Der veruntreute Himmel. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Der veruntreute Himmel - Franz Werfel страница 16
Und schon saß sie wieder hin und erhob ihre klare Jungmädchen-Stimme, um die dritte Strophe von »Verlassen, verlassen, verlassen bin i« mit derselben arbeitsamen Versunkenheit wie die früheren abzusingen. Ich mußte an ihren Lebensplan denken und begann nun ihr Wesen auch aus diesem konsequenten Gesange zu verstehen. Burschl erwies sich diesmal als großmütiger Nebenbuhler. Er gab der kritischen Versammlung die Ehre und störte nur durch zweimalig kurzes Duettieren das Solo seiner Meisterin.
Nachher trat der Hausherr zu Teta auf die Terrasse und überreichte ihr ein volles Glas mit den Worten:
»Ich dank Ihnen vielmals, Fräul’n Teta . . . Es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie zum Gelingen unseres Festes so viel beigetragen haben . . . Ich trink auf Ihr Wohl . . .«
»Aber so was«, sagte Teta, »die gnä’ Herrschaft«, und nippte an der Bowle. Philipp reichte ihr den Arm und führte sie die Stufen der Terrasse hinab unter die Gesellschaft. Sie wurde von allen angesprochen und belobt. Inzwischen – Mitternacht war lang vorüber – begannen die jungen Leute zu tanzen. Man zog Teta an einen der kleinen Tische, die im Park aufgestellt waren. Dort saß sie unter uns, trank Kümmel mit kleinen aber aufmerksamen Schlucken und knabberte an der Bäckerei, die ihr Livia servierte. Sie sprach wenig und nur dann, wenn sie gefragt wurde. Ich versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen:
»Wars nicht lustig, heut abend, unser Fest, Fräul’n Teta? . . .« »Sehr lustig und sehr unterhaltlich«, sagte sie.
»Und Glück haben wir gehabt mit dem Wetter . . . Diese schöne Nacht!«
Sie begann ihr bewunderndes Kopfschütteln und holte den Refrain aus der Tiefe:
»Eine Pracht ist das wirklich, diese Nacht . . .«
Sie trug ein altmodisches schwarzes Magdgewand – vermutlich ein Weihnachtsgeschenk Livias – und auf dem Kopf die weiße Krause, Abzeichen des dienenden Standes, das sie auch heute abend nicht abgelegt hatte; zur Empörung Herrn Bichlers, der in einem braunen Samtrock und mit weißen Seglerschuhen sich produziert hatte. Aufrecht saß sie da, die Hände im Schoß gefaltet, ließ ihre hellen Augen aufmerksam wie eine Schwerhörige im Kreise wandern und lauschte den geistreichen Spaßreden des witzigen Kopfes, als sei es nie zu spät, von Klugen, Gebildeten und Hochgestellten etwas zu lernen. Aus solchem Munde bereicherten auch Worte, die man nicht verstand. Ich aber wußte, daß dieser witzige Kopf ein armes, willenloses Irrlicht war gegenüber der Dienerin, die ihr Leben vorsorglich nach Zeitmaßen baute, zu denen ein auf schnelle Wirkung bedachter Verstand sich gar nicht aufzuschwingen vermag. Jetzt begriff ich auch Livias Klage über die »ewige fremde Person, die man da im Hause hat«. Teta hatte wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit mit jenen altgewordenen Hausgeistern, die sich in gutgearteten Familien auflösen wie eine Ingredienz, die ihr ganzes Selbst verlieren, um dafür in einer verlorenen Ecke der Erinnerung eine freundlich bescheidene Grabstätte zu gewinnen. Teta hatte ihr Selbst bewahrt wie ihre Kammer, deren Schlüssel sie niemals steckenließ. Ihre Teilnahme war bedingt und widerrufbar. Vor zwanzig Jahren war sie gekommen. Morgen würde sie wieder gehen, ohne ihr Herz und ihres Lebens Heim eingebüßt zu haben. An den Argans konnte die Schuld für diese stets spürbare Kühle nicht liegen. Hier saß ein lebendiges Beispiel für die große Kunst, das Zeitliche, das Vorübergehende nicht ganz voll zu nehmen, jedenfalls in ihm nicht rettungslos zu versinken. Man mußte zwar innerhalb des Vorübergehenden seine Pflicht erfüllen, da es mit dem Bleibenden in einem unlöslichen Zusammenhange stand. War es aber einmal vorüber, so wars vorüber und nur man selbst blieb. In dem einzigen Fall von Mutter und Kind mochte das Vorübergehende mit dem Bleibenden sich nahezu berühren. Teta aber war Jungfrau glücklicherweise, und der Neffe war nicht ihr Kind, sondern nur ihr Beauftragter.
Ihre Pflicht jedoch erfüllte sie auch jetzt, indem sie immer wieder zur Herrin hinblickte, ob sie dieser nicht mit irgendeiner Handreichung zu Diensten sein könne. Sie bewies ein erstaunliches Feingefühl, indem sie nur eine gemessene Weile in unserem Kreise absaß, sich dann bescheiden erhob und an Livia wandte:
»Ich werd bittlich sein, nicht weiter stören zu dürfen . . . Muß jetzt mit gnädiger Erlaubnis die heißen Würstl herrichten, die Sandwiches und das Bier . . .«
Man dankte ihr noch einmal und ließ sie gerne ziehen. Denn wir alle sehnten uns nach einem guten frischen Trunk.
