Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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als Zeugin dienen soll.«

      »In welcher Weise?«

      »Sie soll Einen von uns sehen und also im Stande sein, seine Person recognosciren zu können.«

      »Eine Art umgekehrtes Alibi?« wiederholte der Fürst nachdenklich. »Ein Alibi ist der Beweis, daß eine Person nicht am Thatorte gewesen sein kann. Ein umgekehrtes Alibi also würde in dem Nachweise bestehen, daß eine Person dagewesen ist, natürlich eine andere, als der Angeklagte. Hm! Das sind Verwicklungen. Handelt es sich um diejenige Person, von welcher erst heut' bestimmt wurde, daß sie mit arbeiten solle?«

      »Ja.«

      »Wer ist sie?«

      »Das darf ich nicht sagen.«

      »Und die Zofe soll diese Person sehen, um nachweisen zu können, daß sie dabei gewesen ist? Interessant! Ein schwieriges Räthsel; aber ich bin auf Lösung von Räthseln passionirt. Wo werden Sie sich versammeln?«

      »Unter den Bäumen unweit der Frohnveste.«

      »Ah! Soll diese Person, von welcher wir sprachen, dort etwa erst zu Ihnen stoßen?«

      »Ich bin nicht im Stande, Auskunft zu ertheilen.«

      »Wann werden Sie beginnen?«

      »Zwischen Zwölf und Eins treten wir an. Beginnen werden wir natürlich erst dann, wenn sämmtliche Lichter erloschen sind.«

      »Es ist jetzt halb zwölf. Sie werden Ihrer heutigen Beute verlustig werden. Kommen Sie morgen Vormittag nach meiner Wohnung in der Palaststraße, natürlich aber verkleidet! Man wird Ihnen eine Gratification auszahlen. Haben Sie noch irgend etwas zu berichten, zu sagen oder zu fragen!«

      »Nein.«

      »Und über die Person des ›Hauptmannes‹ wollen oder können Sie mir wirklich keine Auskunft erteilen?«

      »Ich könnte nicht, selbst wenn ich wollte.«

      »Auch keine Andeutung?«

      »Nein.«

      »Was hat er für eine Gestalt, für eine Figur!«

      »Verschieden! Bald klein, bald groß, bald dick, bald dünn.«

      »Augen?«

      »Ebenso verschieden. Bald hell und bald dunkel.«

      »Hm. Haben Sie diesen Unterschied genau beobachtet?«

      »Ja. Ich komme als einer der Bevorzugten oft in seine unmittelbare Nähe.«

      »Was für ein Gesicht?«

      »Stets verhüllt.«

      »Sie können also nicht bemerken, ob er bebartet oder bartlos ist?«

      »Nein.«

      »Die Stimme?«

      »Die Stimmen von tausend Maskirten werden sich ähnlich sein.«

      »Ah, auf diese Weise erfahre ich, daß Ihre Zusammenkünfte maskirt stattfinden. Mir scheint, daß Sie nicht nur einen Hauptmann haben.«

      »Ganz sicher nur Einen!«

      »So läßt er sich wenigstens zuweilen durch ein Mitglied vertreten, wie die verschiedenen Augenfärbungen beweisen.«

      »Das ist möglich.«

      »Wie oft haben Sie Zusammenkünfte?«

      »Je nach Bedarf.«

      »Nur des Abends?«

      »Ja.«

      »Auf welche Weise erfahren Sie den Tag und die Stunde?«

      »Auf einer jeden wird die nächste bestimmt.«

      »Und wo finden diese Versammlungen statt?«

      »Das zu sagen, ist mir nicht erlaubt!«

      »Im Innern der Stadt?«

      »Hm!«

      »Im Äußeren derselben?«

      »Hm! Ich bitte dringend, keine Fragen zu stellen, deren Beantwortung eine Verletzung meines Eides bedeuten würde! Im Uebrigen will ich Ihnen herzlich gern zur Verfügung stehen.«

      »Noch Eins! Wer ist bei diesen Versammlungen eher da, der Hauptmann oder seine Untergebenen?«

      »Die Letzteren. Sie sitzen, bis er kommt, mit den Rücken nach seinem Platz gerichtet. Dann drehen sie sich um.«

      »Ah, wie vorsichtig! Man soll nicht sehen woher und in welcher Weise er erscheint. Ich sehe ein, daß es nicht leicht sein wird, ihm auf die Fährte zu kommen.«

      »Da Sie mir auf alle Fälle Straflosigkeit versprochen haben, so wünsche ich Ihnen das Gelingen, kann aber nur so viel dazu beitragen, als sich mit meinem Eide in Einklang bringen läßt.«

      »Ich muß mich damit begnügen. Für jetzt also sind wir fertig, doch wissen wir, daß wir uns wiedersehen. Adieu!«

      Er trat aus dem Hause heraus und blickte beim Scheine der nächsten Laterne auf seine Uhr. Er hatte noch eine Minute Zeit, seinen Diener zu treffen, und richtete seine Schritte darnach ein. Gerade als er die Thür der Baronesse erreichte, traf er auf den Erwarteten; so pünktlich waren Beide gewesen.

      »Etwas passirt?« fragte er.

      »Nichts. Aber droben unter den Bäumen an der Frohnveste scheinen einige Leute zu stehen.«

      »Kann man hinan, ohne von ihnen gesehen zu werden?«

      »Von der hinteren Seite her vielleicht.«

      »Warte, und gehe einstweilen hier auf und ab. Aber hüte Dich, bemerkt zu werden.«

      Er ging fort und machte einen Umweg. Die kleine Baumpflanzung bestand aus Laub- und Nadelhölzern. Die Ersteren waren jetzt blätterlos; die Letzteren aber boten, zumal da ihre untersten Äste beinahe bis zum Boden reichten, eine Art von Deckung.

      Da hier nicht viel Schnee vorhanden war, konnte er sich ohne Schwierigkeit und Geräusch vorwärts schleichen. Er that dies in niedergeduckter Stellung. Er fand seinen Versuch von Erfolg gekrönt. Unter einer Weymouthskiefer standen vier Personen, welche leise mit einander sprachen. Der Eine von ihnen, welcher in der Mitte stand und eine gebieterische Haltung zeigte, hielt die eine Hand mit dem Taschentuche continuirlich an das Auge. Der Fürst erkannte an der Kleidung in ihm – jenen Menschen, dem er im Casino einen Faustschlag in's Auge versetzt hatte.

      Näher durfte er sich nicht wagen; er kehrte also zurück. Als er mit dem Diener zusammentraf, legte er dieselben Oberkleider wieder an, welche er heute Abend beim Oberst von Hellenbach getragen hatte, wischte sich mit einem Tuche einige Male das Gesicht, legte einen Gegenstand quer über die Stirn herab, den man in der Dunkelheit für eine starke Schnur oder für ein schmales Band halten konnte, und fragte dann:

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