Kampf um Wien. Hugo Bettauer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kampf um Wien - Hugo Bettauer страница 8
Die Antwort kam am nächsten Tag und der Kanzler las sie mit verkniffenen Lippen, während er nervös auf den Tisch trommelte:
„Verstorbener John Patrick O’Flanagan galt in St. Paul als guter Katholik, der auf eigene Kosten eine hübsche Kirche errichten ließ. Sohn ist als Freigeist bekannt, besuchte auch Sonntags nicht den Gottesdienst, bekannte sich bei den letzten Wahlen zum Sozialismus, für den er seine Stimme abgab. Hat Entrüstungskundgebung über Gefangenhaltung des Sozialistenführers Debs mitunterschrieben. Dürfte tatsächlich an Reichtum hinter Astors und Rockefellers nicht nachstehen.“
Der Kanzler pfiff gedämpft vor sich hin und gab dann seinem Präsidialisten den Auftrag, O’Flanagan durch die Staatspolizei ständig beobachten zu lassen und es dazu zu bringen, daß der Amerikaner beim Bundeskanzler seine Karte abgebe.
8. Kapitel
Ein Blick hinter die Kulissen.
Ralph, ohne eine Ahnung zu haben, daß er beobachtet, kontrolliert, viviseziert wurde, war ärgerlich und unzufrieden. Seitdem der Artikel in der „Presse“ erschienen war, verbeugten sich die Hotelbediensteten, die Chauffeure auf der Straße vor dem Hotel, die Kellner und sogar der alte Dienstmann an der Ecke bis zum Boden vor ihm und trotz aller Abwehrmaßregeln ließ es sich nicht vermeiden, daß ihn auf der Straße Damen und Herren ansprachen, seine Hilfe für sich selbst oder für Aktionen, die sie leiteten, erbaten, daß er täglich hundert und mehr Briefe bekam, kurzum plötzlich im Mittelpunkt einer ihm fremden Welt stand.
Das war ihm aber mehr als unbequem, belastete sein Gewissen. Ralph war aus tiefster Überzeugung ein Feind jeder sogenannten Wohltätigkeitsaktion. Er wäre sofort bereit gewesen, große Beträge zur Aufrichtung einer Existenz zu geben, weigerte sich aber, seine Hilfe einer Suppen- und Teeanstalt zu gewähren. Elend müsse an der Wurzel, in seinen Ursachen behoben werden, meinte er, nicht aber in seinen Erscheinungen. Arbeitslose brauchen Arbeit, aber kein Almosen. Es habe keinen Sinn, Kindern Schuhe zu schenken, sondern die Eltern dieser Kinder müssen in der Lage sein, selbst Schuhe zu kaufen.
Ralph sah, daß durch die Ungeschicklichkeit seines Dieners sein geheimster, noch nicht einmal in Gedanken ausgetragener Plan, Österreich zu helfen, verraten worden war, fühlte, daß es für ihn keinen Rückzug mehr gab, wollte er nicht das Andenken an die geliebte Mutter schmähen, aber er sah noch nicht den richtigen Weg vor sich. Und deshalb hatte er nicht ungern die Einladung des Herrn Heinrich Lank, der gestern bei ihm gewesen war, angenommen, um so mehr, als der Privatsekretär des Generaldirektors ihm versichert hatte, er würde in der Villa des Herrn Klopfer-Hart viele kluge, einflußreiche Männer kennen lernen.
Heute hatte Ralph O’Flanagan durch Zufall Gelegenheit, einen tieferen Einblick in das Wiener Leben zu bekommen, einen Blick hinter die noch immer schönen und stattlichen Kulissen zu tun.
Die Tage vorher war heftiger Schnee gefallen und an allen Straßenkreuzungen arbeiteten außer den städtischen Angestellten zahllose per Stunde und Tag aufgenommene Schneeschaufler. Für den jungen Amerikaner war der Anblick ergreifend. Er sah zarte junge Mädchen, deren blau gefrorene Hände die schwere Schaufel kaum halten konnten, Männer mit Zwicker oder Brille, denen man nur zu deutlich ansah, daß sie nicht bei körperlicher Arbeit groß geworden, Kinder, kaum der Schule entwachsen, Frauen, die im Schnee arbeitend auf den Hut und die mottenzerfressene Pelzboa nicht verzichten konnten.
