Kampf um Wien. Hugo Bettauer
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„Ralpherl, weißt, ich hab’ ja schon so gut englisch sprechen können, aber später, wie ich mit O’Flanagan ein paar Wochen verheiratet war, hab’ ich alles wieder vergessen.“ Wobei zu bemerken ist, daß seine Mutter von ihrem Gatten nie anders als „der O’Flanagan“ sprach.
Mamas Geschichte hatte sich folgendermaßen abgespielt:
Der in Fachkreisen sehr bekannte Wiener Architekt Rudolf Holub hatte im Jahre 1889 von einer großen amerikanischen Gesellschaft den ehrenvollen Auftrag erhalten, herüber zu kommen, um sich am Bau einer mächtigen Brücke über den Delaware zu beteiligen. Und da Rudolf Holub ein armer Teufel trotz seines Ruhmes war und das amerikanische Angebot materiell sehr verlockend, so nahm er an und fuhr mit seiner Frau und dem kaum siebzehnjährigen Töchterchen Lola nach Amerika. Frau und Tochter blieben in New York in einer netten deutschen Pension, Architekt Holub aber fuhr mit den übrigen Architekten, Zeichnern und Ingenieuren dorthin, wo die Brücke gebaut wurde.
Einen einzigen Brief bekam seine Frau von ihm: In diesem Brief hieß es:
„Mir ist bange nach Euch, so bange, wie ich es gar nicht sagen kann. Alles erscheint mir hier wild, so roh und brutal. Der Wind wird zum Orkan, der Regen zum Wolkenbruch, Sonnenwärme zur Höllenqual. Es ist, als wollte sich die amerikanische Erde gegen den weißen Eindringling zur Wehr setzen. Mir ist gar nicht wohl zu Mute, dumme, haltlose Träume und Ahnungen bedrücken mich.“
An einem Montag hatte Frau Holub diesen Brief bekommen und am folgenden Dienstag erschien einer der Manager der Gesellschaft bei ihr und teilte ihr mit, daß ihr Gatte am Samstag von einem gestürzten Eisenpfeiler erschlagen worden sei. Er kondolierte herzlich und außerdem gab er der Witwe noch einen ganzen Wochengehalt, wobei er versicherte, daß Amerikaner nobel seien.
Und Frau Holub stand, der englischen Sprache nicht mächtig, mit ihrem zarten, bildschönen Töchterchen, das hübsch singen und etwas klavierspielen, aber sonst auch gar nichts konnte, mittellos im fremden Lande da.
Die kleine Lola entwickelte ungeahnte Energien. Nachdem sie sich ausgeweint hatte, begab sie sich eines Tages im Oktober nach der vierzehnten Straße, bog auf den Irving Place ein und blieb mit hochklopfendem Herzen vor einem recht schäbigen Theatergebäude stehen, dessen bunte Reklamezettel besagten, daß hier die Direktoren Gustav Amberg und Heinrich Conried Theater spielen. Lola hatte nämlich am Tag vorher in der Staatszeitung gelesen, daß das deutsche Theater durch die Erkrankung zweier weiblicher Mitglieder in arge Verlegenheit geraten sei und besonders das Operettenrepertoire sehr würde leiden müssen. Worauf Lola sich im Spiegel besah, feststellte, daß sie auch im schwarzen Fähnchen sehr reizvoll aussehe, sich im Parlor der Pension an das Klavier setzte, ein paar Töne anschlug und abermals befriedigt konstatierte, daß ihre Stimme gut und hell klinge.
Und nun stand Lola vor dem Theater, hatte Herzklopfen und traute sich nicht hinein. Bis ein freundlicher Mann mit mächtigem Schnurrbart vor ihr stand und nach ihrem Begehr fragte. Es war dies der sehr einflußreiche und wichtige Theaterdiener Herr Steinberg, ehemaliger k. k. Sicherheitswachmann in Wien! Da Steinberg das Mädchen nicht in der verhaßten englischen Sprache anredete, sondern „Freil’n“ sagte, wurde sie zutraulich und erklärte, ein Engagement zu suchen. Worauf Steinberg sie ohneweiters beim Arm packte und in die Direktionskanzlei führte, in der eben Herr Amberg und Herr Conried einander die furchtbarsten Grobheiten an den Kopf warfen.
Fünf Minuten später stand Lola auf der Bühne, um, von dem Wiener Kapellmeister Lehner begleitet, das Liedchen zu singen:
„Weißt du Mutterl, was mir träumt hat ...“
Abermals fünf Minuten später war Lola mit der schandbaren Gage von zwanzig Dollar wöchentlich als Soubrette an das Irving-Place-Theater engagiert.
