Operation Führerhauptquartier. Will Berthold
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Das Geständnis, das Hitler haben will, um Major Stevens und Captain Best in einem Schauprozeß der deutschen Öffentlichkeit vorzuführen, ist nicht zu beschaffen, weil es keinen Zusammenhang zwischen Elser und den SIS-Offizieren gibt. Das ist für die Engländer kaum ein Lichtblick. Die Katastrophe, die ihnen widerfuhr, könnte nicht schlimmer sein. Zwar ist an Härte, Loyalität und Patriotismus der Entführten nicht zu zweifeln, aber London muß damit rechnen, daß die Gestapo nach und nach alle Informationen über das britische Agentennetz in Deutschland aus ihnen herauspressen wird.
Hitler läßt sich täglich über den Gang der Vernehmungen berichten. Er will Resultate sehen, deshalb werden die Methoden so verschärft, daß Major Stevens versucht, sich das Leben zu nehmen, vergeblich. Von nun an wird er, ebenso wie Best, im KZ Sachsenhausen mit Ketten an Eisenringe geschmiedet.
Keine Frage: Zu diesem Zeitpunkt, da England dringend Nachrichten aus Hitler-Deutschland benötigt, ist das Netz aufgeflogen. Soweit sich die englischen Agenten nicht von sich aus absetzen, müssen sie zurückgerufen werden.
Der Chef des holländischen Geheimdienstes wird in die Wüste geschickt. Auch in London kommt es zu Umbesetzungen. M.I.-6 setzt Captain Howard Preston, einen der fähigsten Untergrundoffiziere, als Konkursverwalter in Deutschland ein; er soll vor Ort feststellen, ob einzelne Zellen noch zu retten sind.
Der Experte muß gleich einem Krebschirurgen »weit im Gesunden« schneiden, ohne Gewähr, daß die amputierten Glieder jemals wieder zu ersetzen sein werden.
Hinter verschlossenen Türen spricht man in London von nun an von einem Venlo-Komplex. Tatsächlich handelt es sich bereits um ein Venlo-Syndrom, damit ist gemeint, daß sich Fachleute von Außenseitern hereinlegen lassen, daß sie echten Oppositionellen mißtrauen und auf SS-Agenten hereinfallen, und das Schlimmste von allem, daß die Arbeit an der unsichtbaren Front grellem Tageslicht ausgesetzt wird.
Alle Aktivitäten des weitverzweigten englischen Geheimdienstes münden in die Anstrengung, die blamable Scharte wieder auszuwetzen und dem Reichssicherheitshauptamt die größte Niederlage, die der Secret-Intelligence-Service jemals während des Zweiten Weltkriegs hinnehmen mußte, heimzuzahlen. Zunächst freilich müssen die SIS-Offiziere ihre Revanche auf die lange Bank schieben und ums schiere Überleben kämpfen.
Das Jahr 1940 bringt den verschobenen Blitzkrieg im Westen. Zuerst das Fiasko in Dänemark und Norwegen; dann die Überrumpelung Hollands, Luxemburgs und Belgiens. Dünkirchen. Den Fall von Paris. Die Kapitulation Frankreichs. England steht allein und muß mit einer deutschen Invasion rechnen.
Streng geheim untersucht man bereits, ob und wie der Krieg nach dem Fall der Insel von Kanada und den Kolonien fortgesetzt werden könnte. Joseph Kennedy, der Botschafter des US-Präsidenten Roosevelt in London, warnt Washington vor der Unterstützung der britischen Vettern, da er es für zweckdienlicher hielte, den Deutschen die Waffen gleich direkt zu liefern, da sie ihnen in England ohnedies in die Hände fallen würden.
Am 15. August beginnt die Luftschlacht um England; sie wird entscheiden, ob die Verteidigungskraft der Engländer größer ist als der Defätismus des amerikanischen Botschafters.
Von allen Abteilungen des britischen Geheimdienstes ist nunmehr der Intelligence Service der Royal Air Force in Cock-fosters, Trent Park, der wichtigste. Er befaßt sich mit Stärke und Kampfmoral der deutschen Fliegersoldaten, die beinahe täglich die Insel mit dem Luftkrieg überziehen. Die Vernehmung und elektronische Ausforschung der abgeschossenen Flugzeugbesatzungen ist konsequent, fast perfekt. Dabei geht es den Offizieren von Cockfosters nicht nur um militärische, sondern auch um persönliche Dinge. So kann es passieren, daß ein abgeschossener deutscher Jagdflieger in Trent Park mit den zutreffenden Worten begrüßt wird: »Wie können Sie sich ausgerechnet am Geburtstag Ihrer Mutter herunterholen lassen?«
Im Juli stößt die R.A.F.-Perspektiv-Forschung erstmals auf einen Hinweis, daß zwischen zwei berühmten Jagdfliegern, dem deutschen Hauptmann Fabian und dem britischen Captain Dunhill, eine frappante Ähnlichkeit besteht. Eine Notiz unter vielen, wie sie sich in den Akten häufen, um dann langsam zu vergilben. Noch weiß Cockfosters nicht, daß ein glücklicher Zufall die Chance bieten wird, den Venlo-Komplex ein für allemal loszuwerden und die ›Operation Doomsday‹ (›Jüngster Tag‹) einzuleiten, das geheimste und verwegenste Kommandounternehmen des Zweiten Weltkriegs.
Am 4. September zeichnen sich erste Konturen ab: Eine Granate der Anti-Airkraft, der britischen Bodenabwehr, erfaßt in der Grafschaft Kent eine Me 109, und eine halbe Stunde später, nach der Festnahme ihres Piloten, wird sich der Abschuß als ein ausgesprochener Glückstreffer herausstellen.
»Alsdann vorwärts im Namen des Unsinns«, schließt der neuernannte Gruppenkommandeur die Einsatzbesprechung. Hauptmann Fabian gibt sich keine Mühe, die Verbitterung vor seinen Männern zu verbergen. Der dramatische Abschluß des Zusammenpralls mit seinem Kommodore hat ihn in einen Zustand versetzt, für den er sonst bei seinen Flugzeugführern Startverbot ausspricht – aber wegen eines psychischen Tiefs, das sicher bald vorüber sein wird, bleibt der beste Pilot und sicherste Schütze des ›Puma‹-Jagdgeschwaders nicht zu Hause.
Seit Hauptmann Fabian Abschuß auf Abschuß erzielt, in den Wolken wie in den Kissen, hat er einen Ruf wie Donnerhall. Schon optisch ist er ein Mann mit Mumm: 180 cm groß, mehr hager als schlank, drahtig und doch intelligent, einer, bei dem man bereits auf den ersten Blick vermutet, daß er mehr kann als töten oder sterben. Selbst in der Fliegerkombination wirkt der 28jährige nicht uniform, schon weil er statt der vorgeschriebenen Bordstiefel vormals weiße Tennisschuhe trägt, ein befehlswidriges Privileg, das er sich nach 19 Luftsiegen herausnimmt.
Der junge Offizier verfolgt, wie seine Männer in die Mühlen klettern. Der bullige Feldwebel Frommleben, der nie den Mund halten kann, quittiert die Sitzbereitschaft mit den Worten: »Besser ein wunder Hintern als ein kalter Arsch.«
Fabian steigt als letzter ins Cockpit, wartet, bis der zu schützende He 111-Verband den kleinen Einsatzhafen überflogen hat. Er nickt seinen Bordwarten zu, die Kuttenzwerge reißen die Bremsklötze von den Rädern, lösen das Kabel, das die 109 wie eine Nabelschnur mit dem Anlasserwagen verbindet. Der Propeller dreht sich, wirbelt Staub auf. Fabian jagt seine Maschine über die Graspiste, wird schneller und schneller, nimmt den Knüppel an den Bauch, zieht die Me hoch, startet zu seinem 167. Feindflug, dem dritten des Tages und dem letzten seines Lebens.
Die Gruppe – auf neun abgekämpfte Piloten und neun verschlissene Jagdeinsitzer reduziert – holt den Kampfverband ein, um von nun an nach der glorreichen Vorstellung ihres frontfernen Oberbefehlshabers »angelegt« Begleitschutz zu fliegen. Die Schnellsten an der Seite der Langsamsten – dafür ist die 109 nicht geschaffen, und die Männer, die sie fliegen, wissen bereits vor dem Start, daß sie sich nur blutige Köpfe oder ungerechte Vorwürfe holen können. Fabian wurde zum Sprecher und Heros der deutschen Jagdflieger, als er im Kasino dem Kommandierenden vor seinem versammelten Stab in das Gesicht sagte, die neue Taktik sei so »umständlich und zwecklos wie ein Eunuchen-Fick«.
Bei wolkenlosem Himmel überfliegt die Kampfgruppe den Kanal ohne Feindberührung, aber kurz vor der Küste wird die Formation von ›Spitfires‹ und ›Hurricanes‹ abgefangen und gesprengt. Da sich die Piloten des Fighter-Command nicht an die Befehle des deutschen Reichsmarschalls halten, kommt die Gruppe, in wilde Luftkämpfe verwickelt, doch noch zu ihrer eigentlichen Bestimmung. Bei der wilden Kurbelei gelingt Fabian ein letztes Mal der Trick, den ihm keiner nachmacht: er fährt die Landeklappen aus, drosselt den Motor bis zum Äußersten, reißt die 109 in die denkbar engste Schleife und kommt von unten, statt aus der Überhöhung anzugreifen. Er überrumpelt den R.A.F.-Piloten, dem man auf der Jagdschule eingetrichtert hat: »Denk an den Hunnen in der Sonne.«