Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel

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die Teta das erstemal mit diesen erstaunlichen Briefen zu mir kam, wars meiner Ansicht nach schon zu spät für dein ›beizeiten‹. Sie hatte in diesen Neffen seit seinem zehnten Jahr nicht nur ihre Ersparnisse investiert, sondern bereits ihr ganzes Lebenskapital, das seelische, mein ich. Und dann, ich selbst hab eine Menge Zeit gebraucht, um meiner Sache sicher zu sein. Und auch heut noch bin ich in manchem Punkt nicht ganz sicher. Hat der Neffe seine Studien beendet? Ist er Geistlicher oder nicht? Stellt die Photographie über Tetas Bett ihn dar oder einen andern? Bist vielleicht du dir über diese Punkte ganz im klaren, lieber Theo? Also, was hätt ich tun sollen, deiner Ansicht nach? Die Angelegenheit einem Detektiv übergeben vielleicht? Tetas weitere Ersparnisse vor dem Neffen retten, damit sie diese an einen Staatskrach oder an eine neue Inflation verliert? Der Wahrheit zum Siege verhelfen, wie es in der männlichen Moral so prunkvoll heißt? Die sogenannte Lebenslüge meiner Köchin zerstören? Je älter ich werd, Theo, um so fanatischer bekenn ich mich zu diesen Lebenslügen. Ein ganz und gar falsches Wort. Es sollte heißen Lebensglauben, oder notwendige Illusion, oder was weiß ich . . . Ihr habt uns leider unsern Lebensglauben zerstört, ihr alle, mit eurer Wahrheit, die auch nur eine Lüge und eine Illusion ist, und eine schlechtere noch dazu . . . Die Teta ist bald siebzig. Sie wird also nicht mehr lange in Gefahr sein, aufgeklärt zu werden und die Wahrheit zu erfahren. So weit’s an mir liegt, will ich alles tun, daß sie von ihr verschont bleibt. Ich vertrau dabei auf Gott und auf den sauberen Herrn Neffen, der sich nie materialisieren wird, wie ich hoffe und wie ich ihn kenne. Mag er ruhig einmal das Tantchen beerben, zum Dank für sein geniales Lügengewebe, das Tetas Lebensplan schon drei Jahrzehnte aufrechterhält. Besser, er bekommt das Geld, als eine der widerlichen Schwestern, die auf den Nachlaß schon lauern . . .« Ich stand auf und küßte die Hand meiner Freundin:

      »Verzeih, Livia, ich war ein Esel . . . Du konntest gar nicht anders handeln. Auch mit der Wahrheit und dem Lebensglauben hast du hundertmal recht . . . Unsereins ist gewiß schuld an vielem, ich meine wir modernen Autoren. Wir bersten vor befriedigter Eitelkeit, wenn wir irgendeine Erscheinung oder Handlung auf ihre mikroskopischen Elemente zurückgeführt und in ihre Winzigkeiten zerlegt haben. Unser bewährter Realismus besteht darin, dem Wunder der Wirklichkeit unablässig zu beweisen, daß es keines ist. Die Vorzugsschüler dieses Geistes sind die Herren Bichler und Konsorten, und das geht nun schon seit undenklichen Zeiten so. Die gerechte Strafe aber erfolgt in der Politik . . . Weißt du, was das Große an dieser Teta ist? Sie hat nicht nur den Glauben, sondern auch den unbeugsamen Willen zu ihrer Unsterblichkeit und Seligwerdung.«

      Die Sonne war verschwunden. Ein schwüles Graublau lastete auf der Terrasse. Allerlei geflügeltes Unwesen schoß mit Propellerton hin und her, Hummeln, Wespen und große metallglänzende Fliegen. Übers Tischtuch zog in zielstrebiger Marschordnung eine Heerschar rötlicher Ameisen.

      »Weiß Gott«, sprach Livia mit tiefer Stimme, »der Gedanke an den Tod, das ist es, das füllt uns aus, dich und mich und Teta, dieser unaufhörliche Gedanke aller Gedanken, den wir nicht eingestehen wollen aus Scham. Schau dir diese Ameisen hier an, Theo, wo ist der Unterschied zwischen uns und ihnen? Wenn man denen ihren Weg links verstellt, laufen sie nach rechts. Da hast du die ganze menschliche Politik. Wodurch also zeichnet sich unser Ich vor dem ihren aus? Und woher beziehen wir den Anspruch auf unsre ganz große Extrawurst? Eine tote Ameise verschwindet nicht anders aus dem Leben als ein Mensch, nur appetitlicher. Wenn für uns ein Jenseits bereitsteht, dann müssen auch die Ameisen das ihrige haben, ich möcht schon bitten, einen aromatischen Ameisenhaufen aus geistigen Fichtennadeln im Himmelsblau . . . Ach, Theo, wenn ich manchmal in der Nacht an meine lieben frischen Kinder denk und mir vorstellen muß, daß auch sie einmal auf diese gräßlichen Fleischbänke der Natur geworfen werden, dann fällt es mir wahrhaftig schwer, an Gott zu glauben . . .«

      »Gott«, sagte ich, »ist genau der Raum in uns, den der Tod freiläßt.«

      Livia aber sah unzufrieden und traurig drein.

