Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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den Korb leeren.«

      Der Alte hatte sich inzwischen mit Hilfe seines Stelzfußes erhoben und trat herzu. Er sah, was die Beiden dem Korbe entnahmen und auf den Tisch legten.

      »Herrgott!« rief er, indem seine Augen gierig funkelten. »Brod, Butter, Käse, Schinken, Wurst, Eier, Fleisch und Wein! Wem gehört das? Wer darf das essen?«

      »Du, Du, Ihr, lieber Vater!« antwortete die Tochter. »Dieser Herr ist so gütig, es uns zu schenken.«

      »Gieb mir Brod!« sagte er, nach einem Messer greifend.

      »Brod!« knurrte es aus der Ecke, und der Knäuel begann, sich zu entrollen.

      Als der Schwachsinnige sich erhob und herbeitrat, bot er eine Erscheinung zum Fürchten. Er war eine wahrhaft hünenartige Gestalt mit kurzen, übermäßig dicken Beinen und langen, dünnen Affenarmen, an denen sich statt der Hände riesige, behaarte Bärentatzen zu befinden schienen. Sein Gesicht glich dem einer englischen Bulldogge und das freudige Zähnefletschen, mit welchem er den Anblick der Eßwaaren begrüßte, hatte etwas grauenhaftes Hungrig-Tierisches an sich.

      Der alte Wachtmeister hatte das Brod angeschnitten, warf dem Sohne ein Stück zu und biß nun auch selbst mit solcher Gier in seine Schnitte, daß es wirklich zum Weinen war. Wie lange hatten diese armen Leute wohl keine regelmäßige Nahrung gehabt!

      Jetzt war der Korb völlig geleert. Der Fürst trat ihn mit den Füßen zusammen und riß ihn dann in Stücke aus einander. Vater und Tochter sahen ihm erschrocken zu. Sie begriffen nicht, warum er ihnen ihr Eigenthum zerstörte.

      »Hier, Fräulein, heitzen Sie ein!« sagte er. »Für weitere Nahrung für das Feuer werde ich gleich sorgen.«

      Er ergriff erst den einen und dann den anderen Stuhl und trat und brach beide in Stücke.

      »O weh, meine Stühle!« jammerte der Alte.

      »Grämen Sie sich nicht! Morgen sollen Sie bessere Möbel haben und auch eine gesündere Wohnung. Jetzt aber ist vor allen Dingen, da Sie sich sättigen können, auch Wärme nothwendig. Verbrennen Sie nur getrost die Stühle, und, wenn das nicht langen sollte, auch den Tisch. Ich sorge für Ersatz!«

      Er griff selbst mit zu, und bald prasselte ein lustiges Feuer in dem Ofen, in dessen Nähe sich der Geistesschwache sofort niederkrümmte, um mit ausdruckslosen Augen in die Flamme zu starren.

      »Aber, Herr? wer sind Sie denn eigentlich?« fragte endlich der Wachtmeister.

      »Der Name ist jetzt nicht nöthig. Später, wenn es sein muß, werde ich ihn nennen.«

      »Das ist ja gerade, als ob der Fürst des Elendes bei uns bescheerte!«

      »Wer ist das?« fragte der Fürst.

      »Wer das ist? Wissen Sie das noch nicht?«

      »Ich bin ein Fremder hier.«

      »Ach so! Nun wissen Sie: Seit längerer Zeit giebt es hier einen Teufel und einen Engel. Der Teufel ist der geheimnißvolle Hauptmann, dessen Bande sich vor keiner verbrecherischen That scheut, und der Engel ist der Fürst des Elendes. So hat man ihn genannt. Wer er ist, das weiß man nicht, aber bereits seit mehreren Monaten erzählt man sich von Wohlthaten, welche an Armen und Elenden geschehen, ohne daß man erfährt, woher sie kommen. Man hat den unbekannten Wohlthäter den Fürsten des Elendes genannt.«

      Der Fürst lächelte leise und glücklich vor sich hin.

