Kaiserkrieger 13: Flammen über Persien. Dirk van den Boom
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Sie griff in die Kiste und zog anstatt eines Reiskuchens ein Büchlein hervor. Choi musste es nicht entgegennehmen und aufschlagen, um zu wissen, worum es sich handelte, er erfasste es mit einer nahezu instinktiven Gewissheit. Dennoch nahm er es entgegen, las die ersten Sätze der ersten Seite, nur um sich auf keinen Fall zu täuschen. Ja, es stimmte. Es war das Werk jener unbekannten Autoren, die das Handbuch jener Revolutionäre verfasst hatten, auf dessen Besitz allein mit großer Sicherheit die Todesstrafe stand.
Choi war kein dummer Mann. Und so begann er langsam zu verstehen. Die Worte der Bäuerin ergaben einen plötzlichen Sinn. Die Dinge fügten sich zusammen. Dennoch beschloss er, weiterhin zu schweigen. Vielleicht bekam er jetzt endlich klare Antworten auf seine Fragen. So bezähmte er seine plötzliche Erregung, nickte, legte das Buch hin, schob es in die Richtung der Frau, nahm die irdene Tasse, pustete, schluckte, alles in einem Ausdruck äußerlicher Gelassenheit, für den er sich sogleich gratulierte.
Er hatte dieses Verhalten zur Perfektion entwickelt. Eigentlich nur für den Fall, dass er auf besonders fanatische Loyalisten traf und deren Reden ertragen musste, ohne seinem Reflex zu folgen, ihnen den Hals umzudrehen. Aber gelernt war gelernt.
»Nun?«, fragte die Frau.
»Sie hätten vorher schon etwas sagen sollen.« Choi blieb ganz ruhig, obgleich das Unverständnis über seine lange, erzwungene Untätigkeit gewiss hindurchschimmerte. »Es ist sehr kalt hier.«
»Kalt und abgelegen und ignoriert«, sagte die Bäuerin. »Und die letzten Vorbereitungen sind zu erledigen gewesen und die Gruppe musste komplettiert werden. Es dauert alles seine Zeit, weil wir wirklich sehr, sehr vorsichtig sein müssen. Der Geheimdienst ist überall, beobachtet alles und jeden. Die Wachstation hier oben, mit einer Gruppe von etwas heruntergekommenen Versagern, ist einer der ganz wenigen schwarzen Flecken auf der Landkarte, ein Ort, den wir mühsam etabliert, beschützt und getarnt haben. Ihn zu nutzen, bedarf größter Sorgfalt. Allergrößter Sorgfalt. Und Sorgfalt bedarf der Zeit. Ich entschuldige mich nicht dafür, dass Sie sich haben langweilen müssen.«
»Ich will gar keine Entschuldigung. Ich wollte nur eine Erklärung.« Die Frau nickte. Choi fragte: »Also, was soll jetzt geschehen?«
»Wir haben Arrangements getroffen. Es wird eine Besprechung verschiedener Aufgaben geben. Es wird Zeit, zu handeln und das Schlimmste zu verhindern.« Sie sah ihn prüfend an. »Sind Sie bereit dafür?«
»Das ist eine seltsame Frage, wenn ich doch gar nicht weiß, worum es genau geht«, sagte Choi. Erneut musste er ein wenig Ungeduld niederkämpfen. Er verstand ja, dass man in der Position als Gegner des Systems manchmal nur sehr kryptische Worte benutzte, aber wenn dies eine Art sicherer Hafen des Widerstands war, dann sollte es doch auch der Ort sein, an dem man offen über die anstehenden Pläne sprach. Alles war riskant. Die bloße Tatsache, dass er mit dieser Frau sprach, genügte bereits für die Todesstrafe. Es konnte von da ab an wirklich kaum noch schlimmer kommen.
»Dann habe ich erst einmal eine gute Nachricht für Sie. Sie werden befördert.«
Choi wusste nicht, ob das wirklich eine so gute Nachricht war. Gewiss, er war sozusagen überfällig, selbst wenn man die Beschmutzung seiner Akte durch den Aufenthalt im Umerziehungslager mitberücksichtigte. Aber er hatte sich bereits damit abgefunden und alle großen Ambitionen ad acta gelegt. So gesehen kam diese Information zumindest überraschend.
