Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
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Читать онлайн книгу Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May страница 56
»Gott der Erzväter! Warum soll ich sein nur einen einzigen Augenblick meines Lebens unehrlich? Jehova ist mein Zeuge, daß es gibt keinen Flecken oder Makel auf dem Namen Salomon Levi.«
»Ist Bormann kein Fleck?«
Bei der Nennung dieses Namens fuhr der Jude zurück. Auf seinem Gesichte machte sich der Ausdruck der höchsten Bestürzung geltend. Der Baron fuhr in scheinbar gleichgiltigem Tone fort:
»Soll ich noch hundert andere Namen nennen? Soll ich hinaufgehen in Ihre hintere Stube und die Wanduhr wegnehmen? Dort liegt Alles, was nothwendig ist zur Anfertigung falscher Pässe und anderer Legitimationen, welche Sie an Personen verkaufen, welche Grund haben, heimlich ihr Vaterland zu verlassen?«
Der Eindruck dieser Worte auf Levi war unbeschreiblich. Er wurde bleich wie eine Leiche, sank vor Angst in die Kniee, streckte die Hände bittend vor und sagte:
»O mein lieber, hochverehrtester Herr von der geheimen Polizei, Sie befinden sich in einem Irrthum, welcher ist ebenso schauderhaft wie gefährlich für mich. Ich schwöre bei – –«
»Schweig!« donnerte ihn der Baron an. »Willst Du leugnen, daß Du bereits längst den Hehler gemacht hast für viele Mitglieder der Bande des geheimnißvollen Hauptmannes?«
»Ja, ich leugne, ich leugne, ich muß leugnen, denn es ist nicht wahr,« rief der Jude in allerhöchster Angst.
»Feigling! Dreifacher Feigling! Warum hast Du keinen Anderen angezeigt und nur diesen Einen, den Riesen Bormann?«
»Er ist der Einzige, der gekommen ist; ich hätte jeden Anderen ebenso angezeigt.«
»Lüge nicht. Hast Du Kinder?«
»Ja. Eine Tochter hat mir der Gott Israels gegeben.«
»Sie heißt Judith?«
»Ja. Judith ist ihr Name. Sie ist schön wie Sulamith, aber ich habe ihr gegeben den Namen der Heldin, welche getödtet hat den Feldhauptmann Holofernes, als er belagerte die Stadt Bethulia.«
»Nun, in diese Judith war der Riese verliebt. Er wollte sie haben, aber Du sagtest nein, und sie mochte ihn auch nicht. Er kam wieder und immer wieder, und um ihn für immer los zu werden, zeigtest Du ihn an, obgleich er zu den besten meiner Leute gehört.«
Während dieser Worte hatte der Baron eine schwarze Maske aus der Tasche gezogen und vor das Gesicht gesteckt. Er erhob sich und trat drohend einen Schritt auf den Juden zu. Dieser fiel abermals in die Kniee und rief voller Entsetzen:
»Herr Sabaoth! Der Hauptmann!«
»Ja, ich bin es. Ich bin gekommen, mit Dir zusammenzurechnen, da Deine letzte Stunde nahe ist!«
Die Beiden hatten nicht bemerkt, daß die Thür sich leise geöffnet hatte. Zwei Frauen waren eingetreten, die alte Jüdin und ihre Tochter Judith. Die Erstere hatte aus dem Tone des Gespräches gehört, daß ihr Mann sich in einer nicht sehr guten Lage befinde, die Letztere war zufällig dazugekommen, und so waren sie grad in dem Augenblicke eingetreten, an welchem Levi die Worte: »Herr Sabaoth! Der Hauptmann!« ausrief.
Die Alte war schlau und besonnen genug, sofort die Thür zu verschließen, die Tochter trat einige Schritte vor und fragte:
»Der Hauptmann, der geheimnißvolle Hauptmann sind Sie?«
»Ja,« antwortete der Baron, indem er sich zu ihr herumdrehte.
Er konnte von ihr nichts erkennen als die Augen und die Nase, denn nur dies Beides allein wurde nicht von dem Tuche bedeckt, welches ihren Kopf und ihre ganze Gestalt umhüllte.
Da legte sie ihm die Hand furchtlos auf die Schulter. Es war das eine weiße, schimmernde, kräftige und doch feine Hand, was er aber gar nicht bemerkte. Sie fragte:
»Du willst mit Salomon Levi zusammenrechnen?«
»Ja, sofort!«
»Seine letzte Stunde ist nahe?«
»Ja, sehr nahe!«
»Nun, so ist auch die Deinige gekommen!«
Diese Worte wurden so ruhig und drohend gesprochen, daß der Baron unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
»Schwätzerin!« rief er.
»Ich schwatze nicht! Wir haben von Dir gehört; wir kennen sehr viele Deiner Leute, Du bist streng und erbarmungslos. Aber wer wie wir mit Räubern und Mördern verkehrt, weiß seine Maßregeln zu treffen!«
»Ah! Welche sind das?«
»Das ist unser Geheimniß. Tust Du meinem Vater nur das Geringste zu Leide, so wirst Du dieses Haus nicht lebendig verlassen!«
Sie sagte das mit solcher Sicherheit, solcher Ueberzeugung, daß er zu glauben begann, sich in Lebensgefahr zu befinden. Darum sagte er:
»Pah! Mir macht ein Weib nicht bange. Ich habe mit Levi zusammen zu rechnen. Finde ich ihn zu leicht, so schnellt er in die Luft!«
»Und Du sinkst in die Erde. Was hast Du gegen uns?«
»Daß Ihr Bormann angezeigt habt.«
»Das durften wir.«
»Das durftet Ihr nicht. Ihr wußtet ja, daß er zu meinen Leuten gehört.«
»Er hatte den Einbruch nicht auf Dein Geheiß, sondern allein auf seine Rechnung ausgeführt.«
»Das ist allerdings der Fehler, welchen er beging, und dennoch bin ich bereit, Nachsicht walten zu lassen. Daher fordere ich nun, daß Ihr mir behilflich seid, seine Unschuld zu beweisen.«
»Das ist unmöglich! Das kann kein Mensch!«
Die beiden Alten hatten sich seit dem Eintritt der Frauen still verhalten. Nur Judith hatte gesprochen. Sie war beherzter und scharfsinniger als ihre Eltern. Auf ihre letzten Worte stieß der Baron ein kurzes, stolzes Lachen aus und sagte:
»Unmöglich? Kein Mensch kann es? Ich kenne doch Einen, der es kann, und der bin ich.«
»Wir mögen dabei nichts zu thun haben. Der Riese soll uns nicht mehr in das Haus kommen.«
Der Baron beobachtete eine kleine Pause des Nachdenkens und sagte dann:
»Er ist einer meiner besten Männer; er muß gerettet werden.«
»Rette ihn, wenn Du kannst.«
»Ohne Euch ist es unmöglich.«
»Wir haben keine Lust.«
Seine Augen blitzten zornig aus der Maske hervor; dennoch aber beherrschte er sich und sagte in ruhigem Tone:
»Er soll Euch nie wieder belästigen.«
»Das haben wir bereits jetzt erreicht. Mehr zu thun wäre überflüssig.«
»Ich werde es Euch belohnen.«
»Wir