Florentiner Novellen. Isolde Kurz
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Noch ein Monat! Dem Gelehrten schien es, als habe dieser Zeitraum die zehnfache Zahl der Tage, die sonst zu einem Monat gehörten. Nicht daß er gefürchtet hätte, der deutsche Junker werde unterdessen mit dem alten Manuskript zurückkehren und den Preis einfordern, er wußte ja und er allein, daß dies unmöglich war. Aber das Ziel seiner Wünsche rückte abermals in die Ferne, und doch war ihm die Hand der schönen Lucrezia schon versprochen am Tag, wo seine berühmten Facetien das Licht erblickt hatten, und wenn auch die schwarzen Augen des Mädchens kein jugendliches Feuer mehr in seinen Adern entzündeten, so fand er es doch süß, die Hand der schönsten Erbin einzig seinem Ruhme zu danken.
Damals, nach Erscheinen seines Buches, war der gemessene Bernardo wie außer sich zu ihm gestürzt, hatte sich an seine Brust geworfen, ihn den Stolz der Familie und seinen künftigen Eidam genannt.
Ach, diese Facetien! Wäre nur nicht mit dem Ruhm eine so widerliche Erinnerung verknüpft gewesen! Jahrelang hatte Marcantonio sie in den fernsten Winkel seines Gedächtnisses zurückgedrängt und sie am Ende fast vergessen. Seit dem Besuch der Deutschen in Florenz und dem erneuten Forschen nach dem ciceronianischen Kodex war sie plötzlich aus ihrem Winkel hervorgekrochen und blickte ihm jetzt ängstlich ins Gesicht, mit heimlicher Schamröte auf den Wangen.
Er hatte lange gehofft, das unsichtbare Schandmal, das an seinem literarischen Triumph hing, durch nachfolgende Triumphe zu verlöschen. Der Ruhm, dachte er, werde seinem Geiste Nahrung geben und ihn zu einer Reihe großer Schöpfungen befähigen. Diese Hoffnung blieb unerfüllt. Wie die Aloe nur einmal blüht, so hatte Marcantonio in den »Facetiae« seine literarische Kraft erschöpft, so wenigstens sagten seine Freunde.
Es war indes kein Wunder, wenn man diese Fülle glänzender Einfälle und ihre unnachahmliche klassische Form bedachte. Ein Reichtum an Geist, den bisher niemand bei dem ledernen Gelehrten gesucht hatte. Cicero selbst hätte sich dieses Buches nicht zu schämen gebraucht.
Es war eine schwere Wahl gewesen, vor die sich Marcantonio gestellt sah, als vor nunmehr sechs Jahren sein Agent aus Deutschland zurückkehrte und ihm mit den anderen Bücherschätzen auch jenen langgesuchten ciceronianischen Kodex überbrachte, nach welchem Bernardos Sinnen stand.
Sollte er sich mit dem Ruhm des Finders begnügen und noch dazu das Buch seinem Freunde ausliefern? Es war seine redliche Absicht gewesen, aber da begann er zu lesen und blieb gefangen. Er stieß auf so überraschende Sprachwendungen, zugleich einfach, treffend und wohllautend, daß er nicht umhin konnte, die eine und die andere seiner eben begonnen literarischen Arbeit einzuverleiben. Bald riß es ihn weiter, Ciceros Gedanken, Ciceros Worte drängten sich ihm in die Feder, und so entstand jene Perle der neulateinischen Literatur, welche die gelehrte Welt unter dem Titel »M. Antonii Oricellaris Facetiae« bewunderte. Sein Leben lang verzehrt von ohnmächtigem Ehrgeiz, war er endlich unter die Fittiche des Adlers gekrochen und hatte sich von ihm nach dem ersehnten Ziele, einem Stuhl in der platonischen Akademie, tragen lassen.
Bei der Erinnerung an den Ursprung seines Ruhmes warf Marcantonio einen scheuen Blick nach dem Kamin, wo dazumal Ciceros liber jocularis in Rauch und Flammen aufgegangen war. Es ängstigte ihn, als sei ein Brandmal davon zurückgeblieben.
Sonnenlose Schwüle hatte den ganzen Tag über der Landschaft gelastet, daß selbst das Laub der Bäume schlaffer hing und die ganze Natur unter dem Bann des Scirocco siechte. Kaum daß da und dort ein Vogel schüchtern die Stimme erhob und gleich wieder verstummte, wie erschreckt von dem unheimlich brütenden Schweigen.
