Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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ihn!«

      Bei diesen Worten schloß er bereits die Thür hinter sich. Er eilte durch die dichte Finsterniß der beiden Flure und des Hofes hinaus auf die Straße.

      Das war die zweite Familie, welche er heute Abend glücklich gemacht hatte, die eine hier in Nummer Zehn und die Andere in Nummer Elf der Wasserstraße. Denn daß sich auch die Familie des Schneiders Bertram glücklich fühlte, das war gewiß. Ihre Glieder hatten seit langer Zeit sich zum ersten Male wieder sättigen können.

      Die Kinder lagen schlafend auf ihren Strohsäcken. Der Brustkranke lehnte in seinem Stuhle, mit geschlossenen Augen und leise athmend; auch ihn wollte ein kurzer Schlummer erquicken. Marie war ein Stündchen eine Treppe tiefer gegangen und Robert, der Schreiber, stand in seinem Nebenstübchen am Fenster und schaute hinüber, wo jenseits der Gärten sich das Palais des Obersten von Hellenbach erhob.

      Dort wurden jetzt die Fenster dunkel, welche am heutigen Abende so festlich erleuchtet gewesen waren. Ein Licht erlosch nach dem andern, bis nur noch ein Fenster erleuchtet blieb.

      Dieses Fenster kannte Robert sehr genau. Wie oft, wie sehr oft hatte sein Auge auf demselben geruht, wohl mit derselben Ehrerbietung, mit welcher der kleine Käfer empor zur Sonne schaut.

      Auch jetzt zog er den Tischkasten heraus und entnahm demselben ein kleines Fernrohr. Keine Noth, selbst der Hunger nicht, hatte ihn vermocht, sich desselben zu entäußern, denn dieses Rohr war für ihn der Weg zur Seligkeit; es erlaubte ihm, von hier hinüber zu schauen zu Der, von der er im Wachen träumte und über die er im Traume wachte. Er zog das Rohr aus und richtete es nach dem Fenster hinüber. Was sah er?

      Zwischen den Gardinen vorüber sah er sie vor dem Nachttische stehen. Ihr Lockenhaar hing aufgelöst wie eine fließende Mähne auf die entblößten Schultern herab, welche aus der Ferne wie Silber und Perlmutter herüberglänzten. Sie hatte begonnen, sich zu entkleiden, und sein Blick folgte dem Gemälde, welches kein Maler in solcher Vollendung auf die Leinwand zu zaubern vermocht hätte. Und als das herrliche Bild verschwunden war, schob er das Rohr zusammen und flüsterte:

      »Ja, sie ist die Incarnation der Nacht des Südens, jener funkensprühenden, reflexerglühenden, mächtigen, prächtigen Nacht der Tropen, wie ich sie im Gedichte geschildert habe. Sie hat zu diesen Versen gesessen und – und ich –? Ah, ich bin der Wurm, der während dieses Sternenflammens am Boden kriecht. Ich hätte nicht jene stolze, glückliche, strahlende Nacht schildern sollen, sondern die weinende, vor Thränen triefende Nacht, welche die unglückliche Schwester der ersteren ist. Ob ich das wohl brächte? Ob ich es vermöchte, ein Bild so großen Trauerns in den gleichen Rahmen zu fassen? Versuchen wir es!«

      Er nahm ein Blatt, tauchte die Feder ein, öffnete seine Gedichte, schlug »Die Nacht des Südens« auf, welche Fanny von Hellenbach so sehr begeistert hatte, und schrieb, als ob es ihm dictirt werde:

      »Wenn um die Berge von Befour

      Des Abends dunkle Schatten wallen,

      Dann tritt die Mutter der Natur

      Hervor aus unterird'schen Hallen,

      Und läßt auf die versengte Flur

      Des Thaues stille Perlen fallen.

      Des Himmels Seraph flieht, verhüllt

      Von Wolken, die sich rastlos jagen;

      Die Erde läßt, von Schmerz erfüllt,

      Den Blumen bittre Thränen tragen,

      Und um verborg'ne Klippen brüllt

      Die Brandung ihre wilden Klagen.

