Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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ist ein arabisches Wort und bedeutet eigentlich »Bartfarbe«. Die indischen Gaukler und Zauberer aber bezeichnen damit jene fast augenblicklich wirkenden Färbe- und Toilettenmittel, mit denen sie im Stande sind, binnen einigen Secunden sich vollständig zu verändern und völlig unkenntlich zu machen.

      »Hier,« antwortete der Diener.

      Er reichte ihm ein brieftaschenähnliches Etui, welches der Fürst zu sich steckte und fragte dann:

      »Die chemische Laterne.«

      »Ja. Hier! Wo soll ich warten?«

      »Nirgends. Du kannst nach Hause gehen. Ich bedarf Deiner voraussichtlich heute nicht mehr.«

      »Aber wenn Ihnen ein Unfall zustößt, gnädiger Herr!«

      »Laß' nur mich sorgen! Gute Nacht!«

      Der Diener entfernte sich. Der Graf warf einen Blick nach der Façade des Hauses empor. Ein einziges Fenster war noch erleuchtet. Er zog die Schlüssel, welche er von dem Gauner erhalten hatte, hervor, wählte nach Gefühl denjenigen, welcher in das Schloß paßte, und probirte leise. Es gelang. Die Thür öffnete sich, ohne das mindeste Geräusch zu verursachen.

      Er trat ein und verschloß dann wieder. Dann zog er seine chemische Laterne hervor. Dieselbe bestand einfach aus einem Krystallfläschchen, in welchem sich eine Mischung von Oel und Phosphor befand. Diese Mischung giebt einen Schein, welcher demjenigen eines kleinen Oellämpchens gleicht. Mit Hilfe desselben fand er die Treppe und stieg empor. Droben an einer Flügelthür, welche jedenfalls den Vorsaal verschloß, stand zu lesen: »La Baronesse Alma de Helfenstein«.

      Auch hier probirte er einen Schlüssel, und es gelang ihm, Eintritt zu finden, ohne Geräusch zu verursachen. Hier strömte ihm jener eigenthümliche, undefinirbare Duft entgegen, welcher das Vorhandensein von vornehmen Damen anzuzeigen pflegt.

      Baronesse Alma war zeitig von der Soiree zurückgekehrt. Sie hatte dann einige Zeit einsam in ihrem Boudoir gesessen, um über den heutigen Abend nachzudenken. Sie war gewöhnt, sich öfters ohne Hilfe ihres Mädchens zu entkleiden, und so hatte die Zofe die Erlaubniß erhalten, sich zurückziehen zu dürfen. Die Herrin wollte träumen.

      Sie dachte an Fanny von Hellenbach, welche ihr so lieb und sympathisch war, ferner an – an, nun ja, an diesen räthselhaften Fremdling, den Fürsten von Befour. Was an ihm war es doch nur, was ihr Herz hatte lauter klopfen lassen, so oft ihre Augen sich auf ihn richteten? War es sein Auge, seine Stimme, sein Gang oder was sonst? Sie wußte es selbst nicht, aber sie fühlte, daß dieser Mann einen Eindruck auf sie gemacht hatte, von welchem sie sich selbst keine Rechnung abzulegen vermochte.

      So saß sie da, nicht in geordnete Gedanken versunken, sondern halb sinnend und halb träumend, bis ihr Blick auf die Uhr fiel. Es fehlten nur noch wenige Minuten an Mitternacht.

      Sie erhob sich, um Schlaftoilette zu machen. Sie legte ihr jetziges Gewand ab und ein dünnes, blütenweißes Negligée an. Dann löste sie ihr herrliches, blondes Haar auf, um es unter ein Häubchen zu bringen. Indem sie mit dem silbernen Kamme durch die langen, reichen Wogen strich, erinnerte sie an jene feenhafte Loreley, welche ein junger Maler fertigte, um dann, in den Anblick seines Bildes versunken, infolge der Schönheit desselben wahnsinnig zu werden.

      Alma war eigentlich nicht älter geworden, obgleich gegen zwanzig Jahre zwischen jetzt und früher lagen. Sie gehörte zu denjenigen Damen, welche der Zeit bis in das späteste Alter Widerstand leisten. Ihre Taille war ein ganz, ganz klein Wenig stärker, ihre Figur vollkommener geworden, aber trotz ihrer achtunddreißig Jahre hätte man sie noch gut für in den Zwanzigern stehend halten können.

      Ihr Gesicht mit dem kindlich frommen Ausdrucke hatte einen Zug von Schwermuth angenommen, welcher nur anziehen konnte. Ihre Stirn war ohne Falten und von einer vollständig reinen Weiße. Ihre Wangen zeigten einen Anflug von Incarnat, welchen selbst die Schwermuth nicht auszulöschen vermocht hatte. Das Blau ihrer Augen glich noch immer demjenigen des Himmels. Ihr Nacken, ihre Schultern und ihre vollen, schönen Arme, jetzt bei dem leichten Nachtkleide entblößt, hatten einen gedämpften, schneeigen Glanz, und ihre Taille, von keinem Mieder gehalten, zeigte noch immer jene Plastik, welche man an Perserinnen und den Mädchen der Hindu bewundern kann.

      So stand sie da, rein, keusch und hell, umflossen von der Fluth ihres goldig glänzenden Haares. Hätte Gustav Brandt, ihr Milchbruder und Jugendgespiele sie gesehen, er hätte ausgerufen:

      »Mein Sonnenstrahl, mein lieber, süßer Sonnenstrahl!«

      Noch glitten ihre rosigen Finger durch das leuchtende Haar, noch stand sie da vor dem Spiegel in der ganzen Pracht ihrer fast unverhüllten Schönheit, da klopfte es erst leise und dann etwas lauter an die Thür.

      »Ja! Herein!« rief sie.

      Sie glaubte, die Zofe sei es. Aber als nun die Thür sich öffnete, da flog sie einige Schritte zurück; sie wurde erst blaß, dann glühend roth; sie streckte die Arme abwehrend von sich; sie öffnete den Mund, um zu sprechen, vielleicht einen Hilferuf auszustoßen, aber die Stimme versagte ihr. Sie hatte vor Schreck und Scham sogar für Augenblicke die Bewegung verloren.

      Der Fürst von Befour stand unter der Thür.

      Er zog dieselbe langsam hinter sich zu, verbeugte sich in ehrerbietigster Weise tief vor ihr, ergriff einen nahe liegenden Pudermantel, hing ihn ihr um die herrlichen, eine fast fühlbare Wärme ausstrahlenden Schultern und sagte dann lächelnd:

      »Sie sehen, verehrte Baronesse, wir Indier kommen und gehen, ohne um Erlaubniß zu fragen. Keine Mauer ist uns zu dick und kein Schloß zu fest. Wir sind imponderabil.«

      Erst jetzt fand sie die Sprache und Bewegung wieder. Sie hüllte sich dicht in den Mantel, zog die Stirn krauß und antwortete:

      »Das scheint in Indien gebräuchlich zu sein, Durchlaucht; doch bitte ich, zu bedenken, daß Sie sich gegenwärtig nicht mehr im Oriente befinden.«

      Er verbeugte sich abermals und antwortete dann:

      »Ich habe das bedacht, Baronesse. Sie können sich denken, daß mich nur eine ganz außergewöhnliche Veranlassung zu einem so ungewöhnlichen Schritte getrieben haben kann. Ich komme, Ihnen meinen Schutz anzubieten.«

      »Ihren Schutz?« fragte sie erstaunt.

      »Ja, Baronesse, meinen Schutz. Ich hoffe, er wird ausreichen.«

      »Durchlaucht, ich begreife nicht. Ich kenne keine Gefahr, in welcher ich mich befinden könnte.«

      »Ich weiß, daß Sie keine Ahnung haben, ich aber habe das Glück gehabt, diese Gefahr bereits in ihrem Entstehen zu erkennen und dann zu verfolgen.«

      »Dann bitte, sprechen Sie.«

      »Man hat Nachschlüssel zu allen Schlössern Ihrer Wohnung angefertigt, um –«

      »Nachschlüssel?« unterbrach sie ihn. »Gott, will man einbrechen? Will man mich bestehlen?«

      »Ja. Man hat in Erfahrung gebracht, daß Sie gegenwärtig eine bedeutende Summe Geldes bei sich liegen haben.«

      »Das ist wahr. Aber wie hat man dies erfahren können?«

      »Ich weiß es nicht, doch ist sicher, daß der ›Hauptmann‹ seine Spione in allen Kreisen der Gesellschaft hat.«

      War sie

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