Florentiner Novellen. Isolde Kurz
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»Ich brauche nichts weiter zu sagen, du bist unterrichtet genug, um zu wissen, was auf dem Spiele steht. Der Schatz ist reif, wenn wir ihn nicht heben, so versinkt er vielleicht auf ewig in den Schoß der Erde. Ein Cicero!«
Längst war sein etwas gekünsteltes Sprechen in den Ton wahrer Empfindung übergegangen. Jetzt riß ihm der Faden entzwei, er schlug die Augen zum Himmel und wiederholte mit inniger Andacht: »Liber jocularis! Liber jocularis!« indes zwei Tränen langsam über das ehrwürdige Gesicht niederrannen.
Lucrezia schwieg noch immer. Die Entscheidung war so jählings über sie gekommen, daß sie völlig überwältigt war. Erst nach einer langen Pause sagte sie stockend: »Habt Ihr Eure Zusage gegeben?«
»Er wird sie sich morgen holen. Sie ist an eine Bedingung geknüpft, die du errätst. Er kläre das dunkle Ende deines Oheims auf und bringe mir den Kodex. Am Tage, wo Ciceros liber jocularis unversehrt vor meinen Augen liegt, wird er dein Gatte, es sei ihm geschworen.«
Jetzt erst bemerkte er, daß seine Tochter sich in die Fensternische geflüchtet hatte und heftig schluchzend ihren Kopf an den geschlossenen Laden drückte.
Er trat zu ihr, streichelte ihren schwarzen Scheitel und suchte sie zu trösten, indem er ihr wiederholt erzählte, welch warme Fürsprache der erlauchte Lorenzo für den Junker eingelegt habe, und daß der deutsche Graf ihr ein zweiter Vater sein wolle. Auch legte er kein geringes Gewicht auf die Herkunft des Jünglings, der, wie er der Tochter erzählte, eines Stammes sei mit jenem gewaltigen Schwabengeschlecht, das Italien seine großen Kaiser gegeben habe.
»Soll ich dir noch mehr vertrauen?« fuhr er flüsternd fort. »Du weißt, ich verachte den Aberglauben, aber es gibt ein Orakel, das mich nie getäuscht, das mich immer recht beraten hat. Und siehe, wunderbar! Derselbe Götterspruch, der in Latium an den König Latinus erging, hat heute auch mir geboten, den Fremdling zum Eidam zu nehmen.«
So endigte das Gespräch zwischen Bernardo und seiner Tochter. Diese stand noch lange am offenen Fenster ihres Schlafgemachs und blickte in die duftatmende Frühlingsnacht mit der unermeßlichen Sternenfülle, unter der die ersten Leuchtkäferchen schwirrten. Sie dachte ängstlich an jenes kalte, finstere Barbarenland, wo es weder eine rechte Sonne gab, noch rechte Sterne, geschweige denn die goldenen Leuchtkäferchen, die flatternden irdischen Sterne. Träne um Träne rann, ohne daß sie es beachtete, über ihre Samtwangen. Der junge Fremdling schien ihr jetzt bei weitem nicht mehr so hübsch wie zuvor, sie fand sogar, daß er mit seinem starkgliedrigen, schweren Wuchs und den barbarischen Stößen, denen niemand standhielt, neben den eleganten Florentinern einem Wilden geglichen habe. Auch deuchte es ihr grausam und unbarmherzig, daß der eigene Vater ihre blühende Jugend gegen ein altes Pergament verhandelte, und doch war der Entschluß, sich dem harten Gebot kindlich zu unterwerfen, nicht ohne stille innere Befriedigung. Sie trocknete ergeben ihre Tränen ab und suchte den Schlummer, um nicht am anderen Tag ein übernächtiges Gesicht zu zeigen, denn wieviel sie auch an dem barbarischen Werber mäkeln mochte, er sollte seinerseits an ihrer Erscheinung keinen Tadel finden.
Junker Veit gehörte zu den glücklichen Naturen, denen es der Herr im Schlafe gibt. Mit seinem munteren Sinn, seiner anerkannten Tapferkeit, seiner männlichen Gestalt war er überall eines günstigen Eindrucks gewiß. Nie hatte er sich noch über den Ausgang eines Unternehmens Sorge gemacht, und so fand er es nicht mehr als billig, daß ihm auch jetzt die reife Frucht nur so in den Schoß fiel.
Als Reuchlin ihm die Vermutungen und Wünsche klargemacht, die sich an seine Person knüpften, hatte er es frischweg gewagt, den Grafen, der selbst in einer italienischen Heirat sein Glück gefunden, um Vermittlung anzugehen, und der Graf hatte mit väterlicher Güte durch den erlauchten Lorenzo den überraschenden Antrag gestellt: die junge Lucrezia um den alten Tullius.
