Der veruntreute Himmel. Franz Werfel

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Der veruntreute Himmel - Franz Werfel

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Gewänder und den dazu gehörigen Stoff nicht mehr selbst, sondern kleidete sich aus den Weihnachtsgeschenken und aus der altersmürben Garderobe ihrer Gebieterinnen, denen sie dies und jenes abzubetteln verstand. Oft saß sie bis in die Nacht auf, um mit ihren eigenen Händen diese Kleidungsstücke für sich umzuschneidern. Sie verzichtete auf die kleinen Vergnügungen und Erleichterungen des Lebens, als da sind ein Bierchen oder ein Schnäpschen nach der Morgenmesse und die Benutzung der Trambahn, um auf den Markt zu fahren. Kein Bettler und kein Leiermann erhielt mehr sein in Papier gewickeltes Kupferstück in den Hof hinabgeworfen wie früher, er mochte selbst ihre Lieblingsstücke singen und dudeln, solange er wollte. Teta brachte es zustande, keinen Heller auszugeben. Die nichtigsten Gegenstände bekamen einen aufgeblähten Wert für sie. Jeder Fetzen und jeder Faden wurde aufgehoben, und sie mußte mit sich kämpfen, bevor sie eine leere Schachtel oder Blechdose fortwarf. Mit der umsichtigen Findigkeit eines zünftigen Räubers ließ sie vom Tisch der Herrschaft einen erklecklichen Anteil verschwinden und verstaute ihn in ihrem Kasten oder unterm Bett. Die haltbaren Speisen sandte sie wohlverpackt nach Olmütz. Ihr künftiger Vertreter vor dem Thron des Höchsten sollte wohlgenährt sein und stark, wie es sich geziemte. (Das Porto der Post aber zählte nicht zu den Unkosten ihres hiesigen sondern ihres jenseitigen Lebens.) Die leicht verderblichen Speisen, die sie selbst nicht bezwingen konnte, verschimmelten im Versteck. Teta kam schnell in den Ruf eines beispiellosen Geizes und einer wüsten Raffgier. Mit Unrecht. Die Verwandlung eines armen Proleten oder Bauernjungen in einen studierten Herrn kostet unglaublich viel Geld, selbst wenn der Staat den Kandidaten vom Schulgeld befreit und ihn in einem Internat notdürftig verköstigt. Am Ersten jedes Monats mußte Teta mindestens vierzig alte gute Goldkronen bereitstellen. Wenn man bedenkt, daß zu dieser Zeit ihr Lohn aus fünfzig oder höchstens sechzig solcher Kronen bestand, wird man ihren Geiz ganz anders beurteilen. Dazu kam noch, daß der Neffe Mojmir neun Jahre brauchte, um die acht Klassen des Gymnasiums zu vollenden. Die vierte mußte er wegen völligen Versagens in mehreren Fächern und wegen einer bedenklichen Sittennote wiederholen. Er war nach Vorschrift der Schulordnung in hochnotpeinlicher Gefahr, seinen Freiplatz zu verlieren, und nur der Intervention des guten Hofrates Slabatnigg gelang es, Tetas Lebensplan vor einem allzu frühen Scheitern zu bewahren.

      Welche mütterliche Liebe einer Kinderlosen zu dem Sohn einer andern, dachte der Hofrat gerührt, der im Nebenamte kleine Novellen in der ›Salonzeitung‹ und im ›Fremdenblatt‹ zu veröffentlichen pflegte. Er konnte freilich nicht wissen, daß Teta für ihren Neffen nicht nur keine Liebe empfand, sondern überhaupt kein persönliches Interesse. So bangt im Kriege ein Befehlshaber für den Untergebenen, nicht um seiner selbst, sondern um des Auftrags willen, den dieser auszuführen hat.

      Als nach der mit Ach und Krach bestandenen Reifeprüfung der Neffe in das Seminar der Prämonstratenser zu Prag eintrat, brach der Weltkrieg aus, und er wurde in den ersten Wochen ›einrückend gemacht‹. Tragische Unterbrechung. Sie kostete Geld und Geld, mehr denn je. Teta durfte nicht dulden, daß der mit solchen Opfern erkaufte Mittler dem wahllosen Kriegstode ausgesetzt und ihre himmlische Zukunft von einer Granate zerrissen werde. Sie diente damals – es war ihr vorletzter Posten – bei einem bekannten Mediziner, der als Universitätsprofessor den militärischen Rang eines Stabsarztes bekleidete. Die Seufzer und Tränen der Magd wirkten auf diesen Mann nicht anders, als sie auf den guten Hofrat gewirkt hatten, obwohl der Arzt keine Novellen, sondern in der Medizinischen Wochenschrift Artikel über verschiedene Wurmleiden veröffentlicht hatte. Mojmir wurde nach einigen Monaten vor eine Musterungskommission gestellt, nicht mehr für frontdiensttauglich befunden und aus der Feuerlinie in irgendeine Kanzlei der Etappe versetzt. Teta atmete auf und sandte dem Schützling weiter ›Liebesgaben‹ und Bargeld, denn es war Krieg, und ein angehender Priester sollte auch als Soldat gesund und standesgemäß leben. Damit waren vier Jahre verloren, und das kostspielige Studium der Theologie mußte von vorn beginnen. Nach einiger Zeit erhielt Teta einen Brief, der wie alle Briefe des Neffen in einer begeisternden Schön- und Rundschrift abgefaßt war, deren Anblick die Magd stets mit Befriedigung erfüllte, bewies sie doch als ein äußeres Zeichen die gedeihliche Anwendung ihrer Opfer. In diesem Brief bekannte Mojmir, daß er das Alumnat der Prämonstratenser verlassen habe, um seine Studien auf eigene Faust zu vollenden. Er besitze, so hieß es wörtlich, eine freie und schwärmerische Seele, die nicht zum Ordensmanne und Stiftsherrn tauge, sondern dem Herrgott, der hl. Kirche und dem teuren Tantchen weit besser als Weltpriester und praktischer Seelsorger hoffe dienen zu können. Sein Ideal sei es, in einer weltverlorenen Pfarre oder in einer Arbeitergemeinde den armen Menschen in ihren Nöten beizustehen. Als nicht-inkorporierter Weltgeistlicher sei er ferner viel weniger an den Willen seiner Oberen gebunden und könne sich daher, sollte es einmal notwendig werden, der Pflege des teuren Tantchens mit ungeteilter Innigkeit widmen. Teta erschrak zwar anfangs über diese Eröffnung, da sie einen ausgesprochenen Eigensinn und Hang zur Unordnung bekundete, der ihr schon während des Neffen Gymnasialzeit mehrfach zu Ohren gekommen war. Andrerseits aber erschienen ihr die in dem Briefe angeführten Ideale recht lobenswert, und von der verzwickten Organisation des kirchlichen Lebens verstand sie nicht viel. Arg wars nur, daß Mojmirs Entschluß eine begreifliche Erhöhung der Monatskosten verursachte. Teta tat, was sie konnte und sandte nunmehr das Geld regelmäßig an eine private Anschrift in einer Prager Vorstadt. Wie arme Leute so oft, war der Student vom Pech verfolgt. Da er sich nur unzureichend ernähren konnte, erkrankte er an einem schweren Darmleiden und mußte sich im Allgemeinen Krankenhaus zweimal einer gefährlichen Operation unterziehen, die ihn, wie er verzweifelt schrieb, um volle zwei Semester zurückwarf. Da Teta aber wochenlang um sein Leben gezittert hatte, die Briefe aus dem Spital nur unter Stoßgebeten öffnend, war sie am Ende noch heilfroh, nur mit dem Verlust eines Studienjahres davonzukommen.

      Merkwürdig genug ists, daß Teta den mit der Wahrung ihrer himmlischen Zukunft Beauftragten nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte, damals nämlich, als er, ein sommersprossig-rotznäsiger Bauernjunge, sie an Mutters Hand in der Küche des Hofrates Slabatnigg heimgesucht hatte. Dafür aber gabs Gründe die Menge. Eine Magd, die nie auch nur einen Tag Urlaub nahm, konnte sich weite Reisen nicht leisten. Das sauer Erworbene und noch saurer Abgegeizte durfte wahrhaftig nicht überflüssig vertan werden. Wo hätte sie ferner den Jungen, wär er zu ihr in die Stadt gekommen, unterbringen sollen? Es war ganz in Ordnung, daß Mojmir seine Schulferien bei der Mutter in Hustopec verbrachte, in guter Luft also und zu bäurischer Arbeit angehalten, die Körper und Charakter festigt. Über all diese vernünftigen Gründe hinaus hegte Teta jedoch nicht den geringsten Wunsch, den Gegenstand ihrer Entbehrungen vor der Zeit zu begrüßen. Mojmir Linek war gewissermaßen nichts als eine Idee, die sich in ihm zu personifizieren hatte. Er sollte gehämmert und geschliffen werden in langen Jahren, damit er eines Tages durch die Weihe berufen sei, ihr im Sinne des Lebensplanes das Genossene abzugelten. Für weiche Empfindungen blieb in solch ernster Sache kein Raum, und daß der von ihr Berufene ein ganz bestimmter Mojmir und ihr eigener Neffe war, das ließ sie ziemlich kalt.

      Nur in einem einzigen Punkte konnte sie einen heftigen Wunsch nicht unterdrücken. Wenn auch das Studium durch die bedauernswerte Anfälligkeit Mojmirs sich schon ins fünfte Jahr hineinzog, einmal mußte doch die große Stunde der Ordination, der Priesterweihe kommen, in der sich ein gleichgültiger junger Mann durch das Handauflegen des Oberhirten wundersam in ein fast überirdisches Wesen verwandelt, um daraufhin aus erschütterter Seele sein erstes heiliges Meßopfer darbringen zu dürfen. Wars nicht eine verführerische Vorstellung, bei dieser ersten Messe sich gegenwärtig zu träumen und süßklopfenden Herzens sich des Werkes zu freuen, das man mit zäher Unnachgiebigkeit zustande gebracht hatte? Dann wird der dankbewegte Primiziant sein reinstes Gebet für die Wohltäterin einflechten, womit der eigentliche Teil des großen Lebensplanes ins Stadium der Erfüllung tritt. Sollte man sich das Geschenk einer solchen Feierstunde, die einzig im Leben ist, entgehn lassen, zumal nachher mit der Amtserhebung des jungen Priesters die Zeit der Opfer beendet sein wird und man sich wiederum ein bißchen rühren kann? Im Hinblick auf diese Stunde kämpfte in Tetas Seele die eingefleischte Sparsamkeit einen harten Strauß mit dem Wunsche, der Erstmesse eines Priesters beizuwohnen, der dieses nicht minder von ihren als von Gottes Gnaden war. Der Neffe selbst bewies die Rücksicht, diesen Kampf aus Eigenem zu entscheiden. Und er entschied ihn im Sinne der Sparsamkeit. Gegen Ende seines zwölften Semesters kündigte er seine nahe Ausweihung an, ließ aber Zeit und Ort im unklaren. Eines Tages in Grafenegg

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