Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel

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daß der Linek Mojmir aus Hustopec einen Freiplatz am Gymnasium und Internat zu Olmütz erhielt. Während Teta nämlich im Lichte des Küchenfensters das sommersprossige und inhaltlose Knabengesicht betrachtet hatte, war in ihrer Seele der große, bisher nur undeutlich umträumte Lebensplan zu fester Gestalt gediehen.

      Mit vierzig Jahren hatte Teta bereits dasselbe Altfrauengesicht wie später mit sechzig. Sie erfuhr demnach an sich selbst, wenn sie in den Spiegel schaute, die bedenkliche Kürze dieses Erdenlebens. Ein Tag folgte dem andern, zuerst in gemächlichem, dann in beschleunigtem Ablauf, und kein Tag unterschied sich vom andern. Es war immer dasselbe: Erwachen, Ankleiden, Morgenmesse, Feuermachen, Frühstückkochen, Aufräumen, Einkaufengehen, Mittagessen zubereiten, Geschirrwaschen, Tee oder Kaffee am Nachmittag, die verausgabten Summen zusammenrechnen, Abendessen richten, Geschirrwaschen, die Küche säubern, Schlafengehn. Teta beklagte sich keineswegs über diesen eintönigen Wandel. Sie arbeitete gern. Sie konnte nicht behaupten, daß dieses Leben für sie ein Jammertal war. Den meisten andern Weibern erging es weit schlimmer. Die hatten zu aller Plage noch Not und Tod im Haus, Lungerer oder Trunkenbolde oder Arbeitslose oder Kriegssoldaten oder verkommene Heimkehrer als Männer, Fehlgeburten, kranke Kinder, alle paar Jahre eine Leiche auf der Bahre und tagaus tagein nichts als Gefrett und Unglück. Wenn auch dergleichen Schreck und Schmerz Teta erspart blieb, so fühlte sie doch, daß ihr mit all diesen bösen Dingen zugleich etwas entging, was die unglückseligste Ehefrau im Umkreis besaß, mochte sie’s auch allstündlich verfluchen. Die Ungebundenheit, zu der sich Teta lebhaft bekannte, enthielt zweifellos neben dem Gleichmaß und der Sorglosigkeit ihrer Tage eine gewisse Ödigkeit, die sich zumeist an Sonn- und Feiertagen bemerkbar machte. Teta war daher Mitglied des Vereins katholischer Jungfrauen geworden, und das Ansehen, das sie sich unter ihren Bundesschwestern dort erwarb, bildete eine Milderung jener Öde und brachte in späteren Jahren manche Anfälligkeiten der früheren Zeit zum Verschwinden. Doch wie mans auch nimmt, das Leben war, was es ist. Vor allem wars aber gar nicht das eigentliche Leben, sondern nur eine sonderbare Unterbrechung, eine Art Ausflug oder Urlaub, in den man zu unbekanntem Zweck gesandt wurde. Das lehrten die geweihten Männer, die hoch über allen anderen Menschen standen und die es daher wissen mußten. Das eigentliche Leben begann nachher.

      Für dieses wahre Leben nun galt es klug vorzusorgen, denn was bedeuteten siebzig immer kürzere Jahre gegen den dauernden und unkündbaren Posten, den der Mensch anzutreten hatte, wenn es so weit war? In die Ewigkeit nämlich konnte man vom Urlaub nicht ohne weiteres heimkehren, so, als sei nichts Wichtiges vorgefallen. Gewisse Hindernisse stellten sich dieser Heimkehr in den Weg. Die drei Aufenthaltsorte drüben standen der Wahl des Heimkehrenden nicht frei. Von dem untersten, dem feuerpeinlichen, schützte in hohem Grade Beicht und Buße und Kommunion. Teta wußte genau, daß sie keine schneeweiße Seele habe und alle Tage unverbesserlich ihre Köchinnensünden begehe. Doch sie empfing fleißig die heiligen Gnadenmittel, die sie zeitweilig von den unerbittlichen Folgen lossprachen, und hoffte fest, daß sie nicht für so schlecht erkannt sei, daß der Tod ihr werde in unabsolviertem Zustand auflauern dürfen. Immerhin! Etwas ganz Bestimmtes konnte man nicht wissen und mußte sich daher vorsehen jederzeit. – Was den mittleren Ort, das Fegefeuer betrifft, so war es klar, daß keine arme Seele dieser vermutlich sehr unbehaglichen Reinigungsstätte entgehen konnte. Teta besaß darüber traumhafte, aber doch ziemlich ausgebildete Vorstellungen. Eine ungeheure Badeanstalt mochte sich an jenem Orte befinden, wo anstatt des Wassers hellblau flüssiges Feuer wie von Weingeist in die Wannen läuft und aus den Duschen sprüht, wobei die betroffenen Seelen mächtige elektrische Bürsten ausgiebig zu spüren bekommen. Der Gedanke an diese unumgängliche Notwendigkeit war ihr durchaus nicht erwünscht, aber Wirksames ließ sich dagegen nicht unternehmen, und schließlich war die Reinigung der Seelen zeitbegrenzt und setzte deren ungehinderten Aufstieg in die dritte, einzig erstrebenswerte Wohnstätte voraus. Denn nur um den Himmel dort oben ging es. Ihn mußte man, solange es noch Zeit war, hier unten verdienen und den endgültigen Sitz gegen alle Gefahren sichern. Was aber war dieser Himmel, an dessen Blau man sich tagsüber freute und dessen Sternenmantel man nachts mit einer heimlichen Furcht betrachtete? Der Mensch besitzt, seiner düsteren Veranlagung gemäß, weit mehr Vorstellungsgabe für das Grausige als für das Wonnige. Bekanntlich ist Dantes Hölle viel plastischer geraten als sein Paradies. Auch Teta hatte von dem seligen Wohnort in der blauen Höhe, um den sie mit kluger Umsicht bemüht war, nur ein sehr unbestimmtes Bild. Am ehesten noch dachte sie an eine schwebende, licht gebaute Großstadt mit einer unermeßlichen Anzahl hübscher Pensionen mitten in weiten Gartenanlagen, wo jede Seele ein klösterliches aber komfortables Zimmerchen besaß, in dem man sich des nunmehr unverwundbaren Daseins freuen durfte. Alle Verstorbenen ihrer Art waren somit Pensionäre Gottes, die weder an Erwerb denken, noch Miete bezahlen mußten. Ob im Himmel immer nur Sonntag herrschte oder ob dort wegen des Zeitvertreibs auch eine Werkwoche eingeführt war, das blieb dahingestellt. Die Hauptsache aber, um die es ging: das liebe Ich war dort für alle Ewigkeit gerettet. Teta, wie sie leibte und lebte, die vollzählige, die vollinhaltliche Teta ohne den geringsten Abstrich, die leiseste Änderung, Teta, wie sie an sich selbst gewöhnt war von Kind auf, sie würde drüben aufgehoben sein, ohne befürchten zu müssen, auch nur die kleinste Kleinigkeit ihres Wesens zu verlieren. So besehen büßte der irdische Tod, der ja nur das unterbrochene eigentliche Leben wiederherstellte, all seine Schrecken ein.

