Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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„O Gott, so zeige Dich doch nur!“
So sang, zuerst ganz allein, Philipp Du Plessis-Mornay, denn er war vor ihnen am ehesten zum Äußersten geneigt: in ihm wohnte die unruhigste Tugend. Da er aber die erste Zeile wiederholte, schlossen mehrere andere Stimmen sich an, und bei der zweiten waren es alle. Sie waren von ihren Tieren abgesessen, hatten die Hände zusammengelegt und sangen, ein Haufe, den niemand ansah als vielleicht Gott, zu ihm hinauf: sangen, als ob sie Sturm läuteten, hinauf!
„O Gott, so zeige Dich doch nur,
Und plötzlich wird sich keine Spur
Vom Feind mehr blicken lassen.
Wenn er denn ab sein Lager bricht,
Vergehn vor deinem Angesicht
Sie alle, die uns hassen.“
Ihr letzter Abgesandter
Sie sangen weiter bis ans Ende, hierauf aber erwarteten sie ein Wort ihres jungen Führers. Er war König von Navarra geworden hier auf der fremden Landstraße, und sollte ihnen sagen: wohin, was tun. Du Bartas neigte sich zu Henri, er sprach gedämpft: „Ihre Mutter war nur die erste. Der zweite werden Sie selbst sein. Kehren Sie um!“
„Sammeln Sie die Ihren!“ riet Mornay. „Die von der Religion werden aus dem ganzen Königreich herbeistürmen. Als eine unwiderstehliche Macht ziehen wir an diesen verbrecherischen Hof.“
D’Aubigné sagte viel ruhiger: „Sie haben gar nichts für sich zu fürchten, Herr, solange ein anderer noch lebt.“ Die andern sahen ihn an, er fuhr fort: „Der hat das Opfer seines Lebens gebracht, ich weiß es, ich habe gehört, was er des Nachts zu seiner Frau, der Admiralin, gesagt hat.“ Und er begann zu weissagen, was Coligny und seine Frau gesprochen hatten.
Da Agrippa ein Dichter war, konnte er die nächtliche Unterredung der beiden Gatten berichten, als wäre er zugegen gewesen. Glaubst du, daß nichts dich wanken machen kann, so hatte der Admiral die Admiralin ermahnt, leg doch die Hand auf deine Brust und prüfe dich, ob du auch dann beständig bleiben wirst, wenn alle abfallen und du unter dem Schimpf, der immer die erfolglose Sache trifft, in die Verbannung fliehen mußt. Sieh! Auch der König von Navarra fällt ab und heiratet die eigene Tochter unserer Feindin.
Das war zuviel: Henri fuhr heftig auf. „Das hat er nicht gesagt! Agrippa, wenn du das gehört haben solltest, dann hast du eine Muse, die lügt. Ich halte fest zu der Religion — und jetzt reiten wir weiter!“
Grade dies hatte Agrippa gewollt, denn für ihn gab es keinen vorsichtigen Aufenthalt, und je mehr seine innere Anschauung ihm zeigte von den Gefahren des Lebens, um so unentwegter ritt dieser Dichter nach vorn.
Der Haufe bewegte sich wieder dahin unter den Wolken, nur daß es nicht lange dauerte, bis Menschen mit erhobenen Händen ihm in den Weg traten. Alle sagten dasselbe: „Die Königin Jeanne ist vergiftet“, ohne daß sie erklären konnten, woher sie es hatten. Zuletzt fragte keiner sie mehr, wer sie wären und aus welchem Dorf. Genug, sie waren unterwegs, ungewiß wie lange, um den neuen König von Navarra zu sehen und ihm anzuvertrauen, was sie wußten. Von der Müdigkeit des Weges war manchem sein Zorn schon vergangen, er stammelte nur noch beschwörend und angstvoll.
Sogar ein Haufe unbekümmerter Abenteurer empfängt von solchen Begegnungen schließlich den Eindruck. Dann geschah noch eine letzte, entscheidende. An einer Waldecke, unversehens, stießen sie auf einen protestantischen Herrn, den alle kannten, La Rochefoucauld, einen Freund ihres Königs. Auch er war in einem Zustand wie jemand, der eine fünftägige Strecke in vier Tagen geritten ist. Er sprach zu dem jungen König nur einige Worte, aber der faßte sofort den Zügel fester und wendete sein Pferd. Da wendete der ganze Haufe, und ohne zu fragen, ohne Reden und Gespräche kehrten sie zurück nach Chaunay.
