Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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Schurken hat er mich genannt, einen ehrlosen Menschen! Hölle, Tod und Teufel, das wird gerächt, fürchterlich gerächt! Ich muß ihn bezahlen; aber woher das Geld nehmen? Der Cousin hilft mir nicht mehr aus der Noth. Ich verlangte heute früh lumpige fünfhundert Gulden von ihm, und er verweigerte sie mir, weil er nicht länger Tropfen in's Meer tragen wolle. Wie würde er erstaunen, wenn ich jetzt zweitausend verlangte! Er hat Geld, massenhaft Geld! Ihm ist ja Alles zugefallen, die ganze Herrschaft, während wir Anderen mit einer elenden Kleinigkeit abgefunden wurden. Wäre er todt, und hätte er diesen Knaben nicht, so hätte Alma einige Hunderttausende zu erwarten, und das Andere wäre Alles, Alles mein! Könnte man doch dem Schicksale nachhelfen! Hm! Giebt es denn gar keine Möglichkeit? Sie soll Hellenbach heirathen, und das muß ich hintertreiben. Sie liebt ihn keinesfalls. Ha! Ist es denn nicht möglich, daß ich ihr lieber wäre als er? Dann wäre mir geholfen! Welch' ein Streich! Sie kann sich nicht glücklich fühlen; ich erlöse sie von diesem Hellenbach, indem ich sie für mich erobere; ich trete als ihr Retter auf. Ich bin überzeugt, daß ihr mein Antrag hoch willkommen ist. Zwar soll sie diesem widerwärtigen Brandt gut sein; aber das ist ja gar nicht zu rechnen. Die Baronesse Alma von Helfenstein und ein Polizeibeamter! Pah! Das ist eine Liebelei, die ich vergeben kann, da ja auch ich den Freuden der Liebe nicht abgeneigt bin. Sie ist auf dem Tannenstein. Also hin zu ihr!«

      Er wendete sich dem letztgenannten Orte zu.

      Der Hauptmann von Hellenbach hatte sich direct zum Besitzer des Schlosses begeben wollen, um seine Ankunft zu melden; da aber war die Zofe Ella aus der Thür getreten. Sie hatte grüßend an ihm vorüber gewollt; er aber hielt sie durch eine Handbewegung an und fragte:

      »Ist das gnädige Fräulein zu sprechen?«

      »Nein. Sie ist ausgegangen.«

      »Wohin?«

      »Nach dem Tannensteine.«

      »Aber der Herr Baron ist disponibel?«

      Da fuhr ihr ein Gedanke durch den Kopf. Wie nun, wenn sie ihrer Herrin den verhaßten Verlobten sofort auf den Hals hetzte? Alma war gegangen, um sich innere Ruhe zu holen; es mußte ihr äußerst unangenehm sein, dem aufgezwungenen Bräutigam zu begegnen. Darum antwortete Ella auf Hellenbach's Frage:

      »Ich glaube kaum. Der Herr Baron sind jetzt noch von den Dispositionen für die Jagd außerordentlich in Anspruch genommen. Aber das gnädige Fräulein würde sich gewiß freuen, Ihnen auf dem Tannensteine zu begegnen. Es ist so einsam dort, und die Gegend ist seit einiger Zeit fast unsicher zu nennen.«

      »Ah! Wirklich? Hm! Ich erinnere mich des Tannensteines. Ich werde ihn finden, Sie haben Recht. Ich darf den Baron nicht stören.«

      Er ging. Es war keine glühende Leidenschaft, welche er bisher für Alma gefühlt hatte. Sie war schön, reich und von reinem alten Adel. Die Verbindung war eine vortheilhafte zu nennen. So hatte er sich gesagt. Aber als er nun durch den Wald ging, um das schöne Mädchen aufzusuchen und mit demselben von dieser Verbindung zu sprechen, da wurde es ihm denn doch recht eigenthümlich zu Muthe. Es war ihm, als sei Alma bereits ein Stück von ihm selbst geworden, ein Theil seines eigenen Wesens, auf den er unmöglich verzichten könne. Er ahnte es nicht; aber er trug doch eine tiefe Liebe zu dem herrlichen Mädchen in seinem Herzen.

      Bei einem früheren Besuche hatte er den Tannenstein kennen gelernt. Er hatte jetzt geglaubt, den Weg leicht finden zu können, aber er mußte bald einsehen, daß er in die Irre gegangen sei. Er mußte seine Richtung ändern, und so dauerte es ziemlich lange Zeit, ehe er sein Ziel erreichte.

      Unterdessen hatte auch die Zofe Ella das Schloß verlassen. Sie wollte ihr Vorhaben ausführen und ihren Bruder vor Gustav Brandt warnen.

