Kampf um Wien. Hugo Bettauer

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Kampf um Wien - Hugo Bettauer

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Blicke folgten ihm, er fühlte, wie diese Rotblondine und dort eine Schlanke mit tiefschwarzem Haar ihn mit ermunternden, fast dreisten Augen musterten, er empfand das alles fremd, unamerikanisch, aus einer anderen Welt, begann sich unbehaglich zu fühlen und wäre gerne in irgend einen Winkel geflüchtet. Aber das ging nicht, denn immer wieder stand der alte Generaldirektor mit dem assyrischen Bart neben ihm, immer wieder tauchte ein neuer Kommerzialrat, Direktor oder Präsident auf, den es „riesig freute“, seine Bekanntschaft zu machen.

      Bis plötzlich ein schlanker, noch junger Mann mit Künstlermähne, das Monokel wie eingewachsen, auf ihn und den Hausherrn zutrat und mit der Stimme eines norddeutschen Schauspielers, die aber urplötzlich in jüdischen Jargon umschlug, ausrief:

      „Lieber Herr Generaldirektor, überlassen Sie jetzt den geehrten Epigonen sämtlicher Rockefellers, Vanderbilts und Astors mir. Ich sehe genau, wie er, je mehr Kommerzialräte sie ihm vorführen, desto verzweifelter wird. Ich werde den Menageriewärter machen, der ihm den ganzen zoologischen Garten erklärt.“

      Verblüfft, aber auch belustigt, wandte sich Ralph dem entschieden nervösen Herrn zu, der von Zeit zu Zeit mit der Stimme gluckste und einen „Hupp“-artigen Ton von sich gab, während der Hausherr, seinen Ärger verbergend, lachend sagte:

      „Das ist Herr Felix Korn, hochbegabter Schriftsteller, aber etwas exzentrisch. Herr Korn ist ein glänzender Rezitator und wird sicher später die Freundlichkeit haben –“

      Korn unterbrach:

      „Womit nämlich der Herr Generaldirektor andeuten will, daß ich nix so vollwertig bin wie die übrigen Gäste, sondern so gewissermaßen ein Spaßmacher, den man einlädt, erstens, um den Gästen die Langweile zu vertreiben, zweitens, weil er einem ohnedies Geld schuldig ist, das man nie zurückbekommen wird.“

      Und schon hatte er den Arm des Amerikaners ergriffen und ihn fortgezogen.

      „Ich seh’ Ihnen an, daß Ihnen mies ist. Wenn Sie nicht wissen, was mies ist, so gehören Sie schon gar nicht in die Gesellschaft. Überhaupt, wenn Sie sich hier festsetzen, wird Sie das viel Geld kosten, halten Sie sich lieber an mich, ich bin bescheiden, nehm’ auch fünf Dollar und laß mich zum bescheidensten Nachtessen bei Sacher einladen. Jetzt werde ich Ihnen die Leute erklären, verehrter Herr Krösus. Also die Hälfte von den Leuten hat vor dem Krieg noch nicht Brot auf Hosen gehabt, jetzt haben alle eine Milliarde, was sag’ ich, fünf, zehn, zwanzig Milliarden. Da ist ein Kommerzialrat, der früher mit Olmützer Quargel en gros gehandelt und eine Wurst aus Löschpapier, mit Streusand gefüllt, erfunden hat. Jetzt besitzt er ein Auto. Da ist einer, der ist so blöd, daß man glauben sollt’, er kann sich mit dem Verstand allein nicht ein Paar Schuh’ verdienen. Er hat auch ein Auto. Da ist der Ola, Bankier, hervorragender Alpinist, das heißt, er hat heftig an Alpine verdient, außerdem schreibt er, wozu weiß niemand, schlechte Burgtheaterkritiken, das heißt, jetzt hat er das Blattl verkauft, also wird er sie inserieren müssen. Daß der Conrad von Hötzendorf und der Kaiser Wilhelm Memoiren geschrieben haben, ließ ihn nicht ruhen, er hat jetzt seine Denkwürdigkeiten als Buch im eigenen Verlag herausgegeben. Das Buch ist aber weniger expressionistisch als exhibitionistisch, alles kommt drin vor, wer ihm Geld schuldig ist und welche Mehlspeis’ er am liebsten ißt und wann er mit der Erotik begonnen hat.

      Da, der Dicke mit der weißen Weste, ist der Holz von Holzingen, ein begeisterter Monarchist, weil er jetzt sich nur mehr Holz nennen darf. Im Hauptberuf Inseratenagent, aber er macht auch alle anderen Geschäfte.