Veit zeigte vor dem Grafen so große Zuversicht, daß darüber die Stimme des Zweifels in seinem eigenen Inneren verstummte. Im stillen aber pflog er mit sich selber Rat und zwang sein Gedächtnis zu ungeheurer Anstrengung, um jeden Punkt hervorzusuchen, der zu Bernardos Begehren stimmte. Nur das unaufgeklärte Ende des älteren Rucellai schuf ihm Bedenken, des Manuskriptes glaubte er sicher zu sein. Doch wenn er erst an Ort und Stelle war, wollte er schon den unsichtbaren Faden finden, der sich von dem einen zum anderen spann. Denn daß es im Grunde doch vermessen war, dem Zufall so unerhörte Güte zuzutrauen, das zu denken fiel ihm gar nicht ein.
Über Sankt Blasien konnte er genaue Auskunft geben, denn es war einst ein Schirmkloster seines Vaters gewesen, und ein Zweig der Familie Rechberg hatte dort ehedem die Grablege gehabt. Nicht gar weit von Stauffeneck, dem Witwensitz seiner Mutter, war die Stelle, wo einst das Kloster stand; jetzt waren längst die Trümmer abgetragen, und der Pflug ging über den Ort. Zur Zeit des Städtekrieges nämlich, während sein Vater mit dem Grafen Ulrich von Württemberg vor Eßlingen zog, hatten die raublustigen Gmünder, die es mit den Städtern hielten, auf rechbergischem Grund und Boden viel Schabernack verübt und auch jenes wehrlose Klösterlein überfallen und niedergebrannt. Der Prior von Sankt Blasien, ein alter gebrechlicher Mann, hatte sich nach dem nahen Stauffeneck geflüchtet, wo er aber infolge des Schrecks und der erhaltenen Verletzungen starb. Die Truhe, welche Peter gesehen hatte, mochte also wohl die von dem Prior gerettete Klosterbibliothek enthalten, denn der Junker entsann sich gut, daß er einst als kleiner Junge von einer Magd gehört hatte, im Burgkeller sei der Schatz von Sankt Blasien vergraben, den ein schwarzer Hund mit feurigen Augen hüte.
Noch eine andere Erinnerung aber, weit unheimlicher und schauerlicher als diese, tauchte ihm zugleich aus seiner Kinderzeit auf. Im Örtchen Salach am Fuße von Stauffeneck war außerhalb der Kirchhofmauer ein kleiner Hügel, wohl durch Anhäufung von Scherben und allerlei Unrat entstanden, aber seit langer Zeit mit üppigstem Grün bekleidet, und unter dieser Erhöhung, so flüsterte man im Volke, sei der »schwarze Mann« begraben. Dorfkinder mieden den Ort, obwohl hier immer die ersten Primeln blühten und zur Veilchenzeit ein wunderbarer Duft von der Stelle ausging. Auch Veit hatte es in seinen Knabenjahren, wenn er nach Stauffeneck kam, als keine geringe Leistung betrachtet, in der Dunkelheit allein an dieser Kirchhofecke vorüberzugehen, und er tat es nur mit zugedrückten Augen und beschleunigtem Schritt.
Wer der schwarze Mann war, wußte er nicht, denn nach Kinderart war es ihm nie eingefallen, sich um Dinge zu kümmern, die so weit vor seiner Zeit lagen, nur ging im Dorf die halbverschollene Sage, derselbe sei ein schrecklicher Zauberer und Schatzgräber gewesen. Auch spielten zuweilen die älteren Leute auf irgendeinen schauerlichen Vorfall an, der mit dem »Schwarzen« zusammenhing.
Diesen Nekromanten hatte nun die Phantasie der Schloßkinder mit dem Schatz im Kellergewölbe in Verbindung gebracht, und sie pflegten sich zu erzählen, daß nächtlicherweile der schwarze Mann aus seinem Hügel steige und nach dem Burgverlies schleiche, um dort den Schatz zu heben, der ihm auch im Grab keine Ruhe lasse, daß er aber jedesmal von dem Hund mit den feurigen Augen zurückgetrieben werde. Oder war es doch nicht die eigene Einbildungskraft gewesen, welche jene beiden Gegenstände so eng in seiner Vorstellung verwob? Hatte er vielleicht einmal erzählen hören, dieser Schatzgräber habe nach dem Klostergut von Sankt Blasien gestrebt und sei darüber ums Leben gekommen? Hier wurden seine Erinnerungen so dunkel und ungewiß, daß dem angestrengten Gedächtnis mit aller Mühe