Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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hatte ein Schlitten gehalten. Ein Herr stieg aus und trat ein. Er hatte etwas so Hochvornehmes an sich, daß sich aller Augen auf ihn richteten, selbst der Chef eilte herbei, um nach seinen Wünschen zu fragen. Dabei fiel sein Blick auf Robert, welcher noch immer dastand und mit sich zu Rathe ging, ob er nicht vielleicht einen letzten Angriff versuchen solle. Dem Chef war die Anwesenheit des so ärmlich Gekleideten unangenehm.

      »Wollen Sie sonst noch etwas?« rief er ihm mit scharfer, ärgerlicher Stimme zu.

      »Etwas Anderes nicht,« antwortete Robert stockend, indem er einige Schritte näher trat. »Aber dennoch möchte ich mir die ganz gehorsamste Bitte um –«

      »Schon gut, schon gut!« wurde er unterbrochen. »Ich habe Ihnen bereits angedeutet, daß ich für Sie kein Geld habe. Entfernen Sie sich gefälligst.«

      Das war stark; das war mehr als stark; das war sogar niederträchtig. Aller Augen richteten sich auf Robert. Diesem war es, als müsse er vor Scham in die Erde sinken. Er griff unwillkürlich mit den Händen um sich, als wolle er nach einer Stütze suchen. Er wankte. Da trat der fremde Herr herbei, welcher zuletzt hereingekommen war, legte den Arm um seine Schulter und sagte:

      »Sie fallen ja um, junger Mann! Was haben Sie?«

      »Hunger!« antwortete Robert mit leiser Stimme und mehr instinctiv als mit Ueberlegung.

      »Hunger? Mein Gott! Kommen Sie heraus!«

      Er geleitete ihn bis vor die Thüre, wo er mit ihm stehen blieb.

      »Ist es wahr, daß Sie hungern?«

      »O sehr!«

      »Hält man das für möglich! Was sind Sie?«

      »Schriftsteller.«

      »Was wollen Sie hier im Laden?«

      »Einen kleinen Vorschuß, ich soll den zweiten Band schreiben.«

      »Sie haben schon einen ersten Band geschrieben?«

      »Ja.«

      »Was?«

      »Gedichte.«

      »Ah, das ist allerdings nicht einträglich. Wollen Sie mir Ihren Namen und ihre Wohnung mittheilen?«

      »Robert Bertram, Wasserstraße elf, drei Treppen.«

      »Drei? Ja, Dichter pflegen hoch zu wohnen, zumal wenn sie noch so jung sind wie Sie. Bitte, nehmen Sie.«

      Er drückte dem jungen Manne aus seiner Börse etwas in die Hand und trat dann in den Laden zurück, so daß Robert gar keine Zeit zum Danke fand. Er warf einen Blick auf das Empfangene. Es waren zwei Louisd'or.

      Da war mit einem Schlage alle Schwachheit verschwunden. Er fühlte sich so wohl und kräftig, daß er es mit einem Riesen hätte aufnehmen mögen. Er dachte gar nicht daran, die Rückkehr des edlen Gebers abzuwarten, sondern er eilte, sofort die Einkäufe zu machen, welche nöthig waren, um zunächst die dringendsten Bedürfnisse der Seinigen zu befriedigen.

      Als er nach Hause kam, fielen die Kleinen über ihn her, der Vater und Marie weinten vor Freude. Als der Hunger gestillt war, mußte er erzählen. Dann fragte Marie:

      »Also die Kette ist gerettet?«

      »Ja, Gott sei Dank!«

      »Und wer war der fremde Herr?«

      »Es war – – ah, das weiß ich nicht! Ich habe ihn nicht gefragt, ja ich glaube, daß ich mich sogar nicht einmal bei ihm bedankt habe. Ich war ganz von Sinnen vor Hunger und Beschämung.« – –

      Jener Herr ließ die Bücher, welche er eingekauft hatte, in seinen Schlitten legen und stieg selbst auch ein.

      »Oberst von Hellenbach,« befahl er dann.

      Der Schlitten sauste davon und hielt vor einem Hause, dessen erste Etage festlich erleuchtet war. Die Straße, zu welcher es gehörte, lag vor der Wasserstraße, mit welcher sie parallel ging, so daß die Gärten Beider an einander stießen.

      »Mich nicht abholen!«

      Mit diesem Befehle stieg der Fremde aus und trat ein. Droben kamen ihm mehrere Diener entgegen, welche ihm Hut und Pelz abnahmen. Als sie den Pelz erblickten, machten sie Gesichter, in denen sich das Erstaunen mit der tiefsten Ehrerbietung paarte. Es war ein Zobelpelz, wie ihn kaum der russische Czar kostbarer tragen kann.

      »Wen befehlen der Herr, zu melden?« fragte der eine der Domestiken.

      »Fürst von Befour.«

      Im nächsten Augenblick erschallte der Name in den Saal, und die Augen aller dort Anwesenden flogen nach der Thür.

      Also, er kam doch, der räthselhafte Mann! Da brauchte man nicht bang zu sein, daß das Räthsel gelöst sein werde.

      Der Herr des Hauses eilte ihm entgegen, um ihn zu seiner Dame zu bringen. Natürlich fand sich auch sofort die Tochter der Beiden ein. Es war das Diejenige, von welcher Helfenstein mit seiner Frau gesprochen hatte.

      Fanny von Hellenbach zählte achtzehn Jahre und war eine hohe, königliche Erscheinung. Sie trug ein weißseidenes Gesellschaftskleid mit langer, schwerer Schleppe. Als sie daherkam und sich vor dem Fürsten verneigte, war es, als ob sie es sei, die ihm eine Ehre erweise. Trotzdem sie nichts weniger als hager gebaut war, umfloß sie eine Eleganz, eine Zierlichkeit, wie man sie nur bei wirklich vornehmen Damen findet.

      Ihr dunkles Haar war nicht sehr lang, aber um so voller, ihre Stirn vielleicht etwas zu hoch und zu breit, aber desto gedankenreicher. Sie war mehr als brünett, und so stachen zwei große hellgraue, wunderbar verständige Augen umsomehr von dem Anderen ab.

      Nachdem nun der Fürst die Glieder der Familie kannte, verbat er sich jede weitere Vorstellung. Man mußte ihm willfahren, obgleich Alle vor Begierde brannten, ein Wort aus seinem Munde zu hören. Er aber zog sich in die Nische eines Fensters zurück und schien dort tief in Gedanken versunken zu sein, während er doch Alles scharf und genau beobachtete. Er sah, wie gefeiert die Tochter des Hauses war; er bemerkte, daß man sie nach dem Instrumente nöthigte; sie sträubte sich und mußte endlich nachgeben. Nach einem kurzen Präludium ertönte aus ihrem schönen Munde folgendes Lied:

      »Es glänzt der helle Thränenthau

      In Deinem Aug', dem todesmatten;

      Du sehnst Dich nach des Himmels Blau

      Hinaus aus düstrem Waldesschatten.

      Es rauscht der Bach am Felsenspalt

      Sein melancholisch Lied:

      Hier ist's so eng, hier ist's so kalt,

      Wo nie der Nebel flieht!

      Du meine süße Himmelslust

      O traure nicht, und laß das Weinen!

      Dir soll ja stets an treuer Brust

      Die Sonne meiner Liebe scheinen.

      Drum schließe

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