      »Möglich«, meinte sie. »Und vielleicht verwandelt Teta den ganzen Tod in ihrem Inneren zu Gott . . . Aber wir anderen, ich denk nur an mich selbst, ich bin, wie man so sagt, eine leidlich gute Katholikin, und doch, wenn ich in die Kirche geh, dann kommts mir vor, als erweise ich nicht mir selbst eine Wohltat, sondern dem lieben Gott. Das ist, wie wenn man einen armen alten kranken Verwandten besucht . . . Wahrscheinlich schämt man sich dabei vor der reichen Verwandtschaft, der wissenschaftlichen Aufgeklärtheit in uns . . .«

      Die Wolkendecke hatte sich ganz geschlossen. Die Schwalben blitzten erregt durcheinander. Ich dachte nach, auf welche Weise ich Livia das folgende ohne Fälschung eingestehen könne:

      »Ich selbst«, erklärte ich nach einer Weile, »hab in manchen sehr seltenen aber guten Stunden eine starke Disposition zum Glauben . . . Zum Glauben im strengen Sinne sogar . . .«

      »Disposition«, lachte die ehemalige Sängerin ziemlich spöttisch, »mit dieser Disposition ist es so wie mit dem Singen. Stimme hat bald einer. Die wird ihm vom Himmel geschenkt. Aber was fängst du mit deiner Stimme an, wenn du nicht singen lernst und übst und schuftest, ohne einen Tag auszulassen? Auch die Glaubenskunst muß man gewiß lernen und üben und üben und lernen wie die Gesangskunst, mein ich . . .«

      Ein Windstoß fegte über den Tisch. Doris und Philipp kamen vom Tennisspiel heim. Die Kinder umarmten und küßten nicht nur ihre Mutter, sondern auch mich nach alter Gewohnheit. Ich empfand eine väterliche Freude an ihrer wohlgeratenen Schönheit und Jugend. Niemals war diese Empfindung stärker in mir gewesen als jetzt, da mir Livias Worte von den Fleischbänken der Natur noch in den Ohren klangen. Zugleich aber wurde es mir klarer als je, wie sehr das Heranwachsen junger Menschen eine Entfremdung und ein fast feindseliges Fernwerden bedeutet. Livia sprang auf. Es war spät geworden. Wir erwarteten eine Menge Gäste. Leopold war nach Liezen, zur Schnellzugstation gefahren, um sie abzuholen. Der festliche Siebzehnte nahte heran. Die Frauen gingen eilig ins Haus, um die Fremdenzimmer zu rüsten. Philipp und ich begannen eine Schachpartie. Es donnerte schon. Die Geschichten von Teta und ihrem Neffen versanken in meinem Bewußtsein wie vieles andere vom Tage Zugetragene, das nie wieder aufersteht.

      Drittes Kapitel

      OHNE VORZEICHEN

      Von allen Festnächten des siebzehnten August, die ich auf Grafenegg im Laufe der Jahre mitgefeiert habe, war diese die bewegteste und längste. Jeder von uns fühlte sich angespornt, ich weiß nicht warum, seine Fähigkeit zur geselligen Freude auf das äußerste anzuspannen. Heute kommts mir vor, als hätte ich jener Nacht des großen Abschieds, schon während ich sie durchlebte, deutlich angespürt, daß all ihre frohe Berauschtheit durch einen krankhaften Stich ins Übertriebene und Gezwungene verzerrt gewesen sei. Das aber mag nur eine nachträglich verdüsternde Korrektur meiner eigenen Erinnerung sein.

      Bedenkenswert jedoch ist es, daß Livia am Morgen dieses Siebzehnten mir mit einer blassen und aufrichtig gequälten Miene versetzte, sie habe es satt, für uns noch länger den Narren abzugeben. Heute werde dieses herausfordernde Fest zum unwiderruflich letzten Male gefeiert. Ein hochziffriger Geburtstag wie der ihre sei weiß Gott kein Anlaß für Lampions und Lärm, sondern für nachsichtiges Schweigen. Wenn wir nächstes Jahr wieder unsere blöden Kindereien vorhätten, so sollten wir dafür jeden andern Tag des Sommers wählen, nur nicht den Siebzehnten. Und sie ließ Philipp, Doris und mich stehen, die wir mit fieberhaftem Eifer die Papierlaternen an den zwischen Bäumen gespannten Schnüren befestigten. Ich erschrak, denn ich kannte Livia zu genau, um nicht zu spüren, daß sie nur so schnell und böse davonging, weil sie ihre Tränen kaum herabzuwürgen vermochte. Ich hatte übrigens als mein Scherflein fürs Festkabarett eine kleine parodistische Szene verfaßt, welche die Kinder spielen sollten und die wir jetzt noch einmal rasch durchprobten.

      Es begann wie immer mit einem langen und glorreichen Abendessen, dem Festbeitrag Tetas. Mehr als zwanzig Personen saßen zu Tisch. Außer uns fünf – ich rechne mich als Ewigen Gast zum Haus – waren ein paar junge Leute aus dem nachbarlichen Bekanntenkreis der Kinder gekommen und jene gesetzteren Besucher,

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