Ich hatte drei Gläser Bier heruntergestürzt und nachher zwei Gläschen Himbeergeist. So leicht und glücklich fühlte ich mich, daß ich das Bedürfnis empfand, eine Weile allein mit mir zu sein, um meine Glücklichkeit bewußt auszukosten. Ich ging in mein Zimmer, machte kein Licht, stieß das Fenster auf und lehnte mich weit hinaus, nur nächtlich atmend und seiend. Der Mond war untergegangen. Das Tote Gebirge mit dem Großen Priel stand als eine fahle Ahnung im Westen. Hingegen wölbte sich die dichtgewobene Milchstraße des August, dieser Brautschleier des Universums, lächerlich klar und nah vor meinen Blicken.
Servus Milchstraße! Ich teile dir mit, daß es mir außerordentlich gut geht, denn ich weiß, du interessierst dich zweifellos für mein Wohlergehen. Ich weiß auch, daß dich nur billionenstellige Zahlen ausdrücken, und ich bin eine angeheiterte Ameise, um nicht zu sagen Laus. Aber was soll das heißen, groß und klein? Das sind sinnlose Verhältnismaße. Ich muß doch größer sein als du, da deine Billionen Lichtjahre Platz finden in meinem Ameisenblick. Damit wir nicht in Streit geraten über unsere Bedeutung, schlage ich dir eine versöhnliche Formel vor: du bist in mir aufgehoben und ich bin in dir aufgehoben . . . Ich bin übrigens sehr gut aufgehoben. Die Argans sind meine Freunde. Sie nehmen mich wie ich bin. Sie verstimmen mich Verstimmbaren beinahe nie. Und dieses Zimmer gehört mir. Es ist mein liebes Zimmer, und niemand darf es mir wegnehmen. Hier arbeit ich so gut. Und meiner neuen Arbeit hab ich unbedingt Unrecht getan. Livia findet sie sehr aussichtsreich und mein Verleger schreibt mir, daß er das Manuskript nicht ohne Ungeduld erwarte. Ich muß wirklich verrückt gewesen sein, an diesem glänzenden Stoff zu zweifeln. Morgen setz ich mich wieder hin. Wir gehn vor Mitte Oktober keinesfalls in die Stadt zurück. Im Oktober ist es am schönsten in Grafenegg. Diese brennende Farbigkeit des Alpenherbstes! Das sind noch sechzig Tage mindestens. Sechzigmal Morgen, Vormittag, Nachmittag, Abend, Nacht. Mir gehts wirklich gut. Schließlich steht man mit Fünfundvierzig als Künstler noch am Anfang. Tolstoj ist ein Beispiel dafür, und Goethe natürlich. Die Gegenbeispiele sind allerdings noch zahlreicher, aber man muß das Leben und das Werk eines Menschen als Ganzes betrachten; das relative Alter hängt von der Gesamtzahl der Jahre ab. Auch wenn ich vorsichtig rechne und annehme, daß ich nur fünfundsechzig alt werde – warum soll ich nicht fünfundsechzig alt werden? –, bleiben mir noch zwanzig gute Volljahre. Zwanzig Sommer in Grafenegg. Ich werde künftig schon im April herkommen, damit gewinne ich zwanzig weitere Arbeitsmonate meines Lebens, das sind fast zwei ganze Jahre über die Fünfundsechzig hinaus. Vielleicht aber werde ich dreiundachtzig alt, nicht ganz angenehm für einen Junggesellen, aber Philipp und Doris werden mich gewiß nicht verlassen. Philipp und Doris. Komisch, ich hoffe somit als Schmarotzer an der Kindesliebe einer fremden Nachkommenschaft zu enden . . .
Ununterbrochen drang die Tanzmusik eines überlauten Grammophons aus dem Garten zu mir herauf. Dazwischen war Philipps helle lachende Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien, immer wieder zu hören. Er stand gleichsam auf der Kommandobrücke dieser Festnacht. Ich ging auf und ab in meinem lieben dunklen Zimmer. Ich berührte im Vorbeistreifen meine Bücherrücken. Ich sog mich voll an meinen eigenen alternden Geistern, die neben mir auf und ab durchs Zimmer wanderten. Noch einmal stellte ich fest: es geht mir gut. Zugleich aber erschrak ich ein bißchen über diese so oft wiederholte Feststellung. Die wahre Gesundheit weiß nichts von sich selbst. Dann stieg ich wieder in den Park hinab.
Die Dienerschaft war schlafen gegangen. Der größere Teil der Gäste hatte sich schon zurückgezogen. Gott weiß wie spät es sein mochte. Die Freunde und Freundinnen der Kinder hielten noch stand. Der Tanz auf der Terrasse ging weiter. Nur die Stimme des Grammophons schien