      Gar nicht weit von dem Jagdschlosse Hirschenau lag das kleine Dörfchen Helfenstein, in welchem ihr Bruder wohnte. Er war der gegenwärtige Anführer der Schmuggler. Ella wußte das, hütete sich aber natürlich, es zu verrathen. Sie fand ihn daheim und erzählte ihm, was in dem Briefe Brandt's gestanden hatte. Er lachte höhnisch und sagte:

      »Deine Warnung ist überflüssig; ich bin bereits unterrichtet. Wir haben in der Residenz unsere Spione, welche uns gut bedienen, weil sie gut bezahlt werden. Daß Brandt kommen wird, habe ich ebenso genau gewußt, wie daß man uns auch Militär senden wird. Brandt ist ein junger Kerl aber trotzdem ein gescheidter Kopf. Er hat sich bereits vielfach ausgezeichnet und steht in Ansehen bei seinen Vorgesetzten. Er wird sehr schnell Carrière machen; aber er soll sich hüten, mit uns anzubinden. Sie senden gerade ihn, weil er hier geboren ist und alle Schliche kennt; aber mir ist er doch nicht gewachsen. Wenn er mir unbequem wird, hat es mit ihm ein Ende.«

      Sie erschrak. Brandt war eine Zeitlang heimlich ihr Abgott gewesen; sie liebte ihn eigentlich noch; er aber hatte alle ihre Bemühungen, ihn in ihre Netze zu ziehen, siegreich abgeschlagen. Jetzt drohte ihm Gefahr.

      »Du willst ihn töten?« fragte sie.

      »Das wird sich finden. Ich habe bei meinen Paschern eine eiserne Disciplin eingeführt. Sogar von der Todesstrafe mache ich Gebrauch. Einen Feind, der unsere Sicherheit bedroht, werde ich natürlich noch weniger schonen als einen meiner Untergebenen. Uebrigens werden wir wohl nicht so leicht miteinander in Collision gerathen. Ich beabsichtige in unseren Unternehmungen eine längere Pause eintreten zu lassen, bis das Militär wieder zurückgezogen worden ist. Heute abend wird der letzte Coup ausgeführt, der aber auch ein ganz bedeutender ist. Es handelt sich um viele, viele Tausende, welche wir verdienen. Dann mag Brandt kommen. Er wird hier sitzen und keine Spur eines Paschers finden. Uebrigens bin ich auch aus einem anderen Grunde zu einer längeren Pause gezwungen. Ich habe unter meinen Leuten einige Kerls, denen ich nicht traue. Ich mußte den Bruder des Einen erschießen lassen; der Grund ist Nebensache; nun glaube ich gar, daß ich selbst nicht mehr meines Lebens sicher bin.«

      »Du bist zu hart, zu streng gewesen. Man darf die Saiten nicht zu stark anspannen, sonst reißen sie.«

      »Unsinn! Bei dem Volke, welches ich commandire, muß Strenge sein. Jetzt lebe wohl! Ich habe Wichtigeres zu thun, als hier zu plaudern.«

      Sie ging. Es gab so Vieles zu denken und zu überlegen; so geschah es, daß sie von dem geraden Wege nach dem Schlosse abkam. Und als sie das bemerkte, bog sie noch nicht in bessere Richtung ein. Sie hatte eine nachsichtige Herrin, es kam gar nicht darauf an, ob sie eine Stunde früher oder später zurückkehrte.

      So folgte sie dem Waldwege, den sie nun einmal eingeschlagen hatte. Baron Franz von Helfenstein war es besonders, welcher ihr zu denken gab. Sie war eine wohlhabende Bauerstochter und nur deshalb in den Dienst der Baronesse Alma getreten, weil das herrschaftliche Leben ihr besser gefiel, als das Wohnen und Verkümmern im einsamen Gebirgsdorfe. Sie wußte, daß sie schön war; sie hatte gesehen, welche Macht die Schönheit besitzt, und sie wollte emporsteigen. Wie nun, wenn dieser Cousin Franz von Helfenstein auf irgend eine Weise, durch Liebe oder Zwang, vermocht werden könnte, ihr die Hand zu geben? Dann war sie Baronin, allerdings nicht reich, aber – – hm, konnte nicht der kleine Robert sterben?

      Es waren wunderliche, vielleicht sogar gefährliche Gedanken, mit denen sie sich beschäftigte. Sie achtete gar nicht mehr auf ihre Umgebung, bis sie rasche Schritte vor sich vernahm. Sie blickte auf und zuckte zusammen. Vor ihr stand ein junger Mann, ganz in Grau gekleidet, mit einem ledernen Ränzchen auf dem Rücken und einem Knotenstocke in der Hand. Hätte er anstatt des breitkrämpigen Hutes eine farbige Mütze auf dem Kopfe gehabt, so wäre er sehr leicht für einen wandernden Musensohn zu nehmen gewesen.

      Sie erkannte ihn sofort; sie waren ja in demselben Orte geboren und erzogen. Sie nannten sich sogar »Du«. Es war Gustav Brandt, der erwartete Polizeibeamte aus der Residenz. Da er Alma's Milchbruder war, hatte der Baron, ihr Vater, ihn studiren lassen, eine

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