Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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die Stube verlassen hatte, der Jude:

      »Ich bitte, einzutreten, mein Herr! Ich stehe gern zur Verfügung, wenn man kommt, bei mir zu kaufen für baare Zahlung, aber nicht auf Credit, welcher ist schädlich für den Handel und Wandel der Leute von Geschäft.«

      Er machte eine Bewegung mit der Hand, welche den Baron einlud, in das Nebenzimmer zu treten. Dieser jedoch blieb sitzen, weil da drin ein viel helleres Licht brannte.

      »Schon gut,« antwortete er. »Was wir zu besprechen haben, können wir auch hier miteinander reden. Machen Sie die Thüre zu, Herr Levi!«

      Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, gegen welche der Jude keine Widerrede fand. Er warf die Thüre zu, setzte sich auf einen alten Kasten und fragte:

      »Welches ist das gute Geschäft, das der Herr will machen mit mir?«

      »Ich habe zu Ihrer Frau gesagt, daß ich Kupfer, Silber und Gold kaufen will; aber Ihnen will ich gestehen, daß ich in einer ganz anderen Absicht komme. Ich habe eine Erkundigung einzuziehen, und ich hoffe, daß Sie mir eine wahrheitsgetreue Auskunft ertheilen.«

      Der Jude machte eine unruhige Bewegung und fragte:

      »Ist es eine private Erkundigung?«

      »Nein.«

      »Gott Abrahams! So ist der Herr wohl gar ein heimlicher Polizist, welcher genannt wird Detective vom geheimen Corps?«

      »Vielleicht haben Sie mit Ihrer Vermuthung Recht, vielleicht auch nicht. Sie werden allerdings erfahren, wer ich bin, aber erst nachdem Sie mir auf meine Fragen geantwortet haben.«

      »Wie soll ich das können! Wie soll ich beantworten die Fragen eines Herrn, den ich nicht kenne!«

      »Sie werden antworten, denn ich sage Ihnen, daß von Ihrem jetzigen Verhalten Ihr Wohl, Ihr Glück, ja vielleicht sogar Ihr Leben abhängig ist.«

      Da fuhr der Alte von seiner Kiste in die Hohe. Die Hände zusammenschlagend, rief er:

      »Herr Zebaoth! Mein Wohl, mein Glück, mein Leben! Ist es doch grad, als ob Sie wären der geheimnißvolle Hauptmann, welcher allerdings den Tod gibt Denen, von denen er haben will, daß sie sterben!«

      »Der geheimnißvolle Hauptmann? Wer ist das?«

      Der Jude warf ihm einen mißtrauisch forschenden Blick zu und sagte dann mit gedämpfter Stimme.

      »Wenn Sie sind ein Mann von der Polizei, werden Sie doch viel besser wissen als ich, wen ich meine!«

      »Ich sage Ihnen, daß es sich nicht darum handelt, wer ich bin, sondern darum, was Sie von dem Hauptmanne wissen!«

      »Was ich von ihm weiß? Nichts, gar nichts weiß ich, lieber Herr!«

      Man hörte es dem Tone seiner Stimme an, daß er sich einer Besorgniß vor dem Unbekannten nicht erwehren könne. Dieser aber meinte in fast drohendem Tone:

      »Salomon Levi, ich befehle Ihnen, mir zu sagen, was Sie von dem Hauptmanne wissen! Sprechen Sie grad so, als ob sie einen Fremden vor sich hätten, der von ihm noch gar nichts gehört hat.«

      Dieser Ton machte Eindruck. Der Jude antwortete, indem er die möglichst vorsichtigen Ausdrückte wählte:

      »Nun, der Herr wissen wohl, daß jetzt hier zu Lande alle Arten von Verbrechen in dreifacher Anzahl vorkommen als vorher.«

      »Nichts weiß ich, gar nichts.«

      »Auch nicht, daß es Banden gibt, oder vielmehr eine einzige große Bande, welche über alle Provinzen verbreitet ist?«

      »Auch das weiß ich nicht.«

      »Und doch wissen es alle Kinder.«

      »Ich bin kein Kind! Sprechen Sie weiter!«

      »Die Mitglieder dieser Bande scheinen allwissend zu sein. Wo eine Summe liegt, das erfahren sie. Mit welchem Postzuge Geld fortgeht, das wissen sie. Wenn Jemand ein Erbe ausgezahlt erhält, sie holen es. Man sagt, daß sie geradezu streng militärisch organisirt und disciplinirt seien.«

      »Von wem?«

      »Nun eben von dem Hauptmanne!«

      »Wer ist das?«

      »Weiß ich es! Weiß es ein Anderer? Weiß es die Polizei? Niemand weiß es und Niemand kann es erfahren. Er ist überall, und er ist nirgends. Sucht man ihn hier, so ist er dort, und sucht man ihn dort, so tritt er hier auf. Bald ist er ein Bettler, dann wieder ein Fürst; er läßt sich sehen als Offizier, als Schuster, als Kaufmann und Metzger. Er tritt auf als Christ und als Jude. Er hat hundert Gesichter und tausend Gestalten. Man hat einen Preis auf ihn gesetzt, aber man kann ihn nicht fangen.«

      »Fängt man auch Niemand von seiner Bande?«

      »Man fängt welche, man denkt wenigstens, daß sie zu dieser Bande gehören; aber er weiß es stets so einzurichten, daß sie entweder fliehen können oder für unschuldig befunden werden.«

      »Ein Beispiel davon möchte ich wissen.«

      »Es gibt ihrer viele. Haben Sie nichts gehört von dem Riesen Bormann?«

      »Den Namen habe ich gehört. Was ist's mit ihm?«

      »Er war Mitglied bei einem Circus von der Kunstreiterei. Er mußte wegen Körperverletzung abgehen und wurde eingesteckt. Seit jener Zeit ist er der berühmteste Einbrecher.«

      »So mag man ihn doch wieder einstecken.«

      »Das hat man auch gethan, aber man mußte ihn stets wieder frei lassen. Es fanden sich Zeugen, welche seine Unschuld bewiesen.«

      »Nun, so ist er eben kein Einbrecher gewesen!«

      »O doch! Man weiß es ganz genau. Der Hauptmann hat ihm allemal durchgeholfen. Man weiß, daß er ein Mitglied der Bande ist.«

      »So hole der Teufel Eure Polizei und Eure Gerichte!«

      »Was können die dafür? Sie haben unter sich selbst Mitglieder der Bande. Aber jetzt endlich haben sie ihn doch fest, so daß er nicht entkommen kann.«

      »Den Riesen Bormann?«

      »Ja.«

      »Was hat er gethan?«

      »Er ist bei einem Uhrmacher eingebrochen und hat dann den Raub verkaufen wollen. Der Händler aber, zu dem er gegangen ist, der hat ihn angezeigt. Nun kann er nicht entkommen. Er wird die Frohnveste nur verlassen, um in das Zuchthaus zu gehen.«

      »Wer war dieser Händler?«

      Der Jude zögerte mit der Antwort. Der Baron wiederholte seine Frage in einem Tone, welcher einen ganz eigenthümlichen Nachdruck besaß:

      »Nun, wer war dieser ehrliche Handelsmann7«

      »Ich,« antwortete Salomon Levi, beinahe verlegen.

      Der Baron strich sich mit der Rechten nachdenklich den Bart und fragte

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