Kampf um Wien. Hugo Bettauer

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Kampf um Wien - Hugo Bettauer

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Platz zu queren. Von links und rechts, von vorne und rückwärts kamen Straßenbahnwagen, Autos und Schwerfuhrwerke, und vergebens sah sich Ralph nach dem amerikanischen Policeman um, der drüben bei tausendfach dichtem Verkehr durch einen Wink mit der Hand Ordnung zu machen versteht.

      Immerhin, es scheint auch so zu gehen, dachte O’Flanagan, aber schon ging es nicht mehr. Zwischen zwei Straßenbahnzüge kam ein Pferdewagen, und die drei bildeten einen Knäuel, einen Wirrwarr, der von Tobsuchtsanfällen begleitet wurde, an denen sich vier Schaffner, zwei Motormänner, ein Kutscher und etwa dreißig Passagiere und Passanten beteiligten.

      Belustigt sah Ralph dem erheiternden Schauspiel zu. Plötzlich kreuzte sich sein Blick mit dem eines Mädchens, das in einem der Straßenbahnwagen saß. Ralph zuckte zusammen, fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen schoß. Lieblicheres hatte er noch nie gesehen. Ein schlankes Ding mit dunkelblonden Haaren, deren Fülle der kleine Lederhut kaum bergen konnte. Große, schiefergraue Augen, von fast schwarzen Wimpern umrandet, sahen ihn, der fasziniert hinstarrte, fragend an, wandten sich rauh wieder ab und ein rosiger Hauch überzog das ovale, feine Gesicht.

      In diesem Augenblick löste sich der Knäuel, der Kutscher hieb fluchend auf seine Pferde ein, die Motormänner kurbelten an und fuhren weiter.

      Ralph zögerte, kam zu spät zum Entschluß, den Wagen, in dem das Mädchen saß, zu besteigen. Schon hatte ein Postelektromobil ihm den Weg versperrt, und in voller Fahrt sauste die Elektrische die Währingerstraße entlang.

      Ralph war es aber, als würde durch die Scheiben hindurch ihn noch ein Blick aus den traumhaft schönen Augen treffen. Rasch wandte er sich an einen Schutzmann mit der Frage, wohin der eben entschwundene Wagen fahre. Und schrieb die Antwort „Nach Währing in die Kreuzgasse“ in sein Notizbuch.

      In der Zwischenzeit hatte man sich im Hotel Imperial mit der Person des neuangekommenen Amerikaners befaßt und es war ein seltsames Interview zustandegekommen.

      Der kleine Doktor Züngel, Spezialreferent der „Presse“ für englische und amerikanische Angelegenheiten, hatte wieder einmal seine Runde durch die Ringhotels gemacht, um nach interessanten Persönlichkeiten zu fahnden. Erst im Hotel Imperial kam Doktor Züngel auf seine Rechnung. „Ralph O’Flanagan, mit Diener“, das klang schon nach etwas. Nun ist der irische Name O’Flanagan drüben nicht selten und der Journalist ließ sich zur genaueren Information das Original des Meldescheines geben. Als er das Wort „Präsident der American Wood and Forest Trust Company“ las, blitzten seine Äuglein und eine graue Strähne hob sich vom sonst kahlen Schädel, ein Zeichen höchster Erregung. „Himmel!“ schrie er, „das ist ja der Millionär O’Flanagan, was sag ich, der Milliardär, der neueste Dollarkrösus!“ Und er erinnerte sich, vor Monaten, nachdem der alte O’Flanagan gestorben war, seitenlange Artikel mit Bildern in den amerikanischen Zeitungen gesehen zu haben, ja, er hatte aus ihnen sogar einen kleinen Artikel für die „Presse“ unter der Überschrift „Der reichste Mann der Welt“ exzerpiert, worauf neunhundert Wohlfahrtsaktionen und zehntausend private Schnorrer von der „Presse“ die genaue Adresse des Krösus verlangt hatten.

      „Wo ist er? Kann ich ihn sprechen?“ schrie Dr. Züngel dem Portier zu.

      „Ist weggegangen, aber da draußen steht sein Diener, vielleicht kann der Ihnen sagen, wann Mister O’Flanagan zurückkommt.“

      6. Kapitel

      Sam wird interviewt.

