Florentiner Novellen. Isolde Kurz
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Doch sein Verzicht ließ Herrn Donato keine Ruhe. Er verkaufte ein Landgut, legte die Summe bei einem deutschen Bankhaus nieder und begab sich wieder auf die Fahrt. Unterdessen hatte aber das Manuskript den Besitzer gewechselt, da es pfandweise in ein württembergisches Kloster übergegangen war. Landfremd, der Sprache nur zur Not kundig, und im ärmlichsten Aufzug, um keinem Wegelagerer zur Beute zu fallen, verfolgte der weichliche Humanist unter schweren Mühen und Entbehrungen die Spuren eines Schatzes, die ihn bis tief in den Schwarzwald führten.
Dort stand unter endlosen finstern Tannenwäldern, die dem lichtgewohnten Sohne des Südens wie die Pfade der Unterwelt erschienen, das ehrwürdige Kloster Hirsau – in italienischem Munde Irsava gesprochen. In dieser Abtei war Donato zum letzten Male gesehen worden, denn ein anderer italienischer Manuskriptensammler hatte ihn dort getroffen, als der Unermüdliche eben im Begriffe stand, nach einem Klösterlein des heiligen Blasius im Osten des Landes, nicht gar weit von der alten Staufenfeste, aufzubrechen, wohin ein Hirsauer Bruder den kostbaren Kodex verschleppt haben sollte.
Dies war die letzte Kunde, die von Donato Rucellai nach Florenz drang, und der edle Gelehrte war nie in seine Heimat zurückgekehrt. Nachfragen wurden angestellt, aber sie brachten nur zutage, daß jenes Klösterlein, welches Donatos letztes Reiseziel gewesen, durch eine Feuersbrunst vom Boden verschwunden sei. Es war damals viel Krieg und Fehde in schwäbischen Landen, wobei man es mit Menschenleben nicht sehr genau nahm, und von dem Tiefbetrauerten wurde niemals wieder eine Spur gefunden.
Jahrelang war nun auch der Kodex verschollen, und die Familie der Rucellai hatte vor Ciceros irrem Geist Ruhe. Da kam vor nunmehr sieben Jahren ein reisender Kaufmann nach Florenz und berichtete, im suevischen Lande habe man eine uralte Handschrift aus dem neunten oder zehnten Jahrhundert entdeckt, welche allem Anschein nach der von den Rucellai gesuchte Cicero sei. Ein Kleriker sei sein jetziger Besitzer; derselbe verlange einen so hohen Preis für das einzig vorhandene Manuskript, daß er es im Lande nicht losschlagen könne und daß er deshalb in Italien einen Käufer suche.
Wie der Keim einer Seuche, der jahrelang verschlossen gelegen, plötzlich wieder an die Luft treten und aufs neue eine Ansteckung bewirken kann, so ging es hier. Das Gift der Bibliomanie kroch in Herrn Bernardos Adern und entzündete jetzt in ihm jenes fieberhafte Verlangen nach Ciceros liber jocularis, dem sein unglücklicher Bruder zum Opfer gefallen war. Sein Anverwandter, Marcantonio Rucellai, der damals noch ein unberühmtes Dasein führte, erbot sich, das Buch durch einen tüchtigen Agenten, den er für den Ankauf und das Kopieren alter Manuskripte in den alemannischen Landen geworben hatte, zur Stelle zu schaffen. Doch nach Jahresfrist kehrte der Agent mit dürftiger Ausbeute nach Florenz zurück, denn die Zeit der großen Bücherfunde war vorüber, und die Nachricht jenes Reisenden hatte sich, wie Marcantonio seinem Blutsfreund berichten mußte, einfach als Fopperei erwiesen.
Aber der ciceronianische Kodex umspann den edlen Bernardo bereits mit einem dämonischen Zauber, und auch die ungesühnten Manen seines Bruders, dessen Gebeine vielleicht unbestattet auf fremder Erde lagen, drängten sich wieder klagend vor seinen Geist.
Auf Reuchlin stützten sich nunmehr seine Hoffnungen, aber ach, seit Donatos Verschwinden waren dreißig Jahre verflossen, und der weise Kapnion gehörte einer anderen Generation an als die deutschen Gelehrten, die einst dem edlen Florentiner auf seiner Reise mit Rat und Tat beigestanden hatten. Wie sollte man nach so langer Zeit noch von einem verschollenen fremden Wanderer und von einem längst niedergebrannten Klösterlein, dessen Lage ungewiß und dessen Name kein seltener war, Nachricht erlangen? Bernardo begriff es wohl, aber dennoch konnte seine Phantasie von dem liebgewordenen Gegenstand nicht mehr lassen, und erregt durch die wieder aufgerührten Erinnerungen knüpfte er an die Prahlereien des alemannischen Knechtes alsbald den neuen Hoffnungsfaden an.