Den Wert oder Unwert dieser Summe durchaus nicht erkennend, lief Lola beglückt nach Hause und fiel ihrer vergrämten und abgehärmten Mutter jubelnd um den Hals. Die Witwe lauschte der Botschaft, rote Flecken traten in ihre mageren Wangen, sie griff sich mit den wachsgelben Händen ans Herz und sagte: „Kind, du mußt aber brav bleiben, auch wenn ich nicht mehr bin.“
Einige Wochen später, zwei Tage nachdem Frau Holub einem Herzleiden erlegen war, stand Lola auf den Brettern, die ihr die Rettung bedeuteten, und sang in der Fledermaus den Prinzen Orlowsky. Davon, daß sie in den Pausen schluchzte und von den mitleidigen Kollegen mit Whisky gelabt werden mußte, hatte das Publikum, dem die kleine Soubrette sehr gut gefiel, keine Ahnung.
3. Kapitel
Der Mann aus dem Westen.
So vergingen zwei, drei Monate mit ewigen Geldnöten und harten Versuchungen, sich eines neuen Hutes halber zu verkaufen, bis eines Sonntags abends ein sonderbarer Zufall in Gestalt des wohlhabenden Sägemüllers John Patrick O’Flanagan dem Leben der kleinen Lola eine merkwürdige Wendung gab.
John Patrick O’Flanagan war ein Irländer, der als junger Bursch nach Amerika ausgewandert war, sich zuerst jahrelang als Holzfäller im Westen herumgetrieben hatte, bis er durch zähen Fleiß, Schlauheit und eine tüchtige Portion Skrupellosigkeit zu eigenen Waldungen, erheblichem Wohlstand und einem schönen Haus in St. Paul gekommen war. Er war unbeweibt geblieben, einerseits weil er keine Zeit gehabt hatte, sich um Frauen zu kümmern, anderseits aber weil er eine instinktive Furcht hatte, sich unter das Joch einer amerikanischen Frau zu begeben, die, wie er überzeugt war, der Teufel erfunden hatte, um die Männer zu kujonieren.
Und nun war John Patrick nach vielen Jahren zum erstenmal nach dem Osten gekommen, hatte in Philadelphia große Verträge abgeschlossen und war dann nach New York gefahren, um mit den Direktoren der Erie-Eisenbahn wegen Lieferung von Eisenbahnschwellen für zehntausend Kilometer Strecke abzuschließen.
Eines Sonntags unmittelbar nach dem Neujahrstag schlenderte der Mann aus Minnesota durch die Straßen und langweilte sich, wie sich ein Fremder nur im amerikanischen Osten langweilen kann. Die Kneipen geschlossen, die Theater und Varietes desgleichen, die Straßen wie ausgestorben, da der biedere New Yorker der Ansicht ist, ein anständiger Mensch habe am Sonntag zu Hause zu sitzen und zu beten.
Es war neun Uhr abends und John Patrick beschloß eben, innerlich einen derben irisch-wildwestlichen Fluch ausstoßend, das Hotel Netherland aufzusuchen, in dem er wohnte, als ihm an der Ecke der vierzehnten Straße und des Irving Place so etwas wie Musik in die Ohren tönte. Neugierig folgte er diesem Klang und kam so vor das deutsche Theater, vor dem Plakate in Englisch und Deutsch ankündigten, daß als „Sacred-Concert“ mit Gesangseinlagen der „Rabenvater“ gegeben werde. Es war damals nämlich ein Privilegium des deutschen Theaters, mit Rücksicht auf die Lebensgewohnheiten der Deutschen auch am Sonntag zu spielen, nur mußte ein frommes Mäntelchen umgenommen werden und jede Vorstellung den Charakter eines „Kirchenkonzertes“ haben. Das heißt, es durften keine Kostümstücke gegeben werden und zwischen den Akten wurden allerlei höchst unheilige Lieder und Couplets gesungen, so daß die Polizei, wenn sie die Augen zudrückte und die Hände dafür offen hielt, wirklich an ein Kirchenkonzert glauben konnte.
John Patrick O’Flanagan sprach zwar außer „Sauerkraut“ und „Frankfurter“ kein Wort deutsch, aber dachte, deutscher Gesang sei immerhin besser als keiner, ging zur Kassa und verlangte den besten Sitz, worauf der Kassier, ein ehemaliger österreichischer Generalstabsoffizier, ihm mit großer Ehrfurcht den Platz in der Orchesterloge, ganz dicht neben der Bühne, verkaufte.
Der erste Akt war eben zu Ende und ein Herr in einem schlechtsitzenden Frack sang mit schmalziger