Der letzte Mensch. Mary Shelley
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der letzte Mensch - Mary Shelley страница 29
So sprach sie, in seine Umarmung eingehüllt, und warf den Kopf zurück, um in seinen Augen eine Zustimmung zu ihren Worten zu suchen – sie funkelten vor unaussprechlicher Freude. »Ach, meine kleine Beschützerin«, sagte er neckend, »was redest du da? Und welchen hübschen Entwurf aus Verbannung und Dunkelheit hast du gesponnen, während es doch ein leuchtenderes Gewebe ist, ein golddurchwirktes Gewebe, worüber du in Wahrheit nachdenken solltest?«
Er küsste sie auf die Stirn – doch das eigensinnige Mädchen, seinen Triumph halb bedauernd, aufgeregt vom schnellen Gedankenwechsel, barg ihr Gesicht an seiner Brust und weinte. Er tröstete sie und flößte ihr seine eigenen Hoffnungen und Wünsche ein; und bald strahlte ihr Antlitz voller Zuneigung. Wie glücklich waren sie in jener Nacht! Wie barsten sie beinahe vor Freude!
Kapitel 7
Nachdem wir uns überzeugt hatten, dass unser Freund in seinem neuen Amt richtig eingesetzt war, richteten wir unseren Blick gen Windsor. Die Nähe dieses Ortes zu London war so groß, dass sich keine schmerzhafte Trennung ergab, als wir Raymond und Perdita verließen. Wir verabschiedeten uns von ihnen im Protektoratspalast. Es war schön zu sehen, wie meine Schwester sozusagen in den Geist des Bühnenstücks eintrat und sich bemühte, ihre Rolle mit geziemender Würde zu erfüllen. Ihr innerer Stolz und ihr demütiges Betragen stritten nun mehr denn je miteinander. Ihre Schüchternheit war nicht künstlich, sondern entsprang der Angst, nicht richtig gewürdigt zu werden, jenem gewissen Eindruck der Vernachlässigung durch die Gesellschaft, der auch Raymond auszeichnete. Andererseits jedoch dachte Perdita mehr an andere als er; und ein Teil ihrer Schüchternheit entstand aus dem Wunsch, denen um sie herum ein Gefühl der Minderwertigkeit zu nehmen; eine Empfindung, die ihr selbst nie in den Sinn kam. Angesichts der Umstände ihrer Geburt und Erziehung wäre Idris besser für die zeremoniellen Handlungen geeignet gewesen; aber die Leichtigkeit, mit denen sie solche ihr gewohnten Handlungen begleitete, machten sie ihr langweilig; während Perdita trotz aller Fallstricke offensichtlich ihre Stellung genoss. Sie war zu erfüllt von neuen Gedanken, um viel Kummer zu empfinden, als wir fortgingen; sie nahm einen herzlichen Abschied von uns und versprach, uns bald zu besuchen, aber sie bedauerte nicht die Umstände, die unsere Trennung verursacht hatten. Die Begeisterung Raymonds war unbegrenzt. Er wusste nicht, was er mit seiner neu errungenen Macht anfangen sollte; sein Kopf war voller Pläne; er hatte sich noch für keine entschieden – aber er versprach sich selbst, seinen Freunden und der Welt, dass die Ära seiner Schutzherrschaft durch einen Akt der überragenden Herrlichkeit eingeläutet werden sollte.
So sprachen wir von ihnen und gaben uns moralischen Betrachtungen hin, als wir in verminderter Zahl nach Schloss Windsor zurückkehrten. Wir waren sehr erleichtert über unsere Flucht vor der unruhigen Welt der Politik und genossen unsere Einsamkeit mit gesteigerter Lebensfreude. Wir hatten keinen Mangel an Beschäftigung; doch mein Tatendrang galt jetzt ausschließlich dem Feld der geistigen Kultivierung; und ich stellte fest, dass anspruchsvolle Studien eine ausgezeichnete Medizin waren, um ein fiebriges Gemüt zu beruhigen, das durch Trägheit zweifellos gelitten hätte. Perdita hatte uns erlaubt, Clara mit uns zurück nach Windsor zu nehmen; und sie und meine beiden lieben Kleinen waren immerwährende Quellen der Beschäftigung und Freude.
Der einzige Umstand, der unseren Frieden störte, war die Gesundheit Adrians. Sie verschlechterte sich zunehmend, ohne irgendein Symptom, das uns dazu bringen konnte, seine Krankheit zu bestimmen, außer, dass seine glänzenden Augen, sein bleiches Aussehen und seine von hektischer Röte überzogenen Wangen uns die Schwindsucht fürchten ließen; aber er verspürte weder Schmerzen noch Furcht. Er widmete sich mit Eifer der Lektüre von Büchern und ruhte sich vom Studium in der Gesellschaft aus, die er am meisten liebte, der seiner Schwester und mir. Zuweilen fuhr er nach London, um Raymond zu besuchen und den Fortgang der Ereignisse zu beobachten. Clara begleitete ihn oft auf diesen Reisen; zum Teil, damit sie ihre Eltern sehen könnte, zum Teil, weil Adrian sich über das Plappern und das intelligente Aussehen dieses reizenden Kindes freute.
