Der letzte Mensch. Mary Shelley

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Der letzte Mensch - Mary Shelley

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an Wahnsinn grenzte. Fünf Monate nach ihrer Ankunft in England beging er Selbstmord.

      »Sie werden mich fragen«, fuhr Evadne fort, »was ich seitdem getan habe, warum ich nicht bei den hier ansässigen reichen Griechen um Hilfe gebeten habe, warum ich nicht in mein Heimatland zurückgekehrt bin? Meine Antwort auf diese Fragen muss Ihnen unbefriedigend erscheinen; doch mich hat sie dazu bewogen, Tag für Tag jedes Elend zu ertragen, statt mit solchen Mitteln Erleichterung zu finden. Soll die Tochter des edlen, wenn auch verschwenderischen Zaimi als eine Bettlerin vor ihren Gleichgestellten oder Untergebenen erscheinen – denn Übergeordnete hatte sie keine? Soll ich meinen Kopf vor ihnen beugen und mit kriecherischer Gebärde meinen Adel für das Leben verkaufen? Hätte ich ein Kind oder irgendeine Verpflichtung, die mich an die Welt bindet, könnte ich zu dieser – wie auch immer gearteten – Welt hinabsteigen. Aber so wie es ist – war die Welt für mich eine böse Stiefmutter; ich würde gern den Aufenthalt beenden, den sie mir zu missgönnen scheint, und im Grabe meinen Stolz, meine Mühsal, meine Verzweiflung vergessen. Die Zeit wird bald kommen, Kummer und Hunger haben bereits an den Grundlagen meines Wesens gezehrt; noch eine sehr kurze Zeit, und ich werde verstorben sein; unbefleckt vom Verbrechen des Selbstmordes oder von der Erinnerung an Erniedrigung wird mein Geist die erbärmliche Hülle beiseitewerfen und eine solche Belohnung finden, wie es Stärke und Ergebung verdienen. Das mag Ihnen als ein Zeichen von Wahnsinn erscheinen, doch auch Sie fühlen Stolz und Entschlossenheit; wundern Sie sich also nicht, dass mein Stolz unbezwinglich ist und meine Entschlossenheit unveränderlich.«

      Nachdem Evadne ihre Geschichte beendet und erklärt hatte, weshalb sie sich aller Bemühungen, Hilfe von ihren Landsleuten zu erhalten, enthielt, hielt sie inne; dennoch schien sie mehr sagen zu wollen, wofür sie keine Worte finden konnte. In der Zwischenzeit war Raymond beredt. Sein Wunsch, seiner lieben Freundin wieder zu ihrem Rang in der Gesellschaft und zu ihrem verlorenen Wohlstand zu verhelfen, belebte ihn, und er ließ eifrig all seinen Wünschen und Absichten zu diesem Gegenstand freien Lauf. Er wurde jedoch unterbrochen. Evadne verlangte ihm das Versprechen ab, dass er vor all ihren Freunden verbergen sollte, dass sie sich in England aufhalte. »Die Verwandten des Grafen von Windsor«, sagte sie hochmütig, »denken zweifellos, dass ich ihn beleidigt habe; vielleicht wäre der Graf selbst der Erste, der mich freisprechen würde, aber wahrscheinlich verdiene ich keinen Freispruch. Ich habe damals gehandelt, wie ich musste, aus dem Impuls heraus. Diese elende Unterkunft mag wenigstens die Uneigennützigkeit meines Betragens beweisen. Gleichwie: Ich möchte mich vor keinem von ihnen bekennen, nicht einmal vor Eurer Lordschaft, hätten Sie mich nicht zuerst entdeckt. Meine Taten werden beweisen, dass ich lieber gestorben bin, als verachtet zu werden – seht die stolze Evadne in ihren Fetzen! Seht die Bettlerprinzessin! Es liegt Viperngift in dem Gedanken – versprechen Sie mir, dass Sie mein Geheimnis wahren werden.«

      Raymond versprach es; aber dann entspann sich eine neue Diskussion. Evadne verlangte ein weiteres Versprechen von seiner Seite, nämlich, dass er weder ohne ihre Zustimmung irgendein Vorhaben zu ihrem Vorteil durchführen noch ihr selbst Erleichterung verschaffen würde. »Erniedrigen Sie mich nicht in meinen eigenen Augen«, sagte sie; »die Armut ist seit Langem meine Amme; unnachgiebig ist sie, aber ehrlich. Wenn Unehre, oder was ich für Unehre halte, mich berührt, bin ich verloren.« Raymond brachte viele Vernunftgründe und glühendes Zureden vor, um ihr Gefühl zu überwinden, doch sie blieb beharrlich; und, durch das Gespräch aufgeregt, legte sie wild und leidenschaftlich ein feierliches Gelübde ab, zu fliehen und sich dort zu verstecken, wo er sie nie entdecken konnte, wo Hungersnot bald den Tod bringen würde, um ihre Leiden zu beenden, wenn er auf seinen abscheulichen Angeboten beharrte. Sie könne sich selbst erhalten, sagte sie. Und dann zeigte sie ihm, wie sie mit verschiedenen Entwürfen und Gemälden einen Hungerlohn für ihren Unterhalt verdiente. Raymond gab für den Moment nach. Er war sich gewiss, dass, nachdem er für eine Weile ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit Genüge getan hätte, am Ende Freundschaft und Vernunft siegen würden.