      »Haben Sie auch bereits Wohlthaten von ihm empfangen?« fragte er.

      »Nein. Aber wenn er unser Elend kennen würde, so bin ich gewiß, daß wir seine Hilfe erwarten dürfen.«

      »Nun, so denken Sie, daß diese kleine Gabe von ihm kommt!«

      »Nein; sie kommt von Ihnen!«

      »Das ist nicht so ganz und gar gewiß. Wie denn nun, wenn ich ein Bote vom Fürsten des Elendes wäre?«

      »Ein Bote von ihm? Gott, welch ein Glück! Dann würde er auch weiterhin an uns denken.«

      »Ja, das wird er ganz gewiß!«

      Der Alte humpelte näher, legte dem Fürsten die Hand auf den Arm und fragte, indem auch seine Tochter gespannt herzutrat:

      »Ist das wahr? Kennt er uns?«

      »Ja. Er weiß, daß Sie ein braver Beamter waren, der unverschuldet in das Elend gerieth. Der Staat hat Ihre Dienste vergessen, aber der Fürst des Elendes macht diesen Fehler wieder gut. Er hat mich beauftragt, Ihnen mitzutheilen, daß Sie von heute an eine jährliche Pension aus seiner Casse erhalten sollen.«

      »Eine Pension! Unmöglich! Wie käme ich zu diesem Glücke! Herrgott, eine Pension! Dieses Glück wäre so groß, so unbegreiflich, daß ich es gar nicht zu fassen vermöchte!«

      »Und doch können Sie es fassen. Hier greifen Sie zu!«

      Er zog seine Börse und zählte eine Anzahl Goldstücke auf den Tisch.

      »Was ist das? Was soll das viele Geld?« fragte der einstige Wachtmeister, indem seine Augen auf die blanken, funkelnden Dukaten hernieder glänzten.

      »Ihre Pension!«

      »Meine Pension?«

      Er fuhr sich mit der Hand nach dem Kopfe.

      »Das ist ein Traum! Das ist keine Wahrheit! Seit wann habe ich kein Geld gesehen! Und nun gar Gold! So sehr viel Gold!«

      »Nehmen Sie es in Gottes Namen! Es gehört Ihnen. Sie erhalten vom Fürsten des Elendes eine jährliche Pension von dreihundert Thalern. Hier liegt die erste Jahresrate. Was darüber ist, das soll für die Betten und Möbel, und für ein besseres Logis sein, auch für den Arzt, damit Fräulein gesunde Augen bekomme.«

      Da stieß das Mädchen einen lauten Schrei aus. Sie stürzte unter Thränen auf ihn zu und warf förmlich die Arme um ihn.

      »Mein Retter! Mein Wohlthäter! Unser Engel!« schluchzte sie.

      Der Alte konnte sich ebenso wenig halten. Er ergriff beide Hände des Fürsten und sagte:

      »Herr, wer Sie auch sein mögen, Sie sind ein Engel, den uns Gott gesandt hat. Er mag es Ihnen vergelten, wir können es nicht.«

      Der Irrsinnige hatte dem Vorgange zugesehen, ohne ihn begreifen zu können. Jetzt aber belebten sich auch seine Augen. Das Verständniß schien ihm zu kommen. Er rollte sich vom Boden auf, trat herzu, streichelte dem Fürsten mit der behaarten Hand über das Gesicht und murmelte in einem Tone, welcher seine höchste Zärtlichkeit ausdrücken sollte, aber wie das Grunzen eines Yacks erklang:

      »Gut, sehr gut Du! Mein Vater Du! Mein Bruder Du! Ich todtschlagen alle Feinde von Dir! Ich mir merken Dich!«

      Welcher Dank der ergreifendste war, derjenige des Vaters, der Tochter, oder des Schwachsinnigen, das konnte der Fürst natürlich nicht unterscheiden und bestimmen. Er riß sich los und sagte:

      »Nicht mir gebührt der Dank, Ihr Leute. Der Fürst des Elendes hat mich geschickt, um den Fehler gut zu machen, den das Schicksal

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