Inzwischen ging es in London gut voran. Die Neuwahlen waren beendet; das Parlament tagte, und Raymond war in tausend wohltätige Programme eingebunden. Kanäle, Aquädukte, Brücken, stattliche Gebäude und verschiedene Bauwerke für die öffentliche Versorgung wurden im Zuge dessen entworfen; er war ständig von Projektleitern und Projekten umgeben, die England zu einem Schauplatz der Fruchtbarkeit und Großartigkeit machen sollten; der Zustand der Armut sollte abgeschafft werden; Menschen sollten von Ort zu Ort befördert werden, fast mit derselben Leichtigkeit wie die Prinzen Houssain, Ali und Achmed in Tausendundeiner Nacht. Der physische Zustand des Menschen würde bald nicht mehr hinter der Schönheit der Engel zurückstehen; Krankheit sollte verbannt; die Arbeit ihrer schwersten Last entledigt werden. Das erschien auch gar nicht überspannt. Die Lebenskünste und die Entdeckungen der Wissenschaft hatten in einem Verhältnis zugenommen, das alle Hochrechnungen übertraf; inzwischen entstand Nahrung sozusagen spontan – es existierten Maschinen, die jeden Bedarf der Bevölkerung mit Leichtigkeit versorgten. Das Böse hatte freilich überlebt; und die Menschen waren nicht glücklich, nicht weil sie es nicht konnten, sondern weil sie sich nicht dazu aufraffen wollten, selbstauferlegte Hindernisse zu überwinden. Raymond sollte sie mit seinem wohltuenden Willen dazu ermuntern, damit der Mechanismus der Gesellschaft, einmal nach tadellosen Regeln angelegt, niemals wieder in Unordnung geraten würde. Mit diesen Hoffnungen gab er seinen langgehegten Ehrgeiz auf, in den Annalen der Nationen als ruhmreicher Krieger eingetragen zu werden; er legte sein Schwert beiseite, und fortan wurden Frieden und dessen ewige Wohltaten seine Ziele – der Titel, den er begehrte, war der des Wohltäters seines Landes.
Unter anderen Kunstwerken, mit denen er beschäftigt war, hatte er den Bau einer Nationalgalerie für Statuen und Bilder geplant. Er besaß selbst viele davon, die er der Republik zu präsentieren beabsichtigte; und da das Gebäude die große Zierde seines Protektorats sein sollte, war er sehr anspruchsvoll in seiner Wahl des Plans, auf dessen Grundlage es gebaut werden sollte. Hunderte Entwürfe wurden zu ihm gebracht und zurückgewiesen. Er schickte sogar nach Italien und Griechenland um Zeichnungen; aber da der Entwurf Originalität sowie vollkommene Schönheit aufweisen sollte, waren seine Bemühungen für einige Zeit nicht von Erfolg gekrönt. Schließlich erreichte ihn eine Zeichnung, mit einer Adresse, wohin Mitteilungen gesendet werden könnten, und ohne Angabe des Künstlernamens. Die Bauweise war neu und elegant, doch der Entwurf war fehlerhaft; so fehlerhaft, dass er, wenngleich gekonnt und mit geschmackvollem Blick gezeichnet, die Arbeit von jemandem zu sein schien, der kein Architekt war. Raymond betrachtete die Zeichnung mit Entzücken; je länger er schaute, desto mehr gefiel sie ihm; und doch vervielfachten sich die Fehler bei genauerer Betrachtung. Er schrieb an die angegebene Adresse und erbat sich, den Zeichner zu sehen, damit während einer Beratung vorgeschlagene Änderungen am Entwurf vorgenommen werden könnten.
Ein Grieche erschien. Ein Mann mittleren Alters, mit gebildeten Manieren, aber von so gewöhnlichem Aussehen, dass Raymond kaum glauben konnte, dass er der Zeichner war. Er gab zu, dass er kein Architekt war; aber ihm sei die Idee zu dem Gebäude plötzlich gekommen, obwohl er es ohne die geringste Hoffnung auf seine Annahme gesandt hatte. Er war ein Mann von wenigen Worten. Raymond befragte ihn; doch er nahm nach den zurückhaltenden Antworten des Mannes bald von weiteren Fragen Abstand und kam auf die Zeichnung zu sprechen. Er wies auf die Fehler und die Änderungen hin, die er wünschte; er bot dem Griechen einen Bleistift an, damit er die Skizze auf der Stelle korrigieren könne; dies wurde von seinem Besucher abgelehnt, der sagte, dass er alles genau verstanden habe und zu Hause daran arbeiten würde. Schließlich gestattete Raymond ihm zu gehen.
Am nächsten Tag kam er zurück. Der Entwurf war neu gezeichnet worden; aber viele Fehler blieben noch bestehen, und einige der gegebenen Anweisungen waren missverstanden worden. »Komm«, sagte Raymond, »ich habe gestern dir nachgegeben, nun erfülle meine Bitte – nimm den Stift.«
Der Grieche