Vor allem suchte Henri mit Herrn von La Rochefoucauld einen abgelegenen, schattigen Platz, er fand ihn unter den Pappeln, und ließ den Abgesandten seiner Mutter alles genau wiederholen. Die sterbende Jeanne hatte ihrem Sohn die letzten irdischen Gedanken geschenkt, bevor ihr Geist aufging in Gott. Sie wollte nicht, daß er aus Furcht seine Reise aufgebe: davon war nie bei ihr die Rede gewesen. Aber ihre Meinung blieb allerdings, daß er nach Paris sollte gar nicht, oder als der Stärkere kommen. Dies empfahl sie ihm infolge ihrer eigenen Erfahrungen der letzten vier Monate, die schwer gewesen waren und bitter. Sie hatte gedacht und hatte, um es auszusprechen, noch einmal ihre seltene Glockenstimme gefunden, daß die Hochzeit ihres geliebten Sohnes der Anfang großer Ereignisse sein würde, aber groß nur entweder für ihn — oder für seine Feinde. Die letzten Gedanken waren tapfer auf alle Gefahren des Lebens und ihre Überwindung gerichtet gewesen. Sie hatte einst Zeiten gekannt, oder glaubte sie gekannt zu haben, da das Laster sich versteckte. Heute trüge es den Kopf hoch, ließ sie ihrem Henri noch sagen, und fühlte sich der Tugend überlegen. Hierauf hatte sie sterbend die Worte eines Psalmes zu Gott geschickt. Welchen Psalmes?
„O Gott, so zeige Dich doch nur!“
Ihr Abgesandter zog ihr Testament hervor und überreichte es dem König, nachdem er es mit den Lippen berührt hatte. Darin indessen stand von ihren geheimsten Sorgen nichts, sie hatte zum Schluß auch dem Papier nicht mehr getraut. Nur eins: sie empfahl ihm seine arme kleine Schwester. Hier brach Henri in Tränen aus. Er hatte noch gar nicht geweint.
Ein über das andere Mal rief er: „Arme kleine Schwester! So hat unsere Mutter gesagt.“ Und er empfand: ,Sie sollte hier sein! Wen haben wir denn? Nichts und niemand haben Bruder und Schwester in dieser Welt, als nur einander. Das übrige ist Betrug der Augen und der Herzen. Alle die Frauen, und dieses Hochgefühl durch sie, und die Angst, nur keine zu versäumen! In Wahrheit versäum ich immer nur eine, aber die jedesmal. Bei ihr brauchte ich um Liebe noch nie zu bitten und Verständnis nicht erst zu suchen. Wir sind aus einem Leib und haben voreinander nichts geheim. Sie lacht wie ich, so sagt man. Zu dieser Stunde vergießt sie dieselben Tränen, aber nicht einmal diese, die sie um unsere Mutter weint, fallen auf meine Hände. Sie ist fern, wie sie immer von mir fern ist, und wir versäumen unseren besten Schmerz, sie meinen, ich ihren!‘
Da erfuhr er von dem Abgesandten, daß seine Schwester Catherine gewünscht hatte, mitzureisen. Alles war vorbereitet gewesen, das Pferd im Hof, der Wagen vor der Stadt. Indessen war sie zurückgehalten worden, nicht mit Gewalt, nur unter glatten Vorwänden, bis La Rochefoucauld fort war, und auch ihn hatte man nicht freiwillig entlassen: es hatte starken Auftretens bedurft.
„Sie wird gefangengehalten?“ fragte der Bruder, mit Augen, die trocken und böse waren, während sein Mund sich verzerrte. Aber so stand es nicht. Man war besorgt um sie, besonders Margot, die Braut, und auch die alte Katharina. Das Hochzeitsfest, auf das der Hof sich sichtlich freute, beschattet wie es schon war durch den Tod der Königin von Navarra, sollte nicht noch mehr Zufällen ausgesetzt werden. Es fehlte grade, daß auch der Schwester des Bräutigams etwas zustieße, einem zarten jungen Mädchen, vielleicht hatte es sogar etwas mitbekommen von der Schwäche der mütterlichen Lunge.
Henri neigte sich weit vor und fragte bebend: „War’s nur die Lunge?“
Die Antwort ließ lange auf sich warten, und endlich bestand sie in Achselzucken.
„Wer glaubt an Gift?“ fragte Henri. „Nur unsere Freunde?“
„Viel mehr noch die andern. Denn die wissen, wes sie fähig sind.“
Henri