Es war zwölf Uhr mittags und Ralph stand an der Ecke der Stadiongasse und des Ringes in unmittelbarer Nähe eines Häufleins Schaufler, die eben kurze Rast machten. Unter ihnen befand sich ein alter Herr mit weißem Knebelbart, der sich erschöpft an den Haltestellenpfahl lehnte. Ralph überwand sein angeborenes Taktgefühl und sagte scheinbar obenhin:
„Ungewohnte Arbeit, mein Herr, was?“
Der Alte lächelte.
„Hätte es mir im Jahre 1912, als ich mich von der Firma, bei der ich vierzig Jahre Buchhalter gewesen war, pensionieren ließ, nicht träumen lassen, daß ich – Aber was soll man machen? Eine alte Frau zu Hause und einen kranken Bruder – verhungern will man doch nicht und so nimmt man das weiße Brot, das vom Himmel fällt.“
Andere Schaufler waren hinzugetreten. Ein junges Mädchen klagte: „Ich hab die Handelsschule absolviert und war froh, verdienen zu können, und jetzt finde ich keine Stellung. Man kann sich ja auch gar nicht ordentlich umschauen, das Porto, das Briefpapier ist so teuer und eine Fahrt mit der Elektrischen kaum zu erschwingen. Und den Eltern, denen es selbst nicht gut geht, will man halt doch nicht ganz zur Last fallen.“
Eine Frau mit nicht unfeinen Gesichtszügen stimmte ein:
„Wenn man sich nur nicht so um die Kinder ängstigen müßte. Sie sind allein zu Haus, vormittags geh’ ich bedienen, nachmittags wieder, und sie werden mir noch ganz verkommen. Jetzt hab’ ich für den Vormittag keine Arbeit und so verdien’ ich mir halt Zehntausend mit dem Schneeschaufeln.“
Der Amerikaner biß sich auf die Lippen, steckte dem alten Herrn ein Bündel österreichischer Banknoten zu, die er lose in der Hosentasche trug, und raste davon, ohne sich nochmals umzusehen.
Elend genug hatte er auch in den amerikanischen Großstädten gesehen, aber hier erschien ihm alles hoffnungsloser, peinigender zu sein als in den New Yorker und Chikagoer Slums. Dort konnten sich die Menschen immer wieder aufraffen, hier war das Elend resigniert, müde, dumpf.
Er ging dem Schottentor zu und wartete, wie gestern und vorgestern, einen F-Wagen nach dem anderen ab. Schämte sich dieses nutzlosen und knabenhaften Beginnens und konnte doch nicht die Hoffnung aufgeben, das blonde Mädchen mit den großen, klugen, grauen Augen, das er am Tage seiner Ankunft wie im Fluge gesehen, wieder zu finden.
9. Kapitel
Ein Gespräch mit dem Kanzler.
Als er dann schließlich müde, erfüllt von Unlustgefühlen, nach dem Hotel zurückkehrte, wartete Sektionsrat Winder auf ihn, überbrachte die Grüße der Regierung, die sich glücklich schätze, einen so illustren Gast zu beherbergen, und versicherte, daß sich der oberste Beamte Österreichs, der Bundeskanzler, sicher freuen würde, Mister Ralph O’Flanagan kennen zu lernen.
Ralph war auf das peinlichste überrascht. Fremde Mächte griffen nach ihm, zerrten ihn, der in aller Stille sehen, prüfen und urteilen hatte wollen, ins grelle Tageslicht, verwickelten ihn in Affären, deren Tragweite er noch nicht kannte. Aber was tun? Wäre es nicht verletzende Mißachtung gewesen, wenn er der Einladung des Oberhauptes eines kleinen, unglücklichen, aber kulturell so hoch stehenden Landes nicht folgte? Würde sich nicht jeder Fremde in Amerika glücklich schätzen, wenn ihn Präsident Harding einladen wollte? Und vielleicht, wahrscheinlich sogar war der österreichische Bundeskanzler, dessen Namen Ralph vorläufig nicht einmal kannte, dem amerikanischen Präsidenten in mehr als einer Beziehung überlegen. Er selbst aber? Was war er denn? Nichts als ein durch den Zufall der Geburt enorm reicher Mann, der aber sonst noch nichts geleistet, keinerlei Beweise für Wert oder Unwert gegeben.
So zwang sich denn Ralph zur ausgesuchtesten Höflichkeit und erklärte, es würde ihm ein Vergnügen sein, beim Bundeskanzler vorzusprechen.
Der Präsidialist atmete auf.
„Doktor Seipel wird sich wirklich freuen. Wenn es Mister O’Flanagan vielleicht heute passen würde? Nachmittags um vier Uhr