»Befördert, gut. Und eine neue Dienstposition?«
»Das ist zutreffend. Eine neue Position in der Hauptstadt.«
Das traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er wusste gar nichts darauf zu sagen, starrte die Frau einen Moment ratlos, ja überrumpelt an. Die Hauptstadt. Das war nicht irgendein Ort, irgendein Posten. Es war … die Hauptstadt!
Verdammt!
»Pjöngjang? Ich?«
»In der Tat.«
Das war keine richtig gute Nachricht. Als eine der ältesten Städte dieser Region hatte sich Pjöngjang, nach allem, was man hier durch die Zeitreisenden von der Zukunft erfahren hatte, als Hauptstadt durchgesetzt. Weil sie das auch in ihrer Zeit war und weil … nun, der Geliebte Marschall es eben so befohlen hatte.
Und es war damit kein Ort, den man einfach so besuchte. Da dort die geheiligte Person des Geliebten Marschalls residierte, wurde der Zugang sehr restriktiv gehandhabt. Nur Bürger mit einem Passierschein konnten die Metropole betreten. Den Passierschein bekam man auf unterschiedlichen Wegen, Voraussetzung war aber in jedem einzelnen Fall eine sehr intensive und zeitaufwendige Sicherheitsprüfung. Und jemand, der einmal in einem Lager gesessen hatte … nein, das war im Grunde ganz ausgeschlossen.
»Das kann ich nicht glauben.«
Die Bauersfrau nickte verständnisvoll.
»Jetzt verstehen Sie gewiss, warum wir so viel Zeit benötigt haben. Sie wurde dringend gebraucht, um die Hürden zu überwinden, die Sie sich gerade, nicht unberechtigt, ausmalen.«
»Was soll ich in der Hauptstadt tun?«
»Wir müssen etwas über den Großen Plan erfahren.«
Choi runzelte die Stirn. Er hörte das allererste Mal von diesem Begriff, konnte ihn nicht einordnen. Alles in Baekye war, soweit es vom Marschall kam, irgendwie »groß«, tatsächlich war dieses Adjektiv angesichts der sonst weitaus blumigeren Lobpreisungen und Beschreibungen eher als bescheiden und zurückhaltend zu bewerten.
»Ich habe davon noch nie gehört.«
»Wir auch erst vor Kurzem, und allein für die Preisgabe der bloßen Existenz dieses Vorhabens starben zwei Menschen.« Ye-Eun sagte es mit unbewegter Stimme. »Wir wissen nur, dass es eine Sache ist, die militärische Auswirkungen hat, machtpolitische Konsequenzen, etwas, das die oberste Ebene um den Marschall in große Aufregung, ja Begeisterung versetzt. Gewiss in große Erwartung. Wir müssen es wissen, damit wir einschätzen können, ob es zu verhindern ist. Es wird Zeit, dass wir handeln.«
»Und mich haben Sie dafür auserkoren?«
»Sie und die siebzehn, die wir hier versammelt haben.«
Choi starrte sie an.
»Wie bitte?«
Ye-Eun lächelte, es war nicht das warme Lächeln einer wohlmeinenden Bauersfrau. Es war das Lächeln eines Raubtiers, das sich darüber freute, dass seine Beute die eigene Situation zu erkennen begann. Choi fühlte sich angesichts dieser Mimik ein klein wenig unwohl. Schnell nahm er noch einen Schluck Tee. Der war jetzt kalt und bitter. Das machte ihm alles keine Freude mehr.
»Sie haben sich gewiss gefragt, warum man Sie hier so hat leiden lassen.«
»Die Frage drängte sich mir auf.«
»Sie werden alle an unterschiedlichen Stellen in der Hauptstadt einsickern. Es hat lange gedauert, für alle Passierscheine zu erhalten und damit eine ausreichende Tarnung. Wir durften nichts erfinden, wir mussten auf Gelegenheiten warten. Eigentlich hatten wir mit mehr gerechnet. Ursprünglich bestand die Gruppe aus 25 Leuten.«
»Was geschah mit den restlichen acht?«, wagte Choi die Frage.
»Sie haben es nicht geschafft.«
Choi sah die Frau an,