      Doch die Gefühle, die Evadne antrieben, wurzelten in der Tiefe ihres Wesens und hatten einen solchen Wuchs, dass er sie keinesfalls verstehen konnte. Evadne liebte Raymond. Er war der Held ihrer Phantasie, das Bild, das die Liebe in das unveränderliche Gewebe ihres Herzens eingeprägt hatte. Vor sieben Jahren, in ihrer jugendlichen Blüte, hatte sie sich an ihn gebunden; er hatte ihrem Land gegen die Türken gedient; er hatte in ihrem eigenen Land jenen militärischen Ruhm erworben, der den Griechen besonders teuer war, da sie noch immer verpflichtet waren, Stück um Stück um ihre Sicherheit zu kämpfen. Doch als er von dort zurückkehrte und erstmals im öffentlichen Leben in England auftrat, errang ihre Liebe nicht die seine, die damals zwischen Perdita und einer Krone schwankte. Während er noch unentschlossen gewesen war, hatte sie England verlassen; die Nachricht von seiner Heirat erreichte sie, und ihre Hoffnungen, schlecht genährte Blüten, verwelkten und fielen. Die Herrlichkeit des Lebens war für sie vergangen; der rosenrote Glorienschein der Liebe, der jeden Gegenstand mit seiner eigenen Farbe durchtränkt hatte, verblasste; – sie gab sich damit zufrieden, das Leben so zu nehmen, wie es war, und das Beste aus der bleifarbenen Wirklichkeit zu machen. Sie heiratete; und indem sie ihr ruheloses Wesen mit sich auf neue Schauplätze trug, wandte sie ihre Gedanken dem Ehrgeiz zu und zielte auf den Titel und die Macht einer Prinzessin der Walachei, während ihre patriotischen Gefühle durch den Gedanken an das Gute besänftigt wurden, das sie für ihr Land tun konnte, wenn ihr Ehemann der Anführer jenes Fürstentums sein sollte. Sie strebte danach, ihren Ehrgeiz, eine ebenso unwirkliche Täuschung wie die Liebe, zu befriedigen. Ihre Intrigen mit Russland zur Förderung ihres Vorhabens erregten die Missgunst der Türken und die Feindseligkeit der griechischen Regierung. Sie wurde von beiden als Verräterin betrachtet, der Ruin ihres Mannes folgte; sie vermieden den Tod durch eine rechtzeitige Flucht, und sie fiel von der Höhe ihrer Wünsche herab in die völlige Verarmung in England. Vieles von dieser Geschichte verbarg sie vor Raymond; sie gestand auch nicht, dass ihr Ablehnung und Verleugnung vonseiten der Griechen gedroht hätten, sofern sie deren Hilfe erbeten hätte als eine des schlimmsten Verbrechens Schuldige, die mit der Sense des ausländischen Despotismus die neu erblühenden Freiheiten ihres Landes abschneiden wollte.

      Sie wusste, dass sie die Ursache für den völligen Untergang ihres Mannes war; und sie war bereit, die Konsequenzen zu tragen. Die Vorwürfe, welche die Pein ihr wegen der unheilbaren, klaglosen Niedergedrücktheit abnötigte, als sein Geist in einer Erstarrung versunken war, waren nicht weniger qualvoll, weil Letztere still und regungslos vonstattenging. Sie warf sich selbst das Verbrechen seines Todes vor; Schuld und Sühne schienen sie zu umgeben. Vergeblich bemühte sie sich, ihre Schuldgefühle durch die Erinnerung an ihre wahre Redlichkeit zu zerstreuen: der Rest der Welt, wie sie selbst ebenfalls, verurteilte sie und verlangte Vergeltung für ihre Taten. Sie betete für die Seele ihres Mannes; sie beschwor den Allerhöchsten, das Verbrechen seines Selbstmordes ihr anzulasten – sie gelobte zu leben, um seine Schuld zu sühnen.

      Inmitten eines solchen Elends, das sie bald hätte vernichten müssen, spendete ihr nur ein Gedanke Trost. Sie lebte im selben Land und atmete die gleiche Luft wie Raymond. Sein Name als Schutzherr lag auf jeder Zunge; seine Leistungen, Projekte und Großartigkeit, fanden in jede Erzählung Eingang. Nichts ist dem Herzen einer Frau so kostbar wie die Herrlichkeit und Vortrefflichkeit desjenigen, den sie liebt; so genoss Evadne in jedem Schrecken zumindest seinen Ruhm und Wohlstand. Während ihr Mann lebte, wurde dieses Gefühl von ihr als Verbrechen angesehen, unterdrückt, bereut. Als er starb, nahm die Flut der Liebe ihren uralten Strom wieder auf, sie überflutete ihre Seele mit ihren stürmischen Wellen, und sie gab sich ihrer unkontrollierbaren Macht hin.

      Aber niemals, o, niemals, sollte er sie in ihrem erniedrigten Zustand sehen. Nie sollte er sie als Gefallene sehen, wie sie von der Blüte ihrer Schönheit zu einer armseligen Bewohnerin einer Dachkammer wurde, mit einem Namen, der schändlich geworden war, und mit einer auf ihrer Seele lastenden Schuld. Aber wenngleich sie wie unsichtbar vor ihm verborgen war, erlaubte sein öffentliches Amt ihr, von allen seinen Handlungen, seinem täglichen Lebensablauf, sogar seinem Gespräch zu erfahren. Sie erlaubte sich einen Luxus, sie las jeden Tag die Zeitungen und genoss das Lob und die Taten des Protektors. Nicht, dass dieser Genuss keine Trauer mit sich gebracht hätte. Perditas Name war für immer mit dem seinen verbunden; ihre eheliche Glückseligkeit wurde sogar durch das authentische

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