Die folgenschwere Mitteilung war ihm gestern erst nach Weggang seines Besuches gemacht worden, und so lag es ihm sehr am Herzen, den neuen Freund so rasch wie möglich ins Vertrauen zu ziehen und für die Förderung seiner Absichten zu gewinnen. Doch Reuchlin war während des Kampfspiels durch seine Dolmetscherpflichten so sehr in Anspruch genommen, daß er für die sehnsüchtigen Blicke Bernardos kein Verständnis hatte, und erst als die Herrschaften sich zum Aufbruch rüsteten, war es dem alten Herrn noch rasch gelungen, sich mit seinem Anliegen an den Geheimschreiber heranzudrängen.
Zu Hause trat er gleich an sein Fenster und starrte mit den brünstigen Augen eines Liebhabers nach den geschlossenen Läden gegenüber. Die niedergehende Sonne setzte den ganzen Himmel in Flammen, und Bernardo Rucellai erblickte eine selige Vision, schön wie der Ruhm und die Unsterblichkeit; die farbendurchglühten Abendwolken zeigten ihm in purpurnen, dunkelvioletten und goldenen Lettern die Schrift: M. T. Ciceronis liber jocularis nunc primum repertus et in lucem editus.
Aus seiner Verzückung schreckte ihn Hufschlag auf dem Pflaster, und das Herz begann ihm zu klopfen wie einem Mägdelein beim Herannahen des Geliebten. Es war aber nicht Junker Veit von Rechberg, der sein Pferd um die Ecke lenkte, sondern der erlauchte Lorenzo selbst, und in der muntersten Laune, wie es schien, denn er winkte schon von weitem herauf mit einem feinen Lächeln, das ein schalkhaftes Geheimnis barg. Die ganze Dienerschaft steckte die Köpfe zusammen, als gleich darauf der alte Herr mit der Miene würdig verhaltener Neugier seinen erhabenen Besucher, der nicht aufhörte zu lächeln, die Treppe herauf nach seinem Studierzimmer führte. Auch Lucrezia sah den Herrscher eintreten, der ihr Pate war, denn sie stand gleichfalls am Fenster und blickte in den brennenden Abendhimmel, aber für sie hatte das magische Farbenspiel eine andere Bedeutung als für ihren Vater: in den Umrissen der segelnden Goldwölkchen meinte sie ein blondes germanisches Haupt zu erkennen. Ahnung sagte ihr, daß etwas Außergewöhnliches im Anzug war, und etwas, das sie selbst betraf. Sie wollte sich zur Ruhe zwingen und zur gewohnten Beschäftigung, aber keine Arbeit glückte, sie war unfähig selbst zu der geringsten Verrichtung und mußte sich, von Zimmer zu Zimmer irrend, dem qualvollen Zustand dieser rastlosen Muße ergeben.
Endlich brach Lorenzo auf, und der Vater geleitete ihn bis vor die Schwelle des Hauses. In sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, schloß sich Bernardo ein und schritt lange gegen seine Gewohnheit aufgeregt hin und her. Nach geraumer Zeit kam er endlich heraus, ging in den Büchersaal, und Lucrezia sah von der halboffenen Türe aus, wie er in der Dämmerung ein in karmesinrotes Leder gebundenes Buch vom Schranke nahm. Er schlug auf gut Glück auf und trat dann an das Fenster, um bei dem schwindenden Tageslicht die Stelle zu entziffern, die sein Finger bezeichnete. Jetzt wußte Lucrezia, daß der Vater eine schwere Entscheidung seinem Virgil anheimgestellt hatte.
Bei Tisch jedoch zeigte Bernardo sein gewöhnliches undurchdringliches Gesicht und die olympische Ruhe, die ihm stets ein so großes Übergewicht über die Umgebung verlieh. Er scherzte mit Lucius, der die Bedienung der Tafel überwachte, und sprach so schön und gewählt wie immer, während seine Tochter keinen Bissen genoß. Endlich nach einer qualvoll langen Stunde wurde unter den üblichen Förmlichkeiten die Tafel aufgehoben, und nachdem der Vater noch langsam und wohlbedacht die zu der Gesundheitspflege nötigen tausend Schritte abgeschritten hatte, ließ er die Tochter in sein Studierzimmer rufen, das die schwebende Ampel jetzt freundlich erleuchtete, während die Fenster und Innenläden gegen Nachtluft und Zanzaren verschlossen waren.
Dort empfing sie die Mitteilung, daß der fremde Graf ihr die Ehre angetan habe, durch Seine Magnifizenz um ihre Hand für jenen jungen Ritter zu werben, der bei den Kampfspielen so große Ehren gewonnen habe.
Lucrezia saß auf einem kleinen Schemel zu Füßen des Vaters und rang nach Atem, während er ruhig fortfuhr, ihr die Vorteile dieser Heirat und die ehrenvolle Stellung, der sie am Hofe der Gräfin Barbara entgegenging, zu erklären.
»Ich will dir nicht verhehlen,