Herman. Ларс Соби Кристенсен

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Herman - Ларс Соби Кристенсен

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besten nicht.«

      Vater richtet sich plötzlich auf, gräbt in seiner Hosentasche und zieht den Metallkamm hervor.

      »Das ist jetzt deiner«, sagt er feierlich. »Paß auf ihn auf.«

      Herman nimmt vorsichtig den Kamm entgegen, er schimmert in der Hand, ist schwer und gut zu halten.

      »Aber womit willst du dich kämmen?« fragt er.

      »Ich stecke meinen Kopf einfach unter den Wasserhahn, und der Wind ist mein Kamm«, sagt Vater, und dann marschiert er mit Riesenschritten los und verschwindet hinter einem Schwarm Tauben, der plötzlich auffliegt.

      Vor dem Roten Kreuz steht ein Rettungswagen mit riesigen Spiegeln auf jeder Seite. Herman hält sein Gesicht vor einen der Spiegel und betrachtet es, hier sieht es wieder ganz komisch aus, so, als wäre es nur eine einzige riesige Nase. Aber die ähnelt jedenfalls nicht mehr einem Tannenzapfen. Er fährt sich mit dem Kamm durch das Haar, der Kamm schrammt auf der Kopfhaut und tut ihm ziemlich weh, doch das soll es ja vielleicht, vielleicht muß es weh tun, wenn man einen eleganten Scheitel haben will. Dann, mit einemmal, entdeckt Herman, daß jemand im Rettungswagen liegt: ein uralter Mann mit gläsernen Augen, die überhaupt nicht blinzeln, der Mund ist nur ein offenes Loch ohne Zähne, und die Haut ist blau und stramm wie das Trikot eines Schlittschuhläufers. Herman zuckt zusammen und läuft die Straße ein Stück hinauf, er muß an Großvater in seinem Himmelbett denken. Und jetzt ist er ganz und gar aus dem Zähltakt geraten, da kann er genausogut gleich mit geschlossenen Augen gehen. Sein Rekord sind sechsundzwanzig Schritte, aber dieser Rekord wurde letzten Sommer mitten auf einem Feld aufgestellt. Er schließt die Augen und zählt leise für sich. Acht. Das ging gut. Fünfzehn. Das geht immer noch gut. Doch als er bei zweiundzwanzig ankommt, ist jäh Schluß. Er trifft auf etwas Weiches, das schreit. Herman öffnet die Augen und starrt direkt in die Augen eines Fuchses. Weiter oben ist da etwas mit blauem Haar, das redet.

      »Paß doch auf, du Bengel!«

      Herman sieht in die entgegengesetzte Richtung und tastet mit den Händen um sich.

      »Ich bin kein Bengel. Ich bin blind und habe mich verlaufen.«

      Herman wackelt auf die Straße, beide Arme vor sich hingestreckt. Drei Autos machen eine Vollbremsung, und ein Bus landet fast in Möllhausens Konditorei. Herman sprintet um die Ecke und hört aus weiter Ferne, daß es zum Unterricht klingelt.

      Der Schulhof ist vollkommen leergefegt, als wären die Eingangstüren riesige Staubsauger. Nicht ein Schulbrot liegt dort. Herman drückt sich am Zaun entlang und überlegt, wras er diesmal sagen soll. Und alles ist sehr still. Vielleicht sind alle tot und wir kriegen frei, denkt Herman. Aber als er auf den Flur kommt, hört er die frommen Lieder aus den Klassenzimmern, und es klingt fast unheimlich. Jedenfalls ist es sehr traurig, fast noch trauriger als im Wunschkonzert, wenn die Leute, die über hundert sind, einen Gruß erhalten. Er hängt seine Jacke an den Haken, wartet, bis sie mit dem Singen fertig sind, dann klopft er an und öffnet die Tür, bevor der Lehrer antworten kann. Tonne steht hinter dem Pult und starrt ihn an, er hat schon jetzt die Stirn voll Kreide und hält den Zeigestock wie einen Degen. In der Fensterreihe sitzt Ruby, es sieht aus, als ob sie kurz davor sei, sich totzulachen. Tonne macht einen Schritt auf ihn zu. Tonne ist groß, der größte Lehrer in der Schule, er ist genauso breit wie lang, und er ist reichlich lang. Es geht das Gerücht, daß er einen Siebtkläßler 40 Minuten lang an einem Ohr aus dem Fenster der obersten Etage gehalten hat, aber das ist sicher viele Jahre her.

      »Und was für eine Entschuldigung hast du heute, Herman Fulkt?«

      Er kann schlecht sagen, daß er plötzlich blind geworden ist und sich in der Altstadt verlaufen hat, denn das hat er schon einmal gesagt.