      Hier diese schöne Frau, die Christine von Audorf, das heißt, eigentlich heißt sie Pollak, aber sie nennt sich gerne mit dem adeligen Scheidungsnamen. Also, die ist großartig! Neulich hat sie gesagt: „Mein Mann darf mir nicht nach Hause kommen, wenn er nicht in der Woche eine Milliarde verdient hat.“

      Korn hatte seiner Rede Fluß zu wiederholten Malen mit einem „Hupp“ unterbrochen, aber nun machte Ralph „Uff!“ und sagte:

      „Halt, geben Sie mir eine Atempause, damit ich alle diese Bosheiten verdauen kann.“

      Korn ließ sich nicht stören. Er stopfte ein Sandwich nach dem anderen in sich hinein und fuhr fort, die Gäste in grausam-boshafter Weise zu karikieren.

      Inzwischen hatte der Generaldirektor Klopfer-Hart eine kurze Unterredung mit seinem neuen Privatsekretär, Herrn Heinrich Lank, gehabt, und dieser eine längere Unterredung mit einer bildschönen, ganz in schwarze Seide gekleideten jungen Frau, deren mahagonibraune Haare in prachtvollem Kontrast zu den schneeweißen Schultern, den nackten Armen und der fast unverhüllten Büste standen. Lank beugte sich nochmals über Frau Hedi Günzel, die Gattin eines Wiener Rechtsanwaltes, und flüsterte ihr zu:

      „Also, Frau Hedi, klug sein! Sie schwärmen, wie man weiß, für Perlen. Dieser Amerikaner wird Ihnen, wenn Sie wollen, alle Perlen von Wien zusammenkaufen. Und außerdem lassen auch wir uns nicht lumpen. Sie attachieren sich ihn und animieren ihn von Zeit zu Zeit zur Beteiligung an einem Unternehmen der Bankgesellschaft. Zu welchem, werden Sie schon jedesmal rechtzeitig erfahren.“

      Frau Hedi blähte die feinen Nasenflügel auf und sagte mit halbgeschlossenen Augen:

      „Er könnte mir auch gefallen, wenn er nicht so reich wäre. Um so besser also – bringen Sie ihn her.“

      Schon eiste Herr Lank den Amerikaner von dem Schriftsteller los, um ihn der schönen Frau vorzustellen.

      „Erzählen Sie mir von Ihrer Heimat, Mister O’Flanagan, ist es wahr, daß es in Amerika so viele schöne Frauen gibt?“

      Ralph nahm den sinnlichen Zauber dieser Frau in sich auf und sagte lächelnd:

      „Ja, man sieht in den amerikanischen Städten wohl mehr schöne Frauen als hier in Wien. Aber die meisten sind Bilder ohne Gnade oder tun wenigstens so. Ich sehe hier mehr Sinnesfreude, glaube, daß die Wienerinnen sich und ihre Gefühle nicht so ängstlich verbergen, mehr des Wertes der reinen Weiblichkeit bewußt sind.“

      Frau Hedi lachte girrend auf.

      „Sie beobachten gut. Und bald werden Sie reiche Erfahrungen sammeln können. Die Wienerinnen werden Ihnen nicht allzu spröde entgegenkommen, man weiß hier sehr wohl echte unverbrauchte Männlichkeit zu schätzen. Sehen Sie, wenn ich noch Mädchen wäre, würde ich mich wahrscheinlich in Sie verschießen. So wie Sie war mein Backfischideal.“

      Verlegen, über diese unvermittelte Attacke fast erschrocken, erwiderte Ralph:

      „Nun, Sie werden doch bei der Wahl des Gatten von Ihrem Ideal nicht allzu weit abgewichen sein.“

      Frau Hedi lachte hart auf und machte eine wegwerfende Bewegung.

      „Was hat der Gatte mit dem Ideal zu tun? Dort steht mein Mann, sieht so ein Mädchenideal aus?“

      Und sie wies auf ein dürres Männchen mit Glatze und gewölbtem Rücken.

      „Warum ich ihn geheiratet habe? Mein Gott, Mama und Papa haben gemeint, er sei eine gute Partie und schließlich – ich war aufgeklärt genug, um zu wissen, daß heutzutage die Ehe nur eine gesellschaftliche Form ist, um der Frau mehr Freiheit zu geben. Aber das ist kein Jourgespräch! Bitte, besuchen Sie mich doch an einem Nachmittag. Oder noch besser, wir treffen uns zunächst ganz zwanglos nachmittags im Tabarin oder beim Five-o’clock im Bristol. Rufen Sie mich vorher an. Ich bin überzeugt davon, daß wir gute Freunde werden können.“

      Vor Ralph tauchte ein feines, süßes Mädelgesicht mit lustigen, guten Kinderaugen auf, aber er war jung, lebenshungrig, die Frau reizte seine Sinne und er nahm gut gelaunt

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