Bernardo, der trotz seiner Jahre dem Glutstrom mannhaft standhielt, war den ganzen Tag tätig gewesen, um ein paar jungen Landleuten für das morgige Fest einen Schäferchor einzuüben, zu dem er selbst die Verse verfaßt hatte. Als jedoch der Abend dämmerte, ohne der Welt Erlösung zu bringen, da gab auch er sich überwunden und wankte mit schweißtriefender Stirne in sein schwüles Schlafgemach. Seine Tochter hatte sich schon lange zurückgezogen, die Diener schnarchten, im Hause war alles still, nur der Bräutigam machte mit Lucius einen letzten Gang durch die Räume, wo morgen die Hochzeitsgäste bewirtet werden sollten. Nachdem alles besorgt war, schlich Lucius leise vor sich hinmurmelnd in den dämmernden Garten hinunter, der sich in Terrassen gegen die Talsohle zu senkte. Er hatte auf das Beispiel seines Gebieters hin den kühnen Plan gefaßt, für das morgige Fest einen »Triumph der Liebe« zu dichten, den er selbst in der Maske des Götterboten vorzutragen gedachte. Schon seit mehreren Tagen mühte er sich im Schweiße seines Angesichts, aber die Muse setzte ihm einen so hartnäckigen Widerstand entgegen, daß er der Verzweiflung nahe war.
Jetzt verwünschte er den Scirocco, der ihm das Hirn zerrütte, haderte mit dem traubenschweren Rebenspalier, das ihm schwül über dem Kopfe hing, und scharrte mit den Füßen im Sand, als könnte er hier die fehlenden Reime ausgraben, wie eine Henne ihr Futter. Endlich flüchtete er sich auf einen freien Rasenplatz in der Nähe des Parktores, wo in anmutigem, von Wasserrosen überwuchertem Becken ein Springquell plätscherte. Eine dunkle Wolkenbank hatte sich am Rande des Horizonts gesammelt und ließ, langsam heranschiebend, die abendliche Dämmerung noch düsterer erscheinen. Lucius schwang sich kühn auf den Schoß einer steinernen Najade und ließ seine Stirn von dem fallenden Wasserstaub benetzen, indes er fingernd auf dem Rand des Wasserbeckens den Takt schlug. Dabei kam ihm der Hufschlag eines trabenden Pferdes vom Tal herauf wunderbar zur Hilfe, und er brachte nun wirklich eine geistige Geburt zustande, die einige Ähnlichkeit mit dem Anfang eines freien Hymnus besaß.
In seinem Feuer beachtete er nicht, daß der Hufschlag immer näher kam, bis er durch die Gitterstäbe eine Reitergestalt auf dem breiten Lorbeergang erblickte, der außerhalb des Gartentores die Besitzung Marcantonios mit der Landstraße verband.
Sah er ein rächendes Gespenst oder war es wirklich der Junker Veit von Rechberg, der sich jetzt vom Pferde schwang und an das Gartenor pochte?
In heiligem Schreck, als hätte er sich durch seine dichterischen Mühen an dem Bruch der Verlobung mitschuldig gemacht, rannte Lucius in das Haus zurück, laut nach Herrn Bernardo rufend. Dort taumelte er gegen Marcantonio, dem bei der Schreckenskunde einen Augenblick gleichfalls die Knie versagten. Aber schnell besonnen legte der Florentiner dem Rothaarigen die Hand auf den Mund und zog ihn aus dem Bereich der Schlafgemächer.
»Den Mund gehalten, Deutscher!« herrschte er ihn an. »Und kein Geräusch im Hause! Das Fräulein und Herr Bernardo dürfen heute nacht nicht mehr gestört werden. Du kommst mit mir und führst das Pferd ganz stille in den Stall. Und ich will nicht hoffen, daß ein Deutscher an seinem Herrn zum Verräter wird.«
Lucius war so verblüfft von diesem Ton, daß er gar nicht wußte, wie ihm geschah. Nein wahrlich, er haßte ja den Verrat mehr als den Schlund der Hölle und hatte auch nicht die geringste Lust, in dem Kampf, der jetzt notwendig entbrennen mußte, Partei zu nehmen. Er war dem Junker zugetan, aber nur um des Fräuleins willen, nicht weil er ein Deutscher war, denn Lucius fühlte sich ganz als Florentiner. An Marcantonio dagegen war er gewohnt, mit Ehrfurcht emporzublicken, und vor allen Dingen durfte er es mit dem Manne nicht verderben, der im Haus Rucellai Regen und Sonnenschein machte. Er gönnte das Fräulein dem einen und hätte sie doch dem andern nicht gern entrissen gesehen. Aber mochte Herrn Bernardos Weisheit morgen die verschlungenen Fäden entwirren, er hatte kein Amt, als zu schweigen und zu gehorchen. Gedemütigt folgte er Marcantonio, der an das Tor eilte, um den Ankömmling zu begrüßen. Lucius empfing schweigend die Zügel und führte das dampfende Pferd nach dem Stall.
»Ihr kommt spät, Herr Ritter«, begann der Florentiner, »aber Ihr seid nicht minder willkommen.«
»Doch nicht zu spät?« stammelte Veit erschrocken.
»Für