      Freilich, dieses himmlische Ziel sich auf Erden zu verdienen, das konnte nur einem Schwachkopf leicht erscheinen. Eine mißtrauische und berechnende Seele war sich der unaufhörlich vom bösen Feind entsandten Gefahren bewußt, die sie ins Verderben zu reißen suchten. Wie aber diesen Gefahren begegnen? Da gab es vor allem als bestes Hilfsmittel die pünktliche Erfüllung der religiösen Pflichten, die man womöglich noch um freiwillige Lasten vermehrte. Gut! Diese Pflichten gingen in Fleisch und Blut über mit der Zeit. Daß sie dies aber taten und im Lauf der Jahre, anstatt ein Opfer zu bedeuten, sich in eine unentbehrliche Gewohnheit, ja zu einer stetigen Freudigkeit entwickelten, das verminderte in den Augen eines skrupelhaften Gewissens den Wert ihres Verdienstes. Es standen daher noch die sogenannten ›guten Werke‹ als Hilfsmittel des Heils zur Verfügung. Mit diesen guten Werken aber war es schlimm bestellt. Zum ersten: die Gelegenheit, solche zu vollbringen, zeigte sich äußerst selten. Und zweitens bot sich einmal diese seltene Gelegenheit, so versagte zumeist das schwache Fleisch. Welchen Kraftverbrauch kostete es schon, eine Sünde nicht zu begehen, der Hausfrau zum Beispiel die frischen Erdbeeren zum richtigen Marktpreis anzurechnen, ohne ein paar Groschen aufzuschlagen? Dieses negative Exempel beweist schon, was für unerschwinglichen Aufwand eine echte, aktive, gute Tat voraussetzt. Da muß der Verstand sich verdunkeln, das Herz überlaufen und gegen den eigenen stets aufbegehrenden Vorteil handeln. Die alte Jungfrau konnte ihre guten Taten an den Fingern einer Hand abzählen. Sie genügten nicht. Nein, um sich des Himmels gegen die unaufhörliche Gefährdung zu versichern, galt es, einen radikaleren, einen praktischeren Weg einzuschlagen. Hatte nicht der Herrgott selbst einen Mittler herabgesandt, um den Menschen, die sich mit den vielen Sünden und den wenigen guten Taten abplagten, zu Hilfe zu kommen? Konnte man diesem großen Beispiel nicht folgen und sich durch einen privaten Mittler im Himmel gewissermaßen einkaufen?

      Diesen Einfall hatte Teta freilich nicht den obigen Worten gemäß, doch sie hatte ihn der Sache nach, als sie das leere Bubengesicht Mojmir Lineks musterte. (Wars übrigens so leer, dieses Gesicht? Hatte nicht aus den verschwollenen Schlitzaugen Verständigkeit und allerlei Wissen gefunkelt? Und die Stimme war hell und schallend und zu beschwörender Rede wohlgeeignet.) Teta beschloß: dieser Neffe soll mein Mittler werden, damit mir der Himmel nicht verlorengehe. Sie wollte all ihre Ersparnisse dreingeben und knapsen und knausern noch mehr als bislang, um ihn zu nähren und zu kleiden, um für das Studium aufzukommen bis zum Tag seiner Primiz. Das war ein frommes Werk und eine gute Tat in einem. Zu guter Letzt aber hoffte sie, in Mojmir einen ihr persönlich zugeteilten Priester zu besitzen, der in unermeßlicher Dankbarkeit und Treue bis zu seinem eigenen späten Hinscheiden für sie lesen werde zahllose hl. Seelenmessen, diese Aufrichtung und köstliche Labe der Toten, solange sie ihren endgültigen Wohnsitz noch nicht bezogen haben. Damit aber würde auch das bittere Schicksal aller alten Junggesellen und Jungfrauen für sie abgewendet sein: die heillose Vergessenheit und Verlassenheit nach dem Absterben. – Unverzüglich ging Teta mit der ihr eigenen zielbewußten Zähigkeit an die Verwirklichung des großen Lebensplanes, der ihre bescheidene

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