      Und nun entwickelte sich ein eigenartiger Dialog zwischen Sam und dem Wiener Journalisten. Dieser sprach englisch, Sam aber, stolz auf seine, wenn auch mangelhaften Kenntnisse der deutschen Sprache, erwiderte deutsch. Sam war auch durchaus bereit, Rede und Antwort zu stehen, erstens weil es ihm sein Herr nicht nachdrücklich untersagt hatte, anderseits, weil er auf seinen Herrn maßlos stolz war und sich nicht das Vergnügen versagen wollte, so viel Rühmliches als nur möglich über ihn zu erzählen. So erfuhr denn Doktor Züngel, daß dieser junge O’Flanagan eine Mutter gehabt hatte, die Wienerin war. (Ha! Welch Sensation!) Und daß sie mit dem Mädchennamen Holub geheißen und ihr Vater ein Brückenmacher gewesen, den ein böses Eisenstück totgeschlagen. Und er erfuhr, daß Mister Ralph ein guter Herr sei und sehr gescheit und ungeheuer viel Bücher gelesen habe, und bei jeder derartigen lobenden Erwähnung stupste der Neger den Journalisten und sagte grinsend:

      „Schreib genau auf, daß kein Dummheit in dein Paper erzählst.“

      Nun wollte aber Dr. Züngel noch etwas wissen, und zwar das Allerwichtigste. Zu welchem Zweck nämlich der reichste Mann der Welt nach Wien gekommen sei.

      Sam kratzte sich das wollige Haupt.

      „Well ich nicht wissen genau, aber meinen, weil Mutter hier geboren.“

      „Aha, er will sich Wien ansehen und dann wieder wegreisen?“

      „Nein, paß auf, daß kein Dummheit in dein Paper schreibst. Master will lange hier bleiben, sehr lange, Jahr vielleicht oder mehr. Paß auf, Mann von die Zeitung, ich gehört haben, wie Master auf Schiff, Dame, die ihn gefragt hat, sagte: Ich zusammengehören mit Wien und vielleicht versuchen, arme Stadt vor Niedergang zu retten. Well, paß auf, Master hat so viel Geld, daß er kann kaufen mit ein einziges Scheck ganze Stadt mit alle Häuser.“

      In diesem erhebenden Moment, da Dr. Züngel sich vornahm, kategorisch für seine Sensation die erste Seite der „Presse“ zu verlangen, erschien Ralph Q’Flanagan, sah den Mann mit Notizbuch und Bleifeder zu Sam fragend aufblicken, erfaßte sofort die Situation und bekam einen maßlosen Schrecken.

      „Sie wünschen, mein Herr?“ fragte er so schroff, daß Dr. Züngel noch kleiner wurde und sein grauer Haarsträhn eine Volte schlug.

      „Gestatte mich vorzustellen, Dr. Züngel von der „Presse“. Da Mister O’Flanagan nicht anwesend waren, habe ich mir gestattet, von Ihrem Diener einige Informationen –“

      „Herr“, unterbrach Ralph erbost, „ich bin durchaus keine interessante Persönlichkeit, über die es Informationen einzuholen gibt. Ich bin hier ein Privatmann, wie jeder andere, und möchte dringend bitten, sich um mich nicht zu kümmern.“

      Sprach’s, ging und machte Sam einen solchen Krach, daß dieser von nun an Zeitlungsleute ärger als die Pest scheute.

      Doktor Züngel aber kam noch gerade rechtzeitig zum Abendblatt ins Bureau und einige Stunden später wußte ganz Wien, daß der reichste Mann der Welt, Mister Patrick O’Flanagan, in Wien mit der ausgesprochenen Absicht weile, Österreich zu sanieren. Und daß dieser O’Flanagan hiezu eine Art moralische Verpflichtung fühle, da seine Mutter eine Wienerin, Tochter des Architekten Rudolf Holub, gewesen sei, und der Krösus zweifellos unverzüglich mit dem Bundeskanzler Dr. Seipel sowie dem Finanzminister Dr. Kienböck in Fühlung treten werde. Daran schloß sich ein Leitartikel, der genau dasselbe nochmals mit Leidenschaft sagte, und dann im Finanzteil eine längere Betrachtung von einem „hervorragenden Finanzmann“, der der Bevölkerung die erschütternde Mitteilung machte, daß ein Doller erheblich mehr sei als eine Krone, ja eine Million Dollar sogar mehr als siebzig Milliarden wären.

      Ralph O’Flanagan bekam einen Wutanfall, Sam eine, allerdings recht gelinde, Ohrfeige und der Hoteldirektor mußte zwei kräftige Hausdiener mit der Spezialaufgabe betrauen, alle lästigen Besucher hinauszukomplimentieren.

      7. Kapitel.

      Man interessiert sich für Ralph.

      Der Generaldirektor der „Bankgesellschaft“, Herr Klopfer-Hart, saß in seinem in gediegenster englischer Art ausgestatteten Bureau und dachte

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