      Da bricht des Morgens glühend Herz:

      Er läßt den jungen Tag erscheinen,

      Der küßt den diamant'nen Schmerz

      Von tropfenden Karfunkelsteinen

      Und trägt ihn liebend himmelwärts,

      Im Aether dort sich auszuweinen!« –

      Also Marie, seine Pflegeschwester, war eine Treppe abwärts gegangen. Sie hatte von der Mahlzeit, welche Robert mitgebracht hatte, einen Theil zurückgelegt, um Andere, welche auch litten, damit zu beglücken. Sie wußte, wie willkommen diese Gabe war.

      Da unten stand nämlich an einer Thür zu lesen: »Wilhelm Fels, Mechanikus«. Oeffnete man diese Thür, so trat man in ein ärmliches Stübchen, auf dessen Ofenbank eine ewig strickende, leidend aussehende, blinde Frau saß. Sie war des Tages stets allein, denn ihr Sohn arbeitete im Atelier seines Principales. Des Abends aber kam er, und anstatt sich auszuruhen, arbeitete er an der Herstellung eines Mechanismus, welcher ihm von einem reichen Engländer zur Aufgabe gemacht worden war.

      Er war der Lieblingsgehilfe seines Meisters. Er verdiente einen schönen Lohn; aber er war leider ein ehrlicher Junge. Sein Vater hatte Ehrenschulden hinterlassen, die von ihm übernommen worden waren. Er wollte das Andenken des Todten rein erhalten und sah sich gezwungen, diesem Vorhaben über die Hälfte seines wöchentlichen Verdienstes zu opfern.

      Auch heut, als Marie eintrat, saß er am Tische und sann und feilte, feilte und sann, daß ihm trotz der im Stübchen herrschenden Kälte der Schweiß von der Stirn tropfte.

      Marie theilte ihre Gaben aus. Sie sollten nicht angenommen werden, aber sie besiegte jeden Widerstand mit der Versicherung, daß Robert einen Speisenvorrath für mehrere Tage mitgebracht habe. Man sah es dann der Blinden an, daß sie wohl schon seit Tagen sich nicht vollständig satt gegessen habe.

      Sie ging dann schlafen, und nun befanden sich die beiden jungen Leute allein. Er blickte zu ihr herüber und legte die Feile weg. Sie blickte zu ihm hinüber und legte die Seide fort, aus welcher sie sich einen Vorrath von Stickfäden gezogen hatte.

      »Marie?« sagte er halblaut.

      »Wilhelm?« antwortete sie ebenso.

      »Liebe Marie!«

      »Lieber Wilhelm!«

      »Die Mutter ist schlafen!«

      »Ja.«

      »Ob sie wohl schon eingeschlafen ist?«

      »Vielleicht,« antwortete sie erröthend.

      »Oder ob Sie noch einmal zurückkehren wird?«

      »Auch das ist möglich.«

      »Aber, liebe Marie, sie kann doch nicht sehen!«

      »Leider, lieber Wilhelm.«

      »Darf ich also kommen?«

      Sie antwortete nicht mit Worten, aber sie nickte mit dem hübschen Köpfchen. Das war genug. Er stand von seinem Stuhle auf und kam zu ihr. An der Wand stand ein Sopha, ein Kanapee, oder doch Etwas, dem man diesen Namen beilegen konnte, wenn man es nicht gar zu sehr genau nahm. Vier hölzerne Beine, drei Bretter darauf genagelt, hüben und drüben eine hohle Rolle aus starker Pappe und darüber ein Ueberzug von groß geblümtem Zitz, die Elle für fünfzehn Pfennige; das war das Kanapee, oder das Sopha, oder der Divan, welchen Wilhelm vor zwei Jahren seiner Mutter als Christgeschenk gegeben hatte. Er hatte damals das Möbel selbst zusammengenagelt und Marie

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