielraum als heterosexuelle cis Frauen haben, war in der Patriarchatskritik der zweiten Welle

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