      »Ich mußte einer alten Dame helfen, die von einem Fuchs überfallen wurde«, sagt Herman.

      Tonne kommt noch näher, er hält den Zeigestock jetzt mit beiden Händen fest, es fehlt bestimmt nicht mehr viel, bis der zerbricht. Die Fäuste von Tonne sind groß wie Blumenkohl. Herman möchte gern wissen, was der Junge wohl gemacht hatte, der am Ohr aus dem Fenster hängen mußte. Er kriegt langsam ein unangenehmes Gefühl im Magen.

      »Ein Fuchs, so, so. Und wo ist dieser Fuchs aufgetaucht?«

      »Direkt in der Bygdöy-Allee ist er aufgetaucht.«

      »Ja so. In der Bygdöy-Allee. Vielleicht kannst du uns erzählen, wie du das Untier bezwungen hast?«

      Langsam breitet sich Lachen in der Klasse aus, von Bank zu Bank. Ruby schafft es kaum noch, sich zusammenzureißen.

      Das wollte Herman schon immer gern wissen, ob Lachen eigentlich eine Krankheit ist, denn Mutter sagt immer, daß Lachen ansteckt.

      »Als ich eingriff, war der Fuchs schon tot. Er hing um den Hals der Dame und war vergiftet. Darf ich zur Toilette gehen?«

      Jetzt hat das Lachen alle angesteckt, sie sitzen mit großen Öffnungen in den Gesichtern da, aus denen verschiedene Laute kommen. Manche sind so krank, daß sie auf die Tische hämmern müssen. Aber Tonne ist immer noch gesund. Acht waagrechte Falten bilden sich auf seiner Stirn, und der Kreidestaub rieselt ihm die Wangen hinunter.

      »Setz dich«, sagt er müde. »Falls du es solange aushältst.«

      »Es wird schon gehen«, sagt Herman. »Es klingelt sowieso bald.«

      Tonne bekommt noch drei weitere Falten dazu, und Herman beeilt sich, zur Fensterreihe zu gehen. Von dort kann er die Kirche sehen; er hat schon immer überlegt, was wohl höher ist, der Kirchturm mit der leuchtenden Kupferspitze oder Vaters Kran. Er tippt auf den Kran, denn wie hätte man sonst die Kirchturmspitze bauen können? Zwei Tische vor ihm sitzt Ruby, und wenn das Licht von draußen auf ihr Haar fällt, scheint es zu brennen, genau wie wenn die Sonne die Kupferspitze trifft und der ganze Turm glüht. Heute allerdings ist der Himmel so bedeckt, daß selbst die Vögel für einen Sonnenstrahl Schlange stehen müssen. Aber Rubys Haare sind auch so schön. Herman gefällt es, daß sie vor ihm sitzt. Schlechter ist es mit denen, die ganz hinten sitzen, Glenn, Björnar und Karsten. Die haben schon mal einen aus der siebten Klasse verprügelt, das Klo verstopft und eine halbe Pakkung Zigaretten geraucht. Sie hinter sich zu haben, ist nicht sehr sicher, wenn man keine Augen im Nacken hat. Plötzlich dreht Ruby sich zu Herman um und streckt ihm die Zunge raus. Sie sieht fast wie ein rotes Blatt aus. Herman muß laut lachen.

      Tonne hat ihn schon im Blick, hebt den Zeigestock, schiebt die Unterlippe vor und bläst sich die Kreide von der Nase.

      »An die Tafel!«

      Herman geht langsam zwischen den Reihen hindurch. Er überlegt, wonach Tonne wohl heute fragen wird: wie hoch der Monolith im Park ist, wie viele Mägen eine Kuh hat und wozu die gut sind, oder nach dem Weg der Fichte vom Waldbaum bis zum Möbelstück. Herman spürt, daß er immer kleiner wird, bald reicht er nicht mal mehr an seine eigenen Knie, und als er vorne am Lehrerpult steht, ist er so klein, daß er sich im rechten Schuh von Tonne sehen kann, und ihm fällt ein, daß er sich heute die Haare schneiden lassen soll.

      Herman bekommt ein Stück Kreide in die Hand, die ist groß wie ein Baumstamm, wie soll er denn oben an die Tafel reichen? Da unten bei den Schuhen von Tonne riecht es nicht besonders gut. Vielleicht muß er ja Afrika zeichnen oder das ganze Gebäude von Eidsvolds, in dem die Verfassung unterschrieben wurde, mit der Flagge obendrauf, oder vielleicht muß er am linken Ohr aus dem Fenster hängen? Es ist auf jeden Fall gut, daß das Klassenzimmer im Erdgeschoß liegt.

      »Schreib ein kleines i mit einem Punkt drüber!« sagt

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