Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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den Kopf und sagte:

      »Das ist viel, sehr viel! Vielleicht würde ich darauf eingehen, denn meine Lage zwingt mich dazu. Aber er ist der Riese Bormann!«

      »Nun, warum bei diesem nicht?«

      »Man sagt, daß er mit dem ›Hauptmann‹ in Verbindung stehe.«

      »Sie meinen den geheimnißvollen Hauptmann?«

      »Ja.«

      »Was wissen Sie von ihm?«

      »Nichts weiter, als das man sich vor ihm zu hüten hat.«

      »Nun, da haben Sie recht, und ich sehe, daß ich mit Ihnen auch weiter aufrichtig sein kann. Ich habe ein Billett vom Hauptmann erhalten. Er schreibt, daß der Riese unschuldig sei, das ich ihn auf die angegebene Weise retten könne und daß ich mit Ihnen sprechen solle.«

      »Mit mir?« fragte der Schließer erschrocken.

      »Ja. Er nannte mir Ihren Namen.«

      »Kennen Sie ihn denn?«

      »Nicht im Geringsten. Aber Sie wissen ja, daß er selbst hochgestellten Herren zuweilen Befehle vorschreibt und im Gegenfalle ihnen mit seiner Rache, wohl gar mit dem Tode droht. Es hat schon Mancher, der ebenso wie ich, ein Ehrenmann ist, einen Brief von ihm erhalten und ihm aus Angst gehorchen müssen.«

      »Das ist sehr richtig und wahr.«

      »So schrieb er mir heut, daß ich mit Ihnen sprechen solle, wenn mir mein Leben lieb ist.«

      »Er drohte Ihnen?«

      »Wie Sie hören. Und sodann fuhr er fort, daß Sie ein todter Mann seien, falls Sie nicht auf meinen Vorschlag eingehen würden.«

      »Gott, o Gott!« rief die Frau angstvoll.

      Auch der Mann hatte sich entfärbt.

      »Ist das wahr wirklich wahr?« fragte er.

      »Ja, buchstäblich.«

      »Darf ich den Brief lesen?«

      »Ja. Hier ist er. Sie werden aber sehen, daß er verlangt, der Brief solle sofort vernichtet werden, sobald auch Sie ihn gelesen haben. Wir werden natürlich gehorchen.«

      Der Schließer nahm das Schreiben entgegen, welches der Baron für diesen Fall angefertigt hatte, und las es durch. Als er fertig war, blickte er den Baron ehrfurchtsvoll an und sagte:

      »Wie? Er nennt Sie Erlaucht! Sie sind also ein Graf?«

      »Ja und leider. Es ist soweit gekommen, daß eine Erlaucht einem Verbrecher gehorchen muß, um das Leben zu retten. Und wollen Sie einen weiteren Beweis, so sehen Sie hier meinen Brillantring mit der Grafenkrone.«

      Er zog den Handschuh ab und zeigte den Ring. Die Krone war freilich keine Grafenkrone, aber was verstand der Schließer davon! Dieser warf einen Blick auf den Ring und sagte:

      »Bei Gott, es ist wahr. Aber, Erlaucht, Ihren Namen darf ich wohl nicht auch erfahren?«

      »Warum nicht. Ich bin Graf Holk von Werthenstein. Sie haben vielleicht bereits von mir gehört.«

      »Ja, gewiß. Ich las in der Zeitung von Ihnen. Sie sind Diplomat und erst vor einigen Tagen hier angekommen.«

      »Richtig. Ich bin aufrichtig gegen Sie und hoffe, daß Sie verschwiegen sein werden. Ich muß diesem verteufelten ›Hauptmanne‹ den Willen thun, wie es ein Anderer an meiner Stelle ebenso machen würde, wenn er sein Leben erhalten will; aber Sie sehen ein, daß ich verloren wäre, sobald das Geringste darüber verlautete.«

      Das Gesicht des Schließers erheiterte sich. Er sagte:

      »Gnädiger Herr, jetzt wird mir das Herz leicht, denn jetzt sehe ich ein, daß ich Ihnen vertrauen kann.«

      »Sie wollen mir also den Gefallen thun?«

      »Ja.«

      »Den Gefangenen mir punkt Mitternacht an die Pforte bringen?«

      »Ja.«

      »Und ihn gegen drei Uhr dort wieder in Empfang nehmen?«

      »Ja.«

      »Schön! Das soll zu Ihrem Glücke sein. Hier ist das Geld.«

      Er zog, ebenso wie vorhin bei dem Juden, fünf Hundertthalerscheine hervor und gab sie dem Schließer. Dieser griff mit zitternden Händen zu, während seine Frau vor Entzücken die Arme um ihn schlang. Dann fuhr der Baron fort:

      »Die dreitausend Thaler gebe ich Ihnen, sobald der Gefangene bei mir ist. Sind Sie einverstanden?«

      »Ja, gnädiger Herr. Gott, wie glücklich bin ich. Alle Angst und alle Sorge ist nun plötzlich verschwunden.«

      »Ich gönne es Ihnen. Nun aber wird Ihre Zeit abgelaufen sein, und die meinige ist es auch. Ich muß gehen. Also, halten Sie Wort. Gute Nacht, bis wir uns wiedersehen.«

      Er ging, und der Schließer leuchtete ihm die Treppe hinab. Droben im ärmlichen Stübchen herrschte Glück und Freude. Der Baron dachte daran nicht im Mindesten. Er überzeugte sich zunächst, ob er nicht beobachtet werde, nahm dann eine Droschke und ließ sich nach einem entlegenen Stadttheile fahren. Dort stieg er aus und schritt durch einige Gassen und Gäßchen weiter, bis er an eine lange Mauer kam. Hier blieb er einige Zeit horchend stehen, und als er sich überzeugt hielt, daß er nicht beobachtet werde, zog er sein Messer hervor, öffnete es und steckte die Klinge in eine zwischen zwei Mauersteinen befindliche Ritze.

      Der eine dieser Steine war ringsum vom Mörtel befreit, also locker. Mit Hilfe des Messers gelang es dem Barone leicht, ihn heraus zu bringen. Dann langte er in die Oeffnung und zog drei spitze Eisen hervor, welche die Form von Meiseln hatten. An derselben Stelle der Mauer gab es drei Löcher, in welche die Eisen eingeschoben werden konnten, sodaß sie vielleicht sechs Zoll weit hervorstanden. Da sie in gleichen Abständen über einander in die Mauer gesteckt waren, konnten sie dem Baron als Stufen dienen. Er stieg an ihnen empor, zog sie unter sich wieder heraus und bediente sich auf der anderen Seite ihrer ganz in derselben Weise.

      So gelangte er in einen großen Garten, welcher schon mehr ein verwildeter Park zu sein schien. Er schlich leise aber doch eiligen Schrittes zwischen den Bäumen dahin, bis er an die hintere Seite eines finsteren Hauses gelangte, welches mitten in dem Garten stand. Hier ging eine steinerne Freitreppe empor. Zu beiden Seiten derselben gab es hart am Boden ein Fenster, welches zur Kellerei zu gehören schien. Das eine derselben war nur angelehnt. Der Baron schob es auf, stieg ein, machte es wieder zu und befand sich nun in einem dunklen Raume, den er sehr gut zu kennen schien, denn er schritt, ohne Leuchte zu bedürfen, weiter und immer weiter.

      Er gelangte schließlich an einige schmale Stufen, stieg zwei derselben empor und stieß nun mit dem Kopfe an ein bretternes Hinderniß, an welchem sich ein Riegel befand. Er schob den Riegel zurück und auch die Bretter bei Seite, aber leise, ganz leise, als ob er befürchte, daß Jemand das Geräusch hören könne.

      Ein Lichtschein drang von oben herein. Er zog die Maske aus der Tasche und befestigte sie vor seinem Gesichte; dann stieg er sehr langsam weiter empor.

      Der

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