Seemanns-Legende und andere Erzählungen. Henryk Sienkiewicz

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Seemanns-Legende und andere Erzählungen - Henryk Sienkiewicz

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vergaß jeder sein Versprechen, griff nach der Büchse – und die Schießerei ging von neuem los.

      Herr Devis konnte zwar jeden Schurken beim Richter anzeigen, und der Richter konnte ihn mit einer Geldbuße bestrafen, man durfte aber nicht vergessen, daß die Schuldigen im Falle einer Krankheit gleichzeitig die Patienten des Doktors, und wenn ihre Schuhe rissen, die Gäste des Sheriffs waren, und da eine Hand die andere wäscht, tat auch eine Hand der anderen kein Unrecht.

      Und so war es in Struck Oil City so friedlich wie im Himmel; aber diese schönen Tage nahmen jäh ein Ende. Der Besitzer des einen Warenhauses entbrannte im tödlichen Hasse zur Inhaberin des anderen, und sie zu ihm. In ihrem Laden kann man alles haben: Mehl, Hüte, Zigarren; Besen, Knöpfe, Reis, Sardinen, Hemden, Speck; Sämereien, Blusen, Hosen, Lampengläser, Beile, Zwieback, Teller, Papierkragen, gedörrte Fische – mit einem Worte alles, was der Mensch gebrauchen kann.

      Zu Anfang gab es in Struck Oil City nur ein solches Warenhaus. Der Eigentümer, ein Deutscher, Hans Kasche mit Namen, war ein phlegmatischer Mensch; er stammte aus Preußen, war fünfunddreißig Jahre alt, hatte Glotzaugen, sah ziemlich fesch aus und ging immer ohne Rock einher, die Pfeife kam nie aus seinem Munde. Englisch konnte er soviel, wie unumgänglich notwendig war, aber kein Wort mehr. Das Geschäft führte er gut, so daß man schon nach einem Jahre in Struck Oil City sagte, es sei einige tausend Dollar wert.

      Aber plötzlich tauchte ein zweites Geschäft auf. Und sonderbar, das erste hielt ein Deutscher und das zweite machte eine Deutsche auf. Zwischen beiden Parteien entbrannte sofort ein Krieg, der damit seinen Anfang nahm, daß Fräulein Naumann zum Begrüßungslunch Plätzchen aus Mehl herstellen ließ, das mit Soda und Alaun vermischt war. Damit hätte sie sich in der öffentlichen Meinung geschadet, wenn sie nicht dabei betont hätte und auch Zeugen stellte, daß sie ihr Mehl noch nicht ausgepackt habe und dieses inzwischen bei Hans Kasche gekauft hätte. Es stellte sich also heraus, daß Hans Kasche ein Neidhammel und niederträchtiger Mensch sei, der gleich zu Beginn seine Konkurrentin in der öffentlichen Meinung zugrunde richten wollte.

      Es war übrigens vorauszusehen, daß zwei gleiche Handlungen miteinander rivalisieren würden, aber niemand sah voraus, daß die Konkurrenz in einen furchtbaren persönlichen Haß übergehen würde. Dieser Haß erreichte bald einen solchen Grad, daß Hans nur dann den Kehricht verbrannte, wenn der Wind den Rauch davon nach dem Laden seiner Gegnerin wehte und sie nannte Hans nicht anders als »Deutscher«, was er als Beschimpfung auffaßte.

      Anfänglich lachten die Einwohner über beide um so mehr, als sie nicht Englisch konnten. Allmählich aber bildeten sich zwei Parteien, die sich mit scheelen Augen anzusehen begannen, was der Wohlfahrt und dem Frieden des Gemeinwohles schadete und für die Zukunft unheilvolle Verwickelung heraufbeschwören konnte. Devis wollte das Übel gleich an der Quelle heilen und so bemühte er sich, den Deutschen mit der Deutschen zu versöhnen. Manchmal pflegte er inmitten der Straße Posto zu fassen und zu ihnen in ihrer Muttersprache zu sprechen: »Nun, warum wollt Ihr Euch zanken. Kauft Ihr denn nicht bei einem Schuster Schuhe? Ich habe solche, die selbst in San Francisco nicht besser zu haben sind.«

      »Es ist vergebens, dem, der bald ohne Stiefel gehen wird, Schuhe anzupreisen,« unterbrach Fräulein Naumann ihn mürrisch.

      »Ich verschaffe mir mit den Füßen keinen Kredit.« antwortete Hans phlegmatisch.

      Nun mußte man wissen, daß Fräulein Naumann tatsächlich schöne Füße hatte, und so erfüllten solche Sticheleien ihr Herz mit einem tödlichen Zorn.

      In der Stadt begannen schon die beiden Parteien auch auf den Meetings die Angelegenheit zwischen Hans Kasche und Fräulein Naumann zu berühren. Da in Amerika aber in einer Angelegenheit mit einer Frau niemand Gerechtigkeit findet, so war die Majorität auf Fräulein Naumanns Seite.

      Hans machte bald die Wahrnehmung, daß sein Geschäft sich kaum noch rentiere. Aber auch Fräulein Naumann machte nicht allzu glänzende Geschäfte, denn alle Frauen der Stadt ergriffen Hans’ Partei. Sie bemerkten nämlich, daß ihre Männer allzu häufig bei der schönen Deutschen Lieferungen hatten und bei jedem Einkauf allzu lange sitzen blieben.

      Wenn beide Geschäfte ganz ohne Kunden waren, standen Hans Kasche und Fräulein Naumann in der Tür, einer dem anderen giftige Blicke zuschleudernd, und Fräulein Naumann sang nach der Melodie »Ach, du lieber Augustin«: »Deutscher, Deutscher, Deutscher!« Herr Hans betrachtete dann sein Gegenüber mit einem Ausdruck, wie er wohl ein erlegtes Wild betrachtet hätte, und brach in ein höllisches Lachen aus.

      Der Haß in diesem sonst so phlegmatischen Menschen wurde immer größer, so daß er, wenn er des Morgens Fräulein Naumann sah, schon in Wut geriet. Es wäre schon lange zwischen ihnen zu Handgreiflichkeiten gekommen, wenn er nicht gewußt hätte, daß er in jedem Prozeßfalle den kürzeren ziehen würde, um so mehr, als Fräulein Naumann den Redakteur der Samstag-Wochen-Rundschau auf ihrer Seite hatte. Hans überzeugte sich davon, als er das Gerücht aussprengte, Fräulein Naumann trage eine künstliche Büste. Es war sehr wahrscheinlich, denn in Amerika ist dies ein allgemeiner Brauch.

      In der folgenden Woche erschien in der Samstag-Wochen-Rundschau ein niederschmetternder Artikel, in welchem der Redakteur, von den Verleumdungen im allgemeinen sprechend, mit der feierlichen Versicherung eines gut Informierten schloß, daß die Büste einer gewissen verleumdeten Lady echt sei. Von da an trank Herr Hans jeden Morgen statt weißen, nur schwarzen Kaffee, denn er wollte von diesem Redakteur keine Milch mehr beziehen, dafür aber nahm Fräulein Naumann beständig zwei Portionen. Außerdem ließ sie sich vom Schneider ein Kleid anfertigen, dessen Taillenform alle endgültig überzeugen mußte, daß Hans ein Verleumder sei.

      Der weiblichen Schlauheit gegenüber fühlte Hans sich wehrlos.

      Unterdessen aber sang sie jeden Morgen, sich vor den Laden stellend, immer lauter: »Deutscher, Deutscher, Deutscher!«

      »Was könnte ich ihr antun?« dachte Hans. »Ich habe Rattengift, soll ich ihre Hühner vergiften? Nein, ich würde sie ersetzen müssen. Ich weiß aber, was ich tun werde.«

      Und abends bemerkte Fräulein Naumann zu ihrer großen Verwunderung, wie Herr Hans Bündel wilder Sonnenblumen herbeitrug und sie vor dem vergitterten Kellerfensterchen wie einen Steg aufschüttete.

      »Ich bin neugierig, was das werden wird,« dachte sie bei sich, »wahrscheinlich etwas gegen mich.«

      Unterdessen brach die Nacht herein. Herr Hans ordnete die Sonnenblumen in zwei Linien, so daß nur in der Mitte ein Durchgang zum Kellerfensterchen frei blieb, dann brachte er einen mit einer Leinwand bedeckten Gegenstand, wendete sich mit dem Rücken gegen Fräulein Naumann, entfernte die Leinwand von dem geheimnisvollen Gegenstand und bedeckte ihn mit Sonnenblumenblättern. Dann näherte er sich der Mauer und begann darauf Buchstaben zu zeichnen.

      Fräulein Naumann kam vor Neugierde schier um. »Er schreibt wahrscheinlich etwas gegen mich an,« dachte sie, »aber wenn alle schlafen gegangen sind, werde ich hingehen, um nachzuschauen, selbst wenn ich es mit dem Leben büßen sollte.«

      Nachdem Hans mit seiner Arbeit fertig war. ging er hinauf in seine Wohnung, und bald darauf löschte er das Licht aus.

      Da hüllte sich Fräulein Naumann hastig in einen Schlafrock, zog auf die nackten Füße Pantoffel und ging hinaus über die Gasse. Sie erreichte die Sonnenblumen und ging auf den Steg zum Fensterchen, um die Aufschrift an der Wand zu lesen. Plötzlich quollen ihre Augen hervor, sie warf ihren Oberkörper zurück und ihren Lippen entrang sich ein schmerzliches »ach, ach!« dann ein verzweifelter Aufschrei: »Zu Hilfe, zu Hilfe!«

      Oben wurde ein Fenster aufgemacht. »Was ist das?« erscholl ruhig Hans’ Stimme. »Was ist